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Kurz nachgefragt

Gedruckte Qualität in Serie

18. April 2024

Organe aus dem 3-D-Drucker bleiben eine Zukunftsvision. Aber bei der Bahn oder im Automobilbau spielt die sogenannte additive Fertigung längst eine tragende Rolle, sei es bei der Erstellung von Prototypen oder bei der Versorgung mit Ersatzteilen. Eine neue Prüfnorm soll den industriellen Einsatz des 3-D-Drucks nun auf ein neues Level heben. Was die sogenannte DIN EN ISO/ASTM 52920 bringt und wie die Prüfung vonstattengeht, erklärt Jens Groffmann, Projektleiter Additive Manufacturing bei TÜV NORD.

 

Herr Groffmann, mit der additiven Fertigungsstätte der Deutschen Bahn in Neumünster haben Sie erstmals ein Unternehmen nach ISO/ASTM 52920 zertifiziert. Was bringt die neue Norm?

Jens Groffmann: Die neue Norm stellt die additive Fertigung qualitativ auf eine sichere Basis und ist insofern ein echter Quantensprung für den industriellen Einsatz der Technologie. Das ist insbesondere für den Bahnbereich höchst relevant. Züge sind über 40 Jahre im Einsatz. Gibt es keine Ersatzteile mehr, weil etwa der Hersteller der jeweiligen Komponenten nicht mehr am Markt ist, steht im schlimmsten Fall der ganze Zug still – ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden. Die Deutsche Bahn produziert daher bereits seit Jahren Ersatzteile mittels additiver Fertigung. Die neue Norm markiert im 3-D-Druck nun den Übergang von der bisherigen Einzelteilfertigung hin zu einer Serienproduktion im industriellen Maßstab. Die Fahrzeuginstandhaltung der DB kann also im Bedarfsfall schnell und flexibel Ersatzteile für die Fahrzeugflotte in verlässlicher und gleichbleibender Qualität drucken oder künftig externe Produzenten, die ebenfalls nach der Prüfnorm zertifiziert wurden, mit der Lieferung beauftragen.

 

Wie gehen Sie bei der Zertifizierung vor?

Wir überprüfen sämtliche Produktionsschritte: von der Planung und dem Umgang mit den Ausgangsmaterialien über die eigentliche Fertigung bis zur Nachbearbeitung. Dabei nehmen wir immer auch die Qualitätssicherungsmaßnahmen in den Blick, die über die gesamte Prozesskette ergriffen werden. Nach einer erfolgreichen Zertifizierung werden die Betriebe dann jährlich überprüft. Dabei schauen wir uns an, ob es etwa Veränderungen im Maschinenpark gegeben hat und die Abläufe nach wie vor passen. Die Anforderungen an die Betriebe sind hoch: Je nach aktuellem Stand benötigen sie rund ein halbes Jahr, um ihre Prozesse für die Auditierung fit zu machen. Letztlich profitieren alle Beteiligten davon: Unternehmen, die Bedarf an Ersatzteilen haben, können anhand der Zertifizierung geeignete 3-D-Druck-Lieferanten identifizieren. Diese wiederum können sich international als qualifizierte Produzenten für anspruchsvolle regulierte Wirtschaftszweige ausweisen – ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil. Und da es sich um eine branchenübergreifende Norm handelt, sind sie dabei auch nicht auf den Bahnbereich beschränkt.

 

Für welche weiteren Bereiche und Branchen ist eine solche Zertifizierung relevant?

Letztlich für alle Branchen, die teure Maschinen mit jahrzehntelangen Nutzungsdauern betreiben oder komplexe Bauteile in kleinen Stückzahlen in vergleichsweise kurzer Zeit benötigen: von der Pharmaindustrie oder der Chemiebranche über die Medizintechnik bis hin zur Luft- oder Raumfahrt. Ersatzteile zeitnah bei Bedarf anfertigen zu können ist auch für Lkw-Hersteller oder Busbauer wirtschaftlich hochinteressant, da sie sich auf diese Weise die Lagerkosten für Komponenten sparen, die sie im Zweifelsfall niemals benötigen werden. Die Deutsche Bahn hat bislang rund 100.000 Bauteile aus dem 3-D-Drucker verbaut – überwiegend Verschleiß- oder Engpassbauteile wie Sitzverkleidungen und Lampenfassungen sowie Komponenten für Belüftungs- und Klimatisierungssysteme. Perspektivisch will die Bahn aber auch sicherheitsrelevante Metallbauteile in größerem Stil additiv fertigen. Wie und unter welchen Voraussetzungen das möglich ist, wird im Projekt „DigiZug3D“ untersucht, an dem wir ebenfalls beteiligt sind.

 

Jens Groffmann ist Projektleiter Additive Manufacturing bei TÜV NORD. Der Diplom-Ingenieur kümmert sich um Prüfdienstleistungen und Zertifizierungen für den industriellen 3-D-Druck. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen bringt er außerdem Pilotprojekte mit Industrieunternehmen wie der Deutschen Bahn auf den Weg und engagiert sich aktiv in den nationalen und internationalen Normungsgremien zum 3-D-Druck.

Welches konkrete Ziel verfolgt „DigiZug3D“?

Sicherheitsrelevante Metallbauteile aus dem 3-D-Drucker müssen aktuell über eine aufwendige Einzelabnahme zugelassen werden. Es gibt bislang noch keine verbindliche Berechnungsgrundlage, über die man die Festigkeit dieser Bauteile bewerten kann. Das von der EU und vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Projekt soll nun eine solche Berechnungsgrundlage schaffen und zugleich das Zulassungsverfahren selbst vereinfachen und beschleunigen. Das Interesse der Bahnbranche ist groß: Außer der DB sind auch die Hamburger Hochbahn, die Österreichischen Bundesbahnen und der Zugbauer Siemens beteiligt. Das Projekt ist im Oktober 2023 gestartet und läuft über drei Jahre. Wir stehen also noch am Anfang, aber bestenfalls wird das entwickelte Verfahren zur Blaupause und eröffnet auch anderen Branchen die Möglichkeit, sicherheitsrelevante Komponenten im 3-D-Druck zu produzieren.

 

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