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Checkliste

Der Preis von CO2

22. Mai 2025

Bis 2030 will die EU die Emissionen klimaschädlicher Gase gegenüber 1990 um mindestens 55 Prozent reduzieren, bis 2050 klimaneutral werden. Wichtigster Hebel, um dieses Ziel zu erreichen, ist nach wie vor der europäische Emissionshandel. Aber wie funktioniert das Emissions Trading System, kurz ETS, überhaupt? Unsere Checkliste klärt die wichtigsten Fragen.

 

Was ist der europäische Emissionshandel?

Am 1. Januar 2005 trat der europäische Emissionshandel (Emissions Trading System, ETS) in Kraft. Heute sind neben den 27 EU-Ländern auch Liechtenstein, Island und Norwegen daran beteiligt. Das Prinzip dahinter: Wer CO2 oder andere klimaschädliche Gase wie Lachgas ausstößt, muss das mit Zertifikaten kompensieren, also „bezahlen“. Pro Tonne CO2 wird ein Zertifikat fällig. Die Emissionszertifikate werden von der EU vergeben: Einige werden gratis zugeteilt, andere müssen die Unternehmen in Auktionen an einer Börse erwerben. Jedes Jahr müssen sie gegenüber der EU exakt so viele Zertifikate vorweisen, wie sie CO2 ausgestoßen haben. Ansonsten drohen Strafen von 100 Euro pro fehlender Tonne, die Zertifikate müssen nachgereicht werden. „Unternehmen müssen also entsprechend genau sein, sonst können hier schnell empfindliche Summen auflaufen“, sagt Susanne Günzerodt, Leiterin der Business Entity Nachhaltigkeit in der Business Unit Certification bei TÜV NORD CERT. Da die Gesamtmenge der zur Verfügung stehenden Emissionsrechte von Jahr zu Jahr sinkt, steigt tendenziell auch der Preis für die Zertifikate – und damit der Anreiz für Unternehmen, ihre Prozesse effizienter und klimafreundlicher zu gestalten.

 

Was steht hinter dem Prinzip Cap & Trade?

Eine Obergrenze (Cap) legt fest, wie viele Emissionen die erfassten Industriezweige insgesamt ausstoßen dürfen. Für diese Gesamtmenge gibt die EU CO2-Zertifikate aus. Schafft es ein Unternehmen, seinen Treibhausgasausstoß zu reduzieren, kann es seine überschüssigen Verschmutzungsrechte an andere Firmen verkaufen (Trade), die ihre Emissionen nicht ausreichend reduzieren konnten und entsprechend mehr Zertifikate benötigen. „Die ökonomische Idee dahinter ist, dass Emissionen zunächst in den Bereichen reduziert werden, wo es besonders günstig ist, und dass andere Branchen nachziehen, wenn die technologische Entwicklung einen wirtschaftlich tragfähigen Umstieg erlaubt“, erläutert Günzerodt.

 

Welche Branchen und Sektoren werden vom EU-Emissionshandel erfasst?

Emissionshandelspflichtig sind alle Strom- und Wärmekraftwerke, deren Leistung mindestens 20 Megawatt beträgt. Das kleine Blockheizkraftwerk fürs Wohngebiet fällt also in der Regel nicht darunter. Hinzu kommen energieintensive Industrien, etwa die Chemiebranche, Stahlwerke, Raffinerien, Zementwerke, Papier- und Glashersteller. Seit 2012 ist außerdem der innereuropäische Luftverkehr in den ETS einbezogen, der Seeverkehr ist 2024 dazugekommen. Aktuell deckt der EU-Emissionshandel rund 45 Prozent der Treibhausgasemissionen in Europa ab. Ab 2027 wird er schließlich auch auf die Sorgenkinder der Energiewende ausgeweitet: den Gebäude- und Verkehrsbereich. „Der europäische ETS löst damit auch das deutsche Brennstoffemissionshandelsgesetz ab, das fossile Brennstoffe zum Heizen und Fahren seit 2021 mit einem CO2-Preis belegt“, erklärt Günzerodt. Statt über einen Festpreis bilden sich die CO2-Kosten für Heizöl, Gas oder Benzin dann am Markt. Fachleute rechnen daher mit deutlichen Preissprüngen: Studien zufolge könnten sich die Kosten je Tonne gegenüber dem deutschen CO2-Preis auf 200 Euro verdreifachen.

 

Warum werden CO2-Zertifikate auch gratis vergeben?

„Die EU will durch die kostenlose Vergabe europäische Unternehmen vor Konkurrenz aus dem Ausland schützen und zugleich verhindern, dass sie ihre CO2-intensive Produktion in andere Länder verlagern“, erläutert Expertin Günzerodt. Von Umweltverbänden wird diese Vergabepraxis seit Beginn des Emissionshandels kritisiert. Auch in Reaktion auf diese Kritik wurde das ETS in den 20 Jahren seines Bestehens immer wieder reformiert, weiterentwickelt und nachgeschärft: Stromerzeuger bekommen seit 2013 keine Gratis-Zertifikate mehr. Im Luft- und Seeverkehr wird damit ab 2026 Schluss sein, 2034 soll die kostenlose Vergabe dann ganz auslaufen. Stahl- und Papierhersteller oder andere energieintensive Industrien bekommen aber auch heute von der EU keinen Blankoscheck für ihre Emissionen ausgestellt: Grundlage für die kostenlose Zuteilung sind seit 2013 Benchmarks für die jeweiligen Industriezweige und Produkte. „Diese Benchmarks basieren auf den zehn Prozent der effizientesten Anlagen in der EU in der jeweiligen Branche“, erklärt Günzerodt. Wer also etwa 100.000 Tonnen Stahl produziert, bekommt nur so viele kostenlose CO2-Zertifikate, wie ein besonders effizientes Stahlwerk dafür benötigen würde. Der Rest muss zugekauft werden.

 

Was passiert mit dem Geld aus dem Verkauf der CO2-Zertifikate?

Allein Deutschland hat 2024 über den europäischen Emissionshandel 5,5 Milliarden Euro erzielt. Diese Erlöse fließen vollständig in den Klima- und Transformationsfonds, mit dem unter anderem die energetische Gebäudesanierung sowie der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Ladeinfrastruktur für E-Autos gefördert wird. Auch die Erlöse aus dem nationalen Emissionshandel für Wärme und Verkehr fließen in diesen Fonds. Sie beliefen sich 2024 auf rund 13 Milliarden Euro.

 

Erfüllt das ETS seinen Zweck – wird der CO2-Ausstoß in Europa also signifikant gesenkt?

Die kurze Antwort: mittlerweile schon. Die lange Antwort: Insbesondere in den ersten beiden Phasen des ETS bis 2013 wurden aus unterschiedlichen Gründen zu viele Zertifikate ausgegeben. Die Folge: massiver Preisverfall. Eine Tonne CO2 konnte phasenweise für nicht einmal fünf Euro ausgestoßen werden. Viel zu wenig, um Unternehmen zum Umstieg zu motivieren. „Die anvisierten Reduktionsziele wurden dadurch verfehlt“, sagt Günzerodt. „Die EU hat daher 2019 die sogenannte Marktstabilitätsreserve eingeführt – ein Instrument, um überschüssige Zertifikate aus dem Markt zu ziehen.“ Mit merklichen Auswirkungen auf die Preisentwicklung: Zwischen 2020 und 2023 kletterten die Kosten für eine Tonne CO2 von knapp 25 auf rund 84 Euro. Zu 2017 haben sich die Zertifikatspreise gar versiebzehnfacht. Das schlägt sich auch in der Minderungsquote nieder: Seit der Einführung des ETS im Jahr 2005 wurde der CO2-Ausstoß in den erfassten Industriezweigen und Verkehrsbereichen um 50 Prozent reduziert, vermeldete die EU im April 2025. Man sei daher auf einem guten Weg, das für 2030 angestrebte Ziel einer Minderung von 62 Prozent zu erreichen. Grund dafür sind natürlich auch weitere politische Weichenstellungen für mehr Energieeffizienz und erneuerbare Energien, nicht nur der Emissionshandel. Der sei auch heute sicherlich noch nicht perfekt, sagt Expertin Günzerodt. Doch in jedem Fall habe er die Klimaschutzpolitik auf eine deutlich stabilere Datenbasis gestellt: „Durch die Verpflichtung, auf den eigenen CO2-Ausstoß zu achten, haben Unternehmen oft erst festgestellt, in welchen auch unerwarteten Bereichen überhaupt Emissionen anfallen und wo entsprechend Potenziale für Minderungen bestehen.“

 

Wie wird geprüft, ob Unternehmen ihre gesamten CO2-Emissionen melden?

Am Emissionshandel beteiligte Unternehmen sind unter anderem verpflichtet, jährlich gegenüber der EU detailliert darzulegen, wie viel CO2 sie ausgestoßen haben. Diese Emissionsberichte müssen von akkreditierten Prüfstellen wie TÜV NORD CERT verifiziert werden. „In Vor-Ort-Begehungen überprüfen wir unter anderem, ob alle Emissionsquellen berücksichtigt und die Messgeräte, mit denen etwa der Gasverbrauch erfasst wird, vorschriftsmäßig kalibriert und gewartet sind“, erklärt Susanne Günzerodt das Vorgehen. In der Datenprüfung schauen sich die Fachleute dann an, ob die vorgelegten Verbrauchsdaten der Betreiber vollständig erfasst und richtig berechnet sind. „Je komplexer die Anlage, desto komplexer ist auch die Überprüfung“, so Günzerodt. In der Stahlindustrie beispielsweise müssen die CO2-Emissionen von Kokerei, Hochofen, Stahlwerk und weiteren Prozessen korrekt ermittelt und zusammengerechnet werden, erläutert die Expertin: „Gerade die Herausforderung, sich in solche komplexen Systeme und Prozessabläufe einzudenken, macht diese Arbeit für mich so interessant.“

 

Zur Person

Susanne Günzerodt ist Leiterin der Business Entity Nachhaltigkeit in der Business Unit Certification bei TÜV NORD CERT. Die studierte Wirtschaftsingenieurin mit Schwerpunkt Energie- und Umweltmanagement prüft mit ihrem Team beispielsweise den CO₂-Fußabdruck von Unternehmen und führt Verifizierungen im Rahmen des EU-Emissionshandels durch.

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