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Radverkehr

Entspannter in die Pedale treten

08. Mai 2025

Radfahren ist günstig, gut für Gesundheit und Klima und entlastet die chronisch verstopften Straßen der Städte. In Münster werden bereits 47 Prozent der Wege mit dem Drahtesel zurückgelegt. Auch Großstädte wie Berlin oder Hamburg haben sich die Förderung des Radverkehrs auf die Fahnen geschrieben. Wie eine gute und sichere Radverkehrsinfrastruktur aussehen kann, darüber haben wir mit Christian Rudolph gesprochen, Professor für Radverkehrsplanung an der Technischen Hochschule Wildau.

 

Herr Rudolph, was macht eine gute Radverkehrsinfrastruktur aus, in der man gerne und sicher fährt?

Christian Rudolph: Radwege müssen sicher, komfortabel, kohärent, direkt und attraktiv sein. Das sind die fünf zentralen Prinzipien, nach denen in den Niederlanden seit Jahrzehnten gebaut wird. Das bedeutet konkret: Der Radweg muss so breit sein, dass man nebeneinander fahren beziehungsweise von einem Lastenrad überholt werden kann. Seine Oberfläche ist so gestaltet, dass er sich bei jeder Witterung gut befahren lässt. Man kommt auf möglichst direktem Weg ans Ziel, was insbesondere für Berufspendelnde sehr wichtig ist. Er ist gut sichtbar, also etwa farblich markiert, um Autofahrenden wie Fußgängerinnen und Fußgängern zu signalisieren: Hier ist Vorsicht geboten. Und das Radwegenetz ist lückenlos, endet also nicht plötzlich auf einer Hauptverkehrsstraße.

 

Radwege auf dem Bürgersteig, Radfahrstreifen auf der Straße oder geschützte Radwege, die etwa durch Poller vom Kfz-Verkehr getrennt sind: Gibt es hier eine beste Wahl?

Eine groß angelegte Umfrage mit 22.000 Teilnehmenden hat ergeben, dass eine klare Mehrheit geschützte Radwege bevorzugt. Auch Autofahrende, da es ihnen die Sicherheit gibt, dass Radfahrende nicht plötzlich vor sie einschwenken können. Bei Radfahrstreifen auf der Fahrbahn kann ein Fehler eines Autofahrenden für Radfahrende lebensgefährlich sein. Und trotz absolutem Halteverbot werden sie oft zugeparkt. Das bringt Radfahrende immer wieder in bedrohliche Situationen, da sie in den fließenden Verkehr ausweichen müssen. Um dem entgegenzusteuern, müssen Kommunen, die auf solche Infrastrukturen setzen, Falschparken daher konsequent ahnden. Auf geschützten Radwegen entfällt das Problem – sie brauchen aber natürlich mehr Platz. Neben Pollern oder Betonelementen können diese auch mit Pflanzenkübeln oder Grünflächen vom Kfz-Verkehr getrennt werden. Das kommt nicht nur dem Stadtbild, sondern ebenso der Biodiversität und der Entwicklung zur Schwammstadt zugute, schafft also Flächen, auf denen Regenwasser versickern kann.

 

Also hin zum geschützten Radweg auf der Straße und weg vom guten alten Hochbordradweg auf dem Bürgersteig?

Nicht unbedingt. In Amsterdam und Kopenhagen beispielsweise gibt es viele Hochbordradwege, die aber ebenso breit ausfallen, dass man gut nebeneinander fahren und auch überholen kann. In Kopenhagen werden diese Radwege durch Bordsteine von der Autospur genauso wie vom Bürgersteig getrennt. Auto-, Rad- und Fußverkehr sind also jeweils auf einer eigenen Ebene durch die Stadt unterwegs. Eine so einfache wie wirksame Maßnahme, um Konflikte zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmenden zu vermeiden.

 

Wie macht man Kreuzungen sicher für den Radverkehr?

Die meisten schweren bis tödlichen Unfälle geschehen durch rechts abbiegende Kfz. Um Risiken zu minimieren, muss man die Sichtbeziehung zwischen abbiegenden Pkw, Lkw und Radfahrenden verbessern. In den Niederlanden baut man daher kleine Verkehrsinseln an die Kreuzungsecke und vergrößert so den Kurvenradius für die Abbiegenden. Autos und Lkw müssen also quasi einen Viertelkreis fahren, drosseln dadurch ihr Tempo und sehen die Radfahrenden direkt durch die Windschutzscheibe und nicht nur im Seitenspiegel. Ausgehend vom niederländischen Modell hat hierzulande Aachen einen Standard für sichere Kreuzungen entwickelt, der bei Neu- und Umbauten angewendet wird. Um die Sicherheit zu erhöhen, kann man an Ampelkreuzungen auch die Grünphasen von Rad- und Kfz-Verkehr voneinander trennen. Das führt allerdings zu höheren Wartezeiten und ist insofern auch eine politische Entscheidung.

