26. Juni 2025
Um die Industrie, die Energieversorgung und den Schwerlastverkehr insbesondere zu Wasser und in der Luft klimafreundlicher zu machen, brauchen wir große Mengen von grünem Wasserstoff. Doch der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft verläuft deutlich langsamer als geplant und erwartet. Woran hakt es? Und an welchen Stellschrauben muss gedreht werden, damit die Wasserstoffproduktion an Fahrt aufnimmt?
Die Hoffnungen waren groß im rheinland-pfälzischen Kaisersesch. Die Verbandsgemeinde in der Eifel wollte eine komplette Wasserstoffinfrastruktur aufbauen und so zu einem Pionier der Energiewende werden. Grüner Wasserstoff sollte mit regenerativem Strom erzeugt und dann verteilt, gespeichert und zum Tanken und Heizen genutzt werden. Aber ausgerechnet das Herzstück des Projekts Smartquart machte von Anfang an Probleme: Der Elektrolyseur, den eine französische Firma geliefert hatte, wollte einfach nicht funktionieren. E.ON kündigte schließlich 2024 den Vertrag, doch ein neues Gerät zu beschaffen wäre zu aufwendig und kostspielig gewesen. Um Tankstelle und Heizung dennoch mit dem leichtesten Element des Universums zu versorgen, wurde der grüne Wasserstoff mit Tankwagen herbeigeschafft. Technisch gab es in diesen Bereichen keine Probleme, entsprechend habe man laut E.ON noch etliche Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt ziehen können.
Dass es trotzdem eingestellt wird, hat nicht zuletzt mit den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen seit dem Spatenstich 2022 zu tun. „Als die Ukrainekrise kam, hatten wir echt eine Menge Unternehmen, die riesiges Interesse am Wasserstoff hatten. Denen ging es um Versorgungssicherheit“, erklärte Albert Jung, Bürgermeister der Verbandsgemeinde gegenüber dem SWR. Mittlerweile sei Erdgas aber wieder so günstig, dass sich keine Firma aus der Region an dem Wasserstoffprojekt in Kaisersesch beteiligen wolle.
Über Silvio Konrad
Silvio Konrad ist Chief Executive Officer der Business Unit Energy & Resources der TÜV NORD GROUP und Vorsitzender der Geschäftsführung von TÜV NORD EnSys.
Und das Smartquart in der Eifel ist längst nicht das einzige Projekt, das in jüngerer Zeit gestoppt oder verschoben wurde, weil die Wirtschaftlichkeit „des Öls von morgen“, wie 2020 die damalige Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) den grünen Wasserstoff nannte, noch nicht gegeben sei: Der norwegische Energieversorger Statkraft, der auch hierzulande in Sachen grüner Wasserstoff aktiv ist, hat im Mai angekündigt, sich aus der Entwicklung neuer Projekte zurückzuziehen. Ein in Hannover geplanter Elektrolyseur wurde wegen gestiegener Kosten gekippt; eine für 2028 geplante Wasserstoffpipeline zwischen Dänemark und Deutschland soll nun erst 2030 in Betrieb gehen.
Es geht (auch) voran
Es gibt allerdings auch Fortschritte zu vermelden: In Düsseldorf wurde im Mai die nach Betreiberangaben leistungsstärkste Wasserstofftankstelle Europas eröffnet, an der bis zu drei Busse, Lkw oder Brennstoffzellenautos gleichzeitig ihre Tanks auffüllen können. Der grüne Wasserstoff wird aktuell noch geliefert, ab 2026 soll er dann vor Ort erzeugt werden.
Ebenfalls im Mai ist in Schwäbisch Gmünd ein Elektrolyseur mit einer Leistung von zehn Megawatt (MW) in den Testbetrieb gegangen, der vor allem die regionale Industrie mit klimaschonendem Wasserstoff versorgen soll. Ende März hat BASF an seinem Stammsitz in Ludwigshafen eine große Elektrolyseanlage in Betrieb genommen. Sie kann eine Tonne Wasserstoff pro Stunde produzieren, der etwa für die Herstellung chemischer Grundstoffe genutzt wird und so die CO2-Emissionen des Standorts um 72.000 Tonnen jährlich senken soll. Einen „Meilenstein für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Rheinland-Pfalz, Deutschland und Europa“, so nannte Ministerpräsident Alexander Schweitzer das Projekt, das von Bund und Land mit 124 Millionen Euro gefördert wird. Tatsächlich ist die Anlage mit ihrer Leistung von 54 MW derzeit die größte ihrer Art in Europa. Doch um die von der Ampelregierung anvisierte Elektrolysekapazität von zehn Gigawatt bis 2030 zu erreichen, müssten innerhalb der nächsten Jahre 185 weitere Anlagen in dieser Größenordnung entstehen.
