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Klimaresiliente Städte

Regnen, versickern, verdunsten

10. April 2025

Mit dem Klimawandel nehmen Extremwetterereignisse zu: Hitzewellen machen besonders jungen und alten Menschen schwer zu schaffen, Starkregen überfluten Straßen, setzen Keller unter Wasser und bringen die Kanalisation an ihre Grenzen. Kommunen wie Berlin arbeiten deshalb darauf hin, dass ihre Städte das kostbare Nass besser halten und speichern können – ähnlich wie ein Schwamm.

 

Wo zu DDR-Zeiten im Werk des VEB Berlin-Chemie Arzneimittel und Pestizide produziert wurden, wird heute gewohnt. Noch sind nicht alle der rund 1.000 Wohnungen im Quartier 52 Grad Nord in Berlin-Köpenick komplett – Spielplätze fehlen, Grünanlagen sind noch nicht bepflanzt. Fertig ist aber bereits seit einigen Jahren das optische Herzstück der nachhaltigen Wohnanlage: ein künstlicher See, bestehend aus mehreren Wasserbecken, die sich über insgesamt 6.000 Quadratmeter erstrecken. Der dient den Bewohnenden nicht nur zum Planschen oder um am Abend Beine und Seele baumeln zu lassen. Die Becken werden über unterirdische Rohre aus dem Regenwasser der umliegenden Häuser gespeist. So wird das kostbare Nass nicht in den Abwasserkanal gespült, sondern sorgt in der heißen Jahreszeit für angenehme Kühlung im Quartier.

Im Sommer wird das Wasser durch eine Filteranlage gereinigt. Im Winter genügt dafür die natürliche Kläranlage aus Sumpfpflanzen und Gräsern, die an den Rändern der Teiche wachsen. Ein urbanes Biotop, das Fischen und Amphibien als Lebensraum und Wasservögeln als Anflugstation dient. Häuser, die ihr Regenwasser nicht in die Becken einspeisen können, leiten sie in Rigolen: Kiespackungen im Untergrund, durch die der Regen langsam im Grundwasser versickern kann.

Schwammstadt heißt das Prinzip, dem sich das Quartier und die Stadt Berlin verschrieben hat. Es soll den natürlichen Kreislauf aus Regnen, Versickern und Verdunsten wiederherstellen, der in urbanen Räumen durchbrochen ist.

 

Wenn der Kanal voll ist

Beton und Asphalt verhindern, dass Regen im Stadtboden versickern kann. Um Überschwemmungen zu vermeiden, setzte man daher seit dem späten 19. Jahrhundert auf das Prinzip: Alles muss raus! Regenwasser wurde über Kanalisationen aus dem Stadtgebiet herausgeschafft. Ein Prinzip, das in Zeiten des Klimawandels immer öfter und spürbarer an seine Grenzen stößt.

Extremwetter wie Starkregen werden häufiger und heftiger, überfluten Keller und U-Bahnhöfe und verursachen Schäden in Millionenhöhe. Und sie bringen auch die alte Mischwasserkanalisation immer öfter zum Überlaufen, die sich in Berlin wie in fast allen Großstädten unter dem historischen Stadtgebiet erstreckt: Abwasser aus Duschen und Toiletten wird in einer Röhre mit Regenwasser zu den Klärwerken geleitet. Sind Letztere bei Starkregen voll, wird ein Teil der ungeklärten Brühe in die Flüsse abgelassen – mit oft fatalen Folgen für Fische und andere Wassertiere.

Den menschlichen Einwohnenden der Städte setzen die immer heißeren Sommer zu. Denn Beton und Asphalt heizen sich stärker und länger auf als der Erdboden. Am Tag ist es im urbanen Raum daher bis zu drei Grad wärmer als im Umland, in der Nacht sogar bis zu zwölf Grad. Das überlastet insbesondere ältere Menschen oder solche mit chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 15.600 vorzeitige Todesfälle waren in den Hitzesommern 2018 und 2019 in Deutschland zu beklagen. Eine Tendenz, die sich mit fortschreitender Klimaerwärmung weiter verschärft.

 

Unsichtbarer Fortschritt: Unter der 15.000 Quadratmeter großen Pflasterfläche des Gendarmenmarkts in Berlin wird Regen in einem Rigolensystem aufgefangen und versickert dann weiter ins Grundwasser.

Kopenhagen als Vorbild: Bereits in der ersten Hälfte der 2010er Jahre hat sich Dänemarks Hauptstadt auf den Weg zur Schwammstadt gemacht.

 
 

Grüne Dächer und Fassaden

Um den Regen dort aufzufangen und festzuhalten, wo er vom Himmel fällt, auf diese Weise den urbanen Hitzestress abzubauen und zugleich die Kanäle am Überlaufen zu hindern, haben Fachleute diverse Konzepte und Maßnahmen entwickelt. Beispielsweise bepflanzte Dächer, wie man sie im Quartier 52 Grad Nord auf den meisten Häusern sieht. Allein mit Gründächern lassen sich nach Zahlen des BUND 50 bis 100 Prozent des Regenwassers auffangen, das über das Jahr auf diese Gebäude niedergeht. Regen kann außerdem in Zisternen gespeichert und für die Toilettenspülung oder die Bewässerung von Gärten und Grünflächen genutzt werden, wie es in einem Wohnquartier in Berlin-Spandau geplant ist. Das spart kostbares Trinkwasser und damit auch die Geldbeutel der Hausbewohnenden.