 

Und Kreisverkehre?

Auch hier lohnt der Blick in die Niederlande. Dort haben Radfahrende innerorts an Kreisverkehren zumeist Vorrang, damit sie sicher fahren können. Kfz-Führende müssen aufpassen und Vorfahrt gewähren, außerorts ist es dann umgekehrt.

 

In Wohngebieten und Nebenstraßen werden Autos oft bis zur Kreuzung geparkt, obwohl das verboten ist. Wie können Kommunen damit umgehen?

Gerade für Kinder ist das ein hohes Sicherheitsrisiko, weil sie für Autofahrende hinter den geparkten Fahrzeugen oft kaum mehr zu sehen sind. Um dieses widerrechtliche und gefährliche Parken zu verhindern, baut man in den Berliner Bezirken Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg daher jetzt an den betroffenen Kreuzungsbereichen Poller und Radabstellanlagen. So schafft man gute Sichtbeziehungen und zugleich Möglichkeiten zum Fahrradparken – schlägt also zwei Fliegen mit einer Klappe. Mit sicheren Kreuzungen und Radwegen ist es aber noch nicht getan. Eine strategische Planung für ein Radwegenetz schließt auch immer die Steuerung des Kfz-Verkehrs mit ein.

 

Das heißt konkret?

In den Niederlanden haben viele Städte sogenannte Verkehrszirkulationspläne entwickelt, mit denen sie das Autofahren auf manchen Routen schwieriger und das Radfahren leichter machen. So lernen die Leute: Wenn du für diese Strecke das Auto nimmst, brauchst du zehn Minuten, mit dem Rad bist du in zwei Minuten da. Das macht den Umstieg attraktiv und entlastet zugleich den motorisierten Verkehr, da auf derselben Verkehrsfläche deutlich mehr Räder fahren können als Autos.

Oslo hat neben weiteren verkehrsberuhigenden Maßnahmen 2019 ein generelles Tempo 30 eingeführt, das auf mehr als 70 Prozent aller Straßen gilt. Das Ergebnis: Der Verkehr ist flüssiger, man braucht nicht oder unwesentlich länger von A nach B und kommt vor allem sicherer ans Ziel. Seit zwei Jahren gibt es in Oslo keine Verkehrstoten mehr im Innenstadtbereich. Die oft beschworene „Vision Zero“ ist dort also bereits Realität. In Brüssel zeigt sich seit der Einführung von Tempo 30 eine ähnliche Entwicklung. Hierzulande ist die 2024 erfolgte Novellierung der Straßenverkehrsordnung ein erster guter Ansatz. Sie erleichtert Kommunen die Einrichtung von Tempo-30-Zonen wie auch von Radfahrstreifen, Fahrradstraßen und Fahrradparkplätzen.

 

Wenn wir mehr Sicherheit wollen, müssen wir also den begrenzten Platz in den Städten umverteilen?

Daran führt kein Weg vorbei. Aber während das etwa in den Niederlanden seit Jahrzehnten parteiübergreifender Konsens ist, wird hierzulande in den letzten Jahren erbittert und oft polemisch darum gestritten. Statt Radfahrende und Autofahrende gegeneinander auszuspielen, müssen wir deutlich machen: Wenn man den Umweltverbund – also Radverkehr, Fußverkehr und ÖPNV – stärkt und gut miteinander verknüpft, gewinnen alle. Auch all jene, die aus unterschiedlichen Gründen das Auto bevorzugen. Denn jede und jeder Radfahrende mehr ist ein Auto weniger auf der Straße.

 

In den Speckgürteln und in ländlichen Gebieten ist das Auto allerdings oft notwendig und alternativlos.

Aber auch hier kann man attraktive Gegenangebote schaffen: durch den Ausbau des ÖPNV und von Radschnellwegen, über die man mit dem E-Bike zügig und entspannt an sein Ziel kommt. Das erfordert einen Aushandlungsprozess, an dem man die Bürgerinnen und Bürger vor Ort beteiligt und unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse bestmöglich in Einklang bringt. Und neben den entsprechenden finanziellen Mitteln braucht es auch genügend Fachkräfte in Planung wie Verwaltung, an denen es in der Vergangenheit allzu oft gefehlt hat. Übergreifendes Ziel muss eine Verkehrsplanung sein, die die Sicherheit von Kindern zum Maßstab macht. Denn wenn sich Kinder sicher alleine im öffentlichen Raum bewegen, wenn sie sicher über die Straße kommen, sicher alleine Rad fahren können – sogar schon ab der zweiten oder dritten Klasse –, dann kommen auch alle anderen sicher an ihr Ziel.

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