Datenspeicherung
Wie das Menschheitserbe über Millionen Jahre im All bewahrt werden soll.

06. November 2025
Wie lässt sich das sprachliche und kulturelle Erbe der Menschheit bewahren? Per Speichermedium auf dem Mond – das hat sich das US-amerikanische Unternehmen Barrelhand überlegt und dafür eigens eine gemeinnützige Initiative gestartet. Die Fachleute von ALTER I HTV, einer Tochter der TÜV NORD GROUP, spielen bei diesem ambitionierten Projekt eine entscheidende Rolle.
Verheerende Kriege, Verfolgung von Minderheiten, Umweltzerstörung, Artensterben und Klimaerwärmung: Im Laufe unserer Menschheitsgeschichte sind wir mit der Erde und miteinander nicht unbedingt immer rücksichtsvoll umgegangen. Zugleich hat der Homo sapiens über die Dauer seiner Existenz die Demokratie hervorgebracht und sich etwa auch philosophisch und künstlerisch mit der Welt und der eigenen Existenz auseinandergesetzt. Ein kulturelles Erbe, das es für kommende Generationen zu bewahren gilt – und das möglichem anderem Leben im All einen ersten Eindruck davon vermitteln könnte, wer wir sind oder waren.
Diesem hehren Ziel hat sich Barrelhand verschrieben. Das kalifornische Technologieunternehmen setzt dazu auf eine Nanogravurtechnologie namens NanoFiche. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein gewöhnlicher US-Penny, ist tatsächlich ein innovatives Speichermedium, das auf seiner daumenkleinen Metallscheibe unter anderem 106 Kunstwerke aus 30.000 Jahren Menschheitsgeschichte unterbringt: angefangen von Höhlenmalereien über Meisterwerke der Renaissance, Romantik und des Jugendstils bis hin zu Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler. Aber auch Malereien von Kindern aus einem sozialen Projekt in San Francisco wurden auf der „Memory Disc V3“ verewigt. Das gilt ebenso für die französische Originalausgabe von „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry.
Passenderweise ist auch die Pulsar-Karte der 1977 gestarteten Voyager-Sonden in den Speicher graviert, dem ersten Versuch der Menschheit, außerirdischen Zivilisationen einen Eindruck unserer Kultur zu geben und ihnen den Weg zu unserer Heimatadresse zu weisen.
Außerdem wurden 286 Übersetzungen der Leitidee der UNESCO auf der Memory Disc verewigt. „Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden“ – so heißt es in der Verfassung der 1945 gegründeten Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die sich an dem Projekt beteiligt. „Sprachen tragen das Wissen, die Identität und die Weltanschauungen der Völker in sich“, sagt Tawfik Jelassi, stellvertretender UNESCO-Generaldirektor für Kommunikation und Information. Durch ihre Beteiligung an der Initiative habe die UNESCO sicherstellen wollen, dass keine Sprache und keine Kultur auf der Memory Disc außen vor bleibe.
Gefertigt wurde der münzgroße Menschheitsspeicher aus Rohnickel, und das nicht ohne Grund. Denn das silbrige Metall ist korrosionsbeständig. Es kann also nicht rosten, soll kosmischen Extremen wie Strahlung, Magnetfeldern und großer Hitze und Kälte standhalten und die auf ihm festgehaltenen Informationen so über Millionen Jahre im Weltall bewahren.
Gespeichert werden die Texte und Bilder mittels der NanoFiche-Technologie, einem Lasergravurverfahren mit einer Auflösung von 133.000 dpi („dots per inch“). Das ermöglicht Strukturen von nur 200 Nanometern, also etwa 420-mal feiner als ein menschliches Haar. Auf diese Weise passen Barrelhand zufolge 4,5 Gigabyte Daten auf die kleine Metallscheibe, so viel wie auf eine herkömmliche DVD. Doch anders als diese kann die Memory Disc nicht zerkratzen oder verbrennen und erfordert auch kein spezielles Abspielgerät, um die gespeicherten Informationen auslesen zu können. Es braucht nur Licht und Linsen – allerdings besonders starke, wenn man die gravierten Kunstwerke in all ihrer Detailfülle betrachten will.
Ob das Verfahren hält, was es verspricht, die miniaturisierten Texte tatsächlich lesbar sind und die mikroskopischen Meisterwerke den großen Originalen gleichkommen, das haben die Fachleute von ALTER | HTV unter ihre Lupen genommen. Eine ungewöhnliche Aufgabe für die Mitarbeitenden des Tochterunternehmens der TÜV NORD GROUP aus dem südhessischen Bensheim, widmen sie sich in ihrer tagtäglichen Arbeit doch der minutiösen Prüfung elektronischer Komponenten.
Zunächst verschaffte sich das Team um den Physiker Christian Melzer mit hochauflösenden optischen Mikroskopen einen umfassenden Überblick über die gesamten Inhalte der Memory Disc und nahm anschließend Detailansichten auf. „Da optische Mikroskope ab einem gewissen Detailgrad an ihre Grenzen stoßen, haben wir außerdem Rasterelektronenmikroskopie eingesetzt, um besonders detailreiche oder kleine Objekte präzise zu dokumentieren“, erläutert Melzer.
Wie Fotografinnen und Fotografen, die Bakterien, Viren oder Zellstrukturen visuell bannen, mussten die Fachleute ihre Mikroskope sehr sorgfältig auswählen und optimal einstellen, um die Bilder und Texte der Memory Disc bestmöglich einfangen zu können. „Dabei mussten wir die Grenzen der Machbarkeit ausloten und extrem sauber arbeiten, um Oberflächenkontaminationen zu vermeiden“, schildert der Physiker. Das finale Urteil des Experten fiel dabei eindeutig aus: „Die Darstellungsqualität der Memory Disc ist beeindruckend; selbst kleinste Objekte im Mikrometerbereich sind detailreich abgebildet.“
Noch Ende 2025 soll die erste Memory Disc V3 Astronautinnen und Astronauten auf einer Mission des US-Unternehmens Astrobotic Technology zum Mond begleiten und in der Nähe seines Südpols abgesetzt werden. Eine zweite Mission ist für 2027 geplant. Bei dieser wird die Speichermünze in den Mond-Rover der Raumfahrtfirma Ispace integriert und dort im Schrödinger-Krater hinterlassen.
Bei all ihrer verblüffenden Detailtiefe – noch zeigt die Memory Disc die Meisterwerke der Kunstgeschichte nur monochrom statt farbig. Doch dabei müsse es nicht bleiben, ist Experte Melzer von ALTER I HTV überzeugt: „Um die Farbinformationen der Bildvorlagen zu bewahren, könnte die Zerlegung der Bilder in Farbkanäle eine vielversprechende Lösung bieten.“ So könnten künftige Generationen oder außerirdische Intelligenzen das Lächeln der Mona Lisa oder die ikonische „Große Welle vor Kanagawa“ des japanischen Farbholzschnittmeisters Katsushika Hokusai noch in Millionen von Jahren in all ihrer farbigen Finesse auf dem Mond bewundern.
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