Fassadenbegrünungen wie am Institut für Physik der Humboldt-Universität in Berlin-Adlershof fangen ebenfalls Wasser auf, verdunsten es im Sommer und verbessern so das Mikroklima vor Ort. Als natürliche Wärmedämmung sparen sie außerdem Energie und Kosten für Heizung und Klimaanlage.

 

Versickerungsmulden statt Baumscheiben

In der Rummelsburger Bucht, dem ersten schwammstadtgerechten Stadtquartier Berlins aus den 1990er-Jahren, stehen Bäume in begrünten Mulden, in denen sich das Regenwasser sammeln und langsam versickern kann. Im Neubaugebiet Buckower Felder werden in der Erde unter den Bäumen auch Rigolen angelegt, die noch mehr Wasser speichern können. Wie in der Rummelsburger Bucht gibt es keine Gullys mehr. Jeder Regentropfen wird nach Möglichkeit vor Ort genutzt und über das leicht abschüssig angelegte Gelände gezielt in die Mulden geleitet. Überschüssiges Wasser speist die Teiche eines künstlich geschaffenen Feuchtgebiets am Rande des Quartiers.

Nach Angaben der Berliner Regenwasseragentur fällt die schwammstadtgerechte Anlage des Wohngebiets sogar günstiger aus als der Neubau einer Kanalisation. 2018 vom Land Berlin und den Wasserbetrieben gegründet, berät die Regenwasseragentur seither Verwaltungen, Wohnungsunternehmen sowie Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer beim klugen Umgang mit ihrem Regenwasser.

Vorbild sind Städte wie Amsterdam oder Kopenhagen, die sich bereits in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre auf den Weg zur Schwammstadt gemacht haben. In Berlin ist die „Regenwasserbewirtschaftung“ seit 2018 bei neu gebauten Häusern und Wohnquartieren vorgeschrieben. Seit 2021 dürfen Neubauten innerhalb des S-Bahn-Rings ihr Regenwasser nur noch in absoluten Ausnahmefällen in den Gully abgeben.

 

Herausforderung Altbau

Was bei Neubauten durch gezielte Planung zumeist gut zu bewerkstelligen ist, stellt sich in Altbauvierteln als deutlich herausfordernder dar. Wenn Hauseigentümerinnen oder -eigentümer die Dächer oder Fassaden nachträglich begrünen, werden sie daher vom Land Berlin gefördert. Einen Aufschlag gibt es, wenn sie die Pflanzendecke mit einer Solaranlage kombinieren.

Hamburg verfolgt mit seiner Gründachstrategie seit 2014 eine ähnliche Förderpolitik. Ab 2027 werden Solargründächer in der Hansestadt bei neu gebauten oder sanierten Flachdächern sogar zur Pflicht.

 

Grüne Gullys und versteckte Schwämme

Aber der Regen macht natürlich nicht an den Hausgrenzen halt. Der Bezirk Berlin-Mitte will daher in den kommenden Jahren insgesamt 150.000 Quadratmeter entsiegeln – das entspricht der Fläche von 21 Fußballfeldern. Eine Maßnahme dabei sind etwa die grünen Gullys. Die tragen ihren Namen, weil um sie herum die Asphaltdecke aufgestemmt wird und Gras und Sträucher gepflanzt werden. Unter der Erdoberfläche sorgt ein Substrat dafür, dass Regen gut versickern kann und nur bei besonders heftigen Güssen den Gully erreicht.

Selbst unter der 15.000 Quadratmeter großen Pflasterfläche des frisch sanierten Gendarmenmarkts ist mittlerweile der Schwamm drunter: Regen wird in einem unterirdischen Rigolensystem aufgefangen und versickert dann weiter ins Grundwasser.

 

Unterirdische Abwasserparkplätze

Wenn der Himmel auch die allerletzten Schleusen öffnet, reichen die konzertierten Schwammstadtmaßnahmen zumindest aktuell noch nicht aus. Die Wasserbetriebe haben daher riesige unterirdische Abwasserparkplätze gebaut, wo das Wasser bei Starkregen zwischengelagert werden kann, bis die Kläranlagen wieder Kapazitäten haben. Insgesamt rund 300.000 Kubikmeter unterirdischer Stauraum sind unter den Innenstadtbezirken bereits entstanden, hinzu kommen 90.000 Kubikmeter an den Klärwerken.

Der größte Abwasserparkplatz erstreckt sich unter der gesamten Länge des Mauerparks. Die 654 Meter lange Röhre kann 7.611 Kubikmeter Abwasser aufnehmen. Das ist ungefähr so viel, wie in 42.000 Badewannen passt. Überflutungen wie im Jahr 2016, als die Wassermassen Autos im angrenzenden Gleimtunnel wie Spielzeuge übereinanderstapelten, sollen so vermieden werden – und die schwimmenden Bewohnenden von Spree und Panke vor einem vorzeitigen Ende bewahrt werden.

 

Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore