Gute Frage, nächste Frage
Von emotionalen Premieren bis zu erlernten Routinen.
11. September 2025
Als Kind konnten die Sommerferien eine Ewigkeit dauern, doch mit zunehmendem Alter scheinen die Jahre immer schneller an uns vorbeizuziehen. Warum nimmt mit fortschreitender Lebensdauer die Zeitverfluggeschwindigkeit zu?
Kinder, wie die Zeit vergeht: Mit dem Gefühl, dass die Zeit im Alter schneller verfliegt, sind wir nicht allein. Das hat eine Untersuchung der Psychologen Marc Wittmann und Sandra Lehnhoff ergeben. 2005 befragten sie 500 Menschen zwischen 14 und 94 Jahren zu ihrem Zeitempfinden. Das eindeutige Resultat: Je älter die Befragten waren, desto eher hatten sie den Eindruck, die Zeit vergehe schneller.
Forschende der US-amerikanischen Duke University erklären sich dieses Phänomen mit der Art und Weise, wie und wie schnell unser Gehirn Bilder verarbeitet. Je älter wir werden, desto langsamer nehme unser Hirn Bilder auf. Die Gründe dafür seien die Veränderung und die Alterung unserer Neuronen- und Nervennetze. Die Folge davon: In der gleichen Zeitspanne werden weniger Bilder verarbeitet, weniger Erlebnisse füllen das Gehirn – die Zeit vergeht gefühlt schneller.
Was die Zeit dehnt – und schrumpfen lässt
Für den Psychologen Marc Wittmann, der sich seit Jahren mit dem Zeitempfinden beschäftigt, spielt neben der Quantität auch die Qualität unserer Erlebnisse und Erinnerungen eine zentrale Rolle dafür, wie schnell oder langsam für uns die Zeit vergeht. Ein Beispiel: Verbringen wir ein verlängertes Wochenende in Paris, lassen uns von unserer Neugier durch die Straßen treiben und landen am Abend übervoll mit Eindrücken im Hotelzimmer, können sich diese drei Tage wie eine Woche anfühlen. Entspannen wir stattdessen eine Woche zu Hause auf der Couch oder auf Balkonien, ist der Urlaub gefühlt vorbei, bevor er angefangen hat. Oder ein anderes ähnliches Beispiel: Wir fahren für drei Wochen ans Meer. Während die ersten Tage vergleichsweise lange zu dauern scheinen, vergeht die Zeit mit zunehmender Urlaubsdauer gefühlt immer schneller, wie auch israelische Forschende in Befragungen von Strandurlaubenden ermitteln konnten.
Die Ursache: Anfangs wartet hinter jeder Ecke etwas Neues – Gerüche, Sprache, Essen, Architektur und Mentalität sind anders und unbekannt. Wir erleben viel und sammeln viele Erinnerungen. Spätestens in der zweiten Woche wissen unsere Füße jedoch bereits, wie sie auf dem kürzesten Weg zum Strand, zum Supermarkt und zum Stadtzentrum kommen. Wir haben uns eingerichtet und eingewöhnt, die Neuartigkeit ist zum Alltag, zur Routine geworden. Und für Gewohntes und Wiederholtes macht unser Gedächtnis weniger Speicherplatz frei. Wir sammeln weniger Erinnerungen, und die Zeit vergeht gefühlt schneller. Und was für den Urlaub gilt, trifft insbesondere auch für längere Lebensabschnitte zu.
All die allerersten Male
In den ersten 30 Jahren unseres Lebens passiert eine Menge und vieles davon zum ersten Mal: Wir lernen Radfahren, Schwimmen und nach dem Hinfallen wieder aufzustehen. Wir kommen in die Schule, finden neue Freundinnen und Freunde, wir verlieben uns, werden enttäuscht, wir feiern die ersten Partys, haben das erste Mal Sex, beginnen eine Ausbildung oder ein Studium, ziehen in eine neue Stadt oder gar in ein neues Land. Wir knüpfen neue Freundschaften, führen Beziehungen, trennen uns oder werden verlassen. Wir treten den ersten Job an, erleben die ersten beruflichen Erfolge oder Krisen. All das ist aufregend, berauschend, beängstigend: Es ist hochemotional. Und es schafft viele Erinnerungen von tiefer Bedeutung, weshalb uns unsere ersten drei Lebensdekaden im Rückblick so besonders lang erscheinen.
Rein und raus aus den Routinen
Läuft unser Leben erst einmal in regelmäßigeren und geordneten Bahnen, schwindet dieser Effekt. „Je älter wir werden, desto weniger signifikante Erfahrungen werden gemacht und im Gedächtnis gespeichert“, so Psychologe Wittmann gegenüber Ze.tt. Die gefühlte Zeit beschleunigt sich. Der innere abendfüllende Spielfilm, den wir bis in unsere 30er erlebt haben, schrumpft für die folgenden Jahrzehnte zu einem kurzen Was-bisher-geschah zusammen.
Für Menschen über 60 scheint sich die Zeitverfluggeschwindigkeit dann allerdings wieder zu verlangsamen, so ein interessantes Ergebnis von Wittmanns Untersuchungen. Eine Erklärung dafür: Der Ausstieg aus dem Arbeitsleben bietet wieder mehr Zeit, um Neues auszuprobieren und große oder kleine Premieren zu erleben, die sich in der Erinnerung verankern.
Wer das eigene Zeitempfinden entschleunigen will, muss damit aber sicher nicht bis zur Rente warten. Und selbst wenn die immerwährenden Sommerferien aus Grundschultagen im Erwachsenenalter kaum zu reproduzieren sind: Öfter unbekannte Orte zu bereisen, mal ein neues Hobby oder einen anderen Weg von der Arbeit nach Hause auszuprobieren – das sind schon kleine und gute Anfänge, um bewusst neue Erfahrungen zu machen und so das eigene Lebenszeitgefühl wieder weiter auszudehnen.
Dies ist ein Artikel von #explore. #explore ist eine digitale Entdeckungsreise in eine Welt, die sich in rasantem Tempo wandelt. Die zunehmende Vernetzung, innovative Technologien und die alles umfassende Digitalisierung schaffen Neues und stellen Gewohntes auf den Kopf. Doch das birgt auch Gefahren und Risiken: #explore zeigt einen sicheren Weg durch die vernetzte Welt.