Noch weit entfernt vom Zehn-Gigawatt-Ziel
Momentan befinden sich 88 Prozent der bis 2030 angekündigten Projekte noch in der Konzept- und Machbarkeitsstudienphase, so eine Erhebung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Nur bei zwölf Prozent ist die finale Finanzierungsentscheidung schon gefallen oder wird bereits gebaut. Immerhin hat sich deren Zahl zu 2023 verdreifacht. Im Betrieb ist bislang jedoch gerade mal ein Prozent.
Global gesehen sieht es sogar noch dünner aus, wie eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) ermittelt hat: Demnach stecken 97 Prozent der Projekte, die bis 2030 fertig sein sollen, noch in der Konzept- und Machbarkeitsstudienphase. Grund dafür sind laut den Studienautorinnen und -autoren gestiegene Kosten, fehlende Zahlungsbereitschaft der potenziellen Abnehmer und regulatorische Unsicherheiten.
Der Preis von Wasserstoff
Tatsächlich ist grüner Wasserstoff laut BDEW aktuell mit fast sieben Euro pro Kilogramm rund doppelt so teuer wie Erdgas. Bis 2030 könnten sich die Kosten bei durchschnittlich fünf Euro einpendeln. Da aber heute noch nicht fix abzusehen ist, wie sich die Preise für erneuerbaren Strom und für Elektrolyseure entwickeln, könnte grüner Wasserstoff auch günstiger werden – oder teurer. Das führe zu einer „spürbaren Unsicherheit“, die sich negativ auf die Investitionsbereitschaft auswirke, so der Branchenverband.
„Um Mehrkosten auszugleichen und die Nachfrage anzukurbeln, braucht es daher gezielte Subventionen in ausreichender Höhe und Marktmechanismen wie eine konsequente CO2-Bepreisung“, sagt Silvio Konrad, Chief Operating Officer der Business Unit Energy & Resources bei TÜV NORD. Für die Forschenden des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sind außerdem verbindliche Quoten für den Einsatz von Wasserstoff in bestimmten Sektoren ein wichtiger Hebel. Ein Beispiel dafür ist eine EU-Regelung, nach der ab 2030 allen Flugzeugtreibstoffen 1,2 Prozent synthetische Kraftstoffe auf Wasserstoffbasis zugemischt werden müssen, bis 2050 dann 35 Prozent.
© Adobe Stock„Wir benötigen verbindliche Ausbauziele für Pipelines wie Elektrolyseure, damit der Markthochlauf gelingen kann“, sagt Wasserstoffexperte Silvio Konrad.
© Adobe StockUnter anderem H2-Busse können seit Mai in Düsseldorf an der leistungsstärksten Wasserstofftankstelle Europas ihre Tanks auffüllen – ab 2026 sogar mit vor Ort erzeugtem Wasserstoff.
Das Farbspektrum erweitern?
Bis der Preis von grünem Wasserstoff sinkt, könnte sich aber auch blauer Wasserstoff als pragmatische Zwischenlösung anbieten, so der Branchenverband BDEW. Dieser wird wie „grauer Wasserstoff“ mit Erdgas produziert, das klimaschädliche CO₂ wird aber abgeschieden und beispielsweise in Beton für den Straßenbau (CCU – Carbon Capture and Utilization) oder dauerhaft im Erdboden gespeichert (CCS – Carbon Capture and Storage).
