Logistik
KI-Systeme schützen zu lassen, ist nicht einfach. Wir geben Ihnen einen Überblick über die zentralen Anforderungen.
Zum Blog Wissen kompaktAlgorithmen gewinnen an Bedeutung in der Logistik. Ob in der Lagerhaltung oder der Transportoptimierung, künstliche Intelligenz eröffnet neue Möglichkeiten, Prozesse effizienter, kostensparender und sicherer zu machen. Damit wächst auch die Zahl der Patentanmeldungen für KI-Entwicklungen.
Allerdings ist Patentschutz für künstliche Intelligenz ein komplexes Thema, und wer ein Patent auf KI anmelden will, begegnet besonderen Herausforderungen. Worin diese bestehen und wie Unternehmen sie bewältigen, darüber haben wir uns mit Patentanwalt Moritz Ernicke unterhalten.
Wenn wir von KI in der Logistik sprechen, meinen wir in aller Regel Systeme, die mithilfe eines komplexen Algorithmus Probleme lösen beziehungsweise Entscheidungen treffen können. Wichtig ist: Dabei handelt es sich um Probleme, für die die Maschine angelernt ist. Roboter, die selbstständig Aufgabenstellungen erkennen und sich Wissen dafür aneignen (starke KI), sind Zukunftsmusik.
Trotz dieser Einschränkung eröffnet künstliche Intelligenz bereits heute enorme Möglichkeiten, große Mengen unstrukturierter Daten in Rekordzeit zu verarbeiten, Muster zu erkennen und selbstständig Entscheidungen zu treffen.
Diese Möglichkeiten lassen sich sowohl in der Lagerhaltung als auch im Transport nutzen, zum Beispiel für
Welchen Stellenwert künstliche Intelligenz in Zukunft haben wird, lässt sich an einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) ablesen. Sie prognostiziert bis 2030 einen Anstieg des weltweiten Bruttoinlandsproduktes um rund 14 Prozent allein durch KI-Innovationen. In Deutschland sind es immerhin noch 11,3 Prozent.
Auch Moritz Ernicke beobachtet, dass der „Bereich künstliche Intelligenz“ stark wächst. „Einer der wichtigsten Treiber dafür ist vermutlich, dass es mittlerweile vortrainierte Algorithmen gibt, die man mit wenigen Adaptionsschritten an einen Anwendungsfall anpassen kann.“ Außerdem sei das Thema inzwischen an den Hochschulen verankert.
Ob es Sinn macht, Patentschutz für eine KI-Entwicklung zu beantragen, hängt laut Moritz Ernicke vor allem von einer Frage ab: „Wie viel Geld wird mit der Entwicklung in Zukunft voraussichtlich verdient beziehungsweise wie groß ist der wirtschaftliche Nutzen?“
Meist sind an der Entwicklung von KI-Systemen mehrere Akteure beteiligt. Sie ziehen einen unterschiedlich großen Nutzen aus dem System, melden unterschiedliche Patente an und verfolgen verschiedene Ziele mit diesen.
Um die Mehrschichtigkeit von Patentanmeldung für KI zu demonstrieren, führt Moritz Ernicke folgendes Beispiel an: Mithilfe eines KI-Verfahrens soll ein autonom fahrendes Logistikfahrzeug in einer Unfallsituation entscheiden, welches von zwei Objekten schutzwürdiger ist.
Hat es also die Wahl, ob es mit einer Mülltonne kollidiert oder einen Lagermitarbeiter anfährt, soll es sich für Ersteres entscheiden.
In diesem Fall könnte es zum Beispiel zu folgenden Patentanmeldungen verschiedener Akteure kommen:
Unternehmen, die KI-Systeme beziehungsweise Bestandteile von KI-Systemen entwickeln, stehen vor einer zentralen Herausforderung:
Ein Patent auf Software allein ist in Deutschland und Europa ausgeschlossen. Dasselbe gilt für mathematische Formeln. Die Erfindung muss „technisch“ sein.
Das heißt: Um ihre Entwicklung schützen zu lassen, müssen Unternehmen in der Patentanmeldung einen Bezug zur physischen Welt herstellen, indem sie beispielsweise die Art der zu verarbeitenden Dateninhalte definieren oder Sensoren/Aktoren in den Schutz einbeziehen.
In unserem Beispiel wäre es möglich, ein Patent auf Systeme oder Verfahren anzumelden, mit denen Bilder aus der Umgebung eines Fahrzeugs analysiert werden, die bestimmte Objekte zeigen. Schwierig ist es dagegen, Patente allein auf Lerndatensätze zu erhalten, unabhängig von Anwendungsfällen. Außerdem kann es notwendig sein, einen Lerndatensatz als physisch gespeichertes Softwareprodukt zu schützen, um Software patentieren zu lassen.
Davon abgesehen müssen KI-Entwicklungen die allgemeinen Anforderungen an Patente erfüllen. Dazu gehört, dass sich ihre Patentwürdigkeit am Stand der Technik bemisst. Vereinfacht gesagt heißt das, die Erfindung muss neu sein und sie muss auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
Ein entscheidender Faktor bei der Anmeldung von Patenten, ob KI oder nicht, ist laut Moritz Ernicke das richtige Timing:
Ausdrücklich warnt Moritz Ernicke davor, mit einem fertigen Prototyp auf potenzielle Kunden zuzugehen und das Patent erst anzumelden, wenn diese Interesse bekunden. Bevor ein Patent angemeldet ist, sollte stets mit allen externen Kommunikationspartnern eine Geheimhaltungsvereinbarung geschlossen werden. Aber selbst dann bestehe das Risiko, dass eine solche Vereinbarung vom Kunden gebrochen wird und dieser die Idee an einen Dritten weitergibt. Veröffentliche der Dritte die Idee, sei es in der Regel schwer, den Bruch der Geheimhaltungsvereinbarung durch den Kunden nachzuweisen.
Das Ergebnis: Eine Patentanmeldung ist nicht mehr möglich und Schadenersatz einzuklagen schwierig.
Stattdessen rät Moritz Ernicke, ungefähr ein Jahr vor der geplanten Produkteinführung eine nationale Erstanmeldung einzureichen:
Die Vorteile dieser Herangehensweise: Unternehmen stellen sicher, dass sie mit der ersten Anmeldung einen frühen Zeitrang beanspruchen, und sie können in der zweiten Anmeldung nachschärfen. Das heißt, sie können auf Basis der Erkenntnisse des Rechercheberichts Formulierungen im Patent nachschärfen und Details der Erfindung ergänzen, die sich als relevanter Unterschied herausstellen, um sich klarer vom Stand der Technik abzugrenzen und die Qualität des Patents zu verbessern.
Patente für KI-Entwicklungen in der Logistik zu erlangen, ist kein leichtes Unterfangen. Speziell die Tatsache, dass das deutsche und europäische Patentrecht nicht-technische Gegenstände vom Patentschutz ausschließen, kann eine Hürde darstellen. Denn was als technisch angesehen wird, lässt sich manchmal schwer voraussagen. Reicht es zum Beispiel aus, wenn Daten über eine elektronische Schnittstelle empfangen, verarbeitet und in anderer Form ausgegeben werden?
Dennoch, betont Moritz Ernicke, sei es meist möglich, einen Patentschutz zu erlangen, der die eigenen wirtschaftlichen Interessen abdecke. Dass sich das Europäische Patentamt regelmäßig mit dem Thema KI befasse, Veranstaltungen dazu gebe und seine Prüfungsrichtlinien erweitere, sei dabei ebenso eine Hilfe wie ein findiger Patentanwalt. Denn letzten Endes gehe es oft vor allem darum, die Erfindung auf mehreren Abstraktionsebenen zu beschreiben und die Formulierungen in einer Patentanmeldung flexibel zu gestalten, um sie an die aktuelle Rechtsprechung anpassen zu können.
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