Lebensmittelindustrie: Hygienic Design für eine sichere Lebensmittelproduktion

Sauber, sicher, umweltschonend: Hygienic Design reduziert Kosten und Risiken in der Lebensmittelproduktion. Warum sich die hygienegerechte Gestaltung für Maschinenherstellende und Lebensmittelproduzierende lohnt, haben wir Dr.-Ing. Jürgen Hofmann, Experte für Hygienic Design im Maschinen- und Anlagenbau, gefragt.

Globale Lieferketten, strengere Vorschriften und kritischere Konsumierende: In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Produktrückrufe in Deutschland nahezu verdoppelt. Unternehmen reagieren zunehmend sensibler, rufen auch vorsorglich zurück. Denn durch Social Media haben sich die Bedingungen und Folgen von Rückrufen und Lebensmittelskandalen für die Reputation noch einmal verschärft. So zumindest verzeichnet es eine Studie der Allianz Versicherungsgesellschaft im Jahr 2017, die den Schaden für Unternehmende pro Rückruf auf durchschnittlich rund 10,5 Millionen Euro schätzt.

Ein Verlust, der nicht sein muss: Schon mit einfachen Maßnahmen wie der hygienegerechten Gestaltung von Produktionsstätten und Prozessumgebungen, dem sogenannten Hygienic Design, lassen sich Risiken in der Lebensmittelherstellung minimieren. „Hygienic Design bedeutet, Apparate und Komponenten so zu konstruieren, dass sie schnell, einfach, effizient und vollständig zu reinigen sind. Verunreinigungen, Kreuzkontaminationen, alles, was die Lebensmittelsicherheit durch unpassende Maschinenkonstruktion gefährdet, wird durch hygienegerechte Gestaltung ausgeschlossen“, erklärt Dr.-Ing. Jürgen Hofmann, Experte für Hygienic Design im Maschinen- und Anlagenbau. Er weiß auch noch um andere Vorteile: „Wenn Unternehmende die Reinigungsprozesse von vornherein mit einplanen, werden die Prozesse schlank und effizient. Sie sparen Ressourcen und Manpower.“

Experte für Hygienic Design: Dipl-Ing. Jürgen Hofmann

Hygienegerechte Gestaltung vermeidet Kontaminationen und Verunreinigungen

Hofmann ist seit vielen Jahren Mitglied des Hygienic-Design-Netzwerks an der Universität Weihenstephan. Er berät Herstellende von Produktionsanlagen, Apparaten oder Komponenten sowie Lebensmittelproduzierende bei der Planung ihrer Produktionsstätten. Er gibt Empfehlungen zum Kauf der passenden Maschinen und prüft sie als unabhängige dritte Instanz. Dabei achtet er auf verschiedene Aspekte, ob zum Beispiel Anlagen einfach zu zerlegen und Oberflächen gut zugänglich für eine manuelle Reinigung sind. Oder er empfiehlt Maschinen, die Produktionsanlagen automatisiert reinigen können: „Eigentlich ist Hygienic Design keine komplizierte Raketenwissenschaft. Ich erlebe jedoch immer wieder, dass Lebensmittelherstellende die Reinigung in ihrer Planung nicht einkalkulieren und erst am Schluss überlegen, welche Maschinen und wie viel Manpower sie zur Reinigung eigentlich brauchen. Das verursacht manchmal nachträglich richtig hohe Kosten.“

 

Die Anlagen nach EHEDG-Richtlinien zu prüfen, ist keine einmalige Angelegenheit. Nimmt der Produzierende im weiteren Betrieb Änderungen an der Anlage vor oder werden Teile ersetzt, muss auch hier anschließend nachgewiesen werden, dass die Anlage weiterhin den Richtlinien entspricht.

Dipl-Ing. Jürgen Hofmann

Hygienic Design: zu reinigende Flächen müssen leicht zugänglich sein

In seinen Beratungen und Gutachten orientiert sich Hofmann an den Leitlinien der European Hygienic Engineering and Design Group (EHEDG). Die EHEDG hat es sich zum Ziel gesetzt, die EU-Maschinenrichtlinie zu interpretieren und die Leitfäden zur Umsetzung hygienegerechter Gestaltung zu publizieren. Gleichzeitig treibt die EHEDG die Bildung von Netzwerken voran, um weltweit einheitliche Standards zu schaffen.

Schwerpunkte einer Begutachtung von Maschinen sind zum Beispiel Aspekte wie:

  • die Zugänglichkeit von Komponenten für die Reinigung: „Typische Schwachstellen bei der Reinigung sind zum Beispiel Umlenkrollen oder Antriebe im Förderband“, berichtet Hofmann. Wenn in diesen Bereichen etwas herunterfalle, würde es beim Säubern oft übersehen. Deswegen sei die Zugänglichkeit zu diesen Bereichen besonders wichtig, um Kontaminationen und Verunreinigungen der Lebensmittel zu vermeiden
  • die Verbindungstechnik wie Schraubverbindungen mit Unterlegscheiben, Gleitleisten oder die Befestigung von Seitenbarrieren. „Gerade Gleitleisten sind von der Förderbandseite her oft mit Inbusschrauben verschraubt. Dort läuft direkt das Produkt entlang, verfängt sich gerne in den Köpfen der Schrauben und wird beim Reinigungsvorgang nicht entfernt. Wenn ich mir hier eine andere Verbindungstechnik überlege – zum Beispiel von außen statt von innen verschraube – ist auf der Produktseite nur noch eine glatte Kunststoffoberfläche, die sich ganz leicht reinigen lässt“, so der Experte
  • die Qualität von Schweißnähten und die Vermeidung von Nischen, Ecken oder Hohlräumen, in denen sich Flüssigkeiten ansammeln könnten

Hofmann begutachtet in seinen Prüfungen auch die Werkstoffe, die mit den Lebensmitteln in Kontakt kommen. Sie müssen den Vorgaben des Gesetzgebers entsprechen, um die Lebensmittel nicht zu beeinflussen. Eine Vorgabe, die auch für die Maschinenkomponenten gilt: Förderbänder müssen aus Werkstoffen bestehen, die keine Rückstände hinterlassen. „Natürlich beachte ich auch, dass Mitarbeitende geschult werden“, rundet Hofmann sein Aufgabenfeld ab.

Besonders im Bereich Convenience Food besteht Bedarf

Doch der Prozess lohnt sich. „Hygienic Design bedeutet, dass der Reinigungsprozess so effizient und umweltschonend wie möglich durchgeführt wird. Die Prozesse werden insgesamt sicherer, die Anlagen sind länger verfügbar, es braucht weniger Monitorings und insgesamt gibt es viel weniger Produktionsverluste“, ergänzt Hofmann. Für ihn zählt Hygienic Design zu den wichtigen Themen der Zukunft: „In den letzten Jahren sind viele neue Produkte entstanden, zum Beispiel für Allergiker und Veganer“, erklärt er. Hier sei die Produktion besonders kritisch, die Herstellenden müssen darauf achten, Kreuzkontaminationen zu vermeiden.

Einen zunehmenden Bedarf an Hygienic Design sieht Hofmann im Bereich der vorgefertigten Produkte, dem sogenannten Convenience Food. Hier häufen sich in jüngster Zeit Rückrufe und Lebensmittelskandale. Dabei handelt es sich bei den Mikrowellengerichten, dem abgepackten Salat, der vorgeschnittenen Wurst und den eingeschweißten Sandwiches laut Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) um einen wachsenden Trend in der Lebensmittelbranche. Schon jetzt zählen zwischen 80 und 90 Prozent aller Lebensmittel in deutschen Supermärkten zum Convenience Food. Für Hofmann ist das ein Problem: „Je vorgefertigter ein Produkt ist, desto kritischer ist das Produkt in punkto mikrobiologischer Dekontamination.“ Er führt als Beispiel Fertigprodukte für die Mikrowelle an, die nur selten über eine Temperatur von 70 Grad erhitzt werden, um Keime und Bakterien abzutöten. Hofmann weiß aber auch, dass bei Lebensmittelskandalen immer mehrere Faktoren eine Rolle spielen: „Anlagen, die nicht leicht zu säubern sind, werden dann meistens auch noch schlecht gereinigt und das von Mitarbeitenden, die dafür nicht ausgebildet sind.“

Hygienic Design als wesentlicher Bestandteil sicherer Lebensmittelproduktion

Anlagen im Hygienic Design sind also nicht die einzige Lösung, um Rückrufen und Lebensmittelskandalen vorzubeugen. „Aber sie tragen wesentlich zur Vermeidung bei“, erklärt Hofmann und wünscht sich insgesamt mehr Wachsamkeit aufseiten der Unternehmen: „Wir haben zwar Gesetze, die alles regeln, aber bislang liegt alles in der Eigenverantwortung der Herstellenden. Ich wünsche mir daher, dass Unternehmen ihre Verantwortung ernster nehmen.“ Hofmann empfiehlt Herstellenden eine frühzeitige Planung und kontinuierliche Beachtung des Themas Hygienic Design. „Unternehmende reduzieren auf diese Weise Risiken für einen Skandal und stärken das Vertrauen der Konsumierenden und Zulieferer. Sie minimieren langfristig Kosten, und die Amortisation von Hygienic Design ist extrem kurzweilig. Im Gegenzug ist nichts so teuer wie eine unpassende Maschine oder ein Schaden der eigenen Reputation.“  

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Stand: 12. März 2020

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