Die Ampelregierung hatte auch diesen blauen Wasserstoff als grundsätzlich förderfähig deklariert. Das neue schwarz-rote Kabinett hat in seinem Koalitionsvertrag ebenfalls angekündigt, alle Farben des Wasserstoffs nutzen zu wollen, um den Hochlauf zu beschleunigen. Dazu will es unter anderem ein Gesetz zur CO2-Speicherung auf den Weg bringen und die Genehmigung von CCS- und CCU-Anlagen erleichtern. „Was bislang fehlt, sind Regelungen, wie eine Förderung etwa von blauem Wasserstoff konkret aussehen kann“, sagt Energieexperte Silvio Konrad von TÜV NORD. „Wasserstoffimporteure benötigen aber ebenso klare Rahmenbedingungen wie inländische Hersteller in Deutschland für Low-Carbon-Wasserstoff.“
Zertifizierte Klimafreundlichkeit
Die Verwendung von blauem Wasserstoff ist allerdings nicht nur unter Umweltverbänden umstritten. Befürchtet wird eine Verlängerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und die Bindung finanzieller Ressourcen, die dann für den Hochlauf des grünen Wasserstoffs fehlen. Nicht zuletzt wird seine Klimafreundlichkeit infrage gestellt, da bei der Herstellung von blauem Wasserstoff nicht das gesamte CO2aufgefangen und außerdem besonders klimaschädliches Methan freigesetzt wird. „Es braucht daher für alle Wasserstoffarten ein einheitliches europäisches Zertifizierungssystem, das nachweist, wie klima-, umweltfreundlich und sozialverträglich er produziert und transportiert wurde“, so Konrad. Die Fachleute von TÜV NORD beteiligen sich in unterschiedlichen Gremien an der Entwicklung eines solchen einheitlichen Standards, der auch für die schwarz-rote Koalition ein entscheidender Faktor für den Wasserstoffhochlauf ist.
Mehr Verbindlichkeit beim Kernnetz
Wichtig ist ein solcher Standard nicht zuletzt, weil selbst bei Erreichung des Zehn-Gigawatt-Ziels künftig zwischen 50 und 70 Prozent des hiesigen Wasserstoffbedarfs über Importe gedeckt werden müssen. Dazu haben die große Koalition unter Angela Merkel und die Ampelregierung diverse Energiepartnerschaften mit wind- und sonnenreichen Ländern wie Ägypten, Australien, Namibia und Kanada geschmiedet. Innerhalb Deutschlands soll ein 9.040 Kilometer langes Pipelinenetz bis 2032 die wichtigsten Häfen, Elektrolyseure und Abnehmer miteinander verbinden, so der Plan der Ampel. Die Koalition unter Friedrich Merz hat darüber hinaus angekündigt, dieses Wasserstoffkernnetz um weitere Trassen insbesondere im Süden und Osten Deutschlands zu erweitern. „Doch trotz der ersten Bauprojekte verlaufen die Planungen und Genehmigungen des Wasserstoffkernnetzes insgesamt schleppend und verzögern dadurch viele Vorhaben“, problematisiert Konrad. Die Ampelregierung hatte zwar noch 2024 ein Wasserstoffbeschleunigungsgesetz vorgelegt, das es wegen des Bruchs der Koalition aber nicht mehr in die parlamentarische Abstimmung schaffte. „Es braucht jedoch dringend diese Beschleunigung bei Planung und Genehmigung“, mahnt der Experte. „Außerdem benötigen wir verbindliche Ausbauziele für Pipelines wie Elektrolyseure, damit der Markthochlauf gelingen kann.“
Wasserstoffwirtschaft im Sauerland
Die Expertinnen und Experten der TÜV NORD GROUP sind weltweit an diversen Wasserstoffprojekten beteiligt. Die Fachleute von DMT ENERGY ENGINEERS begleiten beispielsweise den Bau eines 100-Megawatt-Elektrolyseurs in Wilhelmshaven, beraten das ägyptische Umweltministerium zu den Möglichkeiten eines Wasserstoffexports in die EU und begutachten für die Hansestadt Hamburg den Ausbau der Hafeninfrastruktur, damit dort Wasserstoff und dessen Derivate wie Ammoniak gespeichert und weitertransportiert werden können. Gebündelt werden alle wasserstoffbezogenen Dienstleistungen und Projekte des Konzerns im HydroHub. TÜV NORD ist auch aktiv am HydroNet-Projekt im Sauerland beteiligt. Das mit 18 Millionen Euro vom BMWK geförderte Projekt soll über fünf Jahre eine komplette Region mit ihren mittelständischen Industrieunternehmen zur Wasserstoffwirtschaft transformieren und so zur Blaupause für den bundesweiten Wasserstoffinfrastrukturaufbau werden.