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Gute Frage, nächste Frage

Wie funktionieren Atomuhren?

15. Mai 2025

Sie geben der Weltzeit den Takt vor: Atomuhren definieren seit 1967 die Länge einer Sekunde und damit das Maß unserer Zeit. Doch wie operieren Atomuhren, und was macht sie so genau?

Wer am Gleis auf den Zug wartet und den Blick zur Bahnhofsuhr schweifen lässt, der kann eine eigenartige Entdeckung machen: Jedes Mal, wenn der rote Sekundenzeiger eine volle Runde um das Ziffernblatt gemacht hat, bleibt er einen Moment stehen – um dann plötzlich zwei Sekunden nach vorne zu springen und eine neue Runde zu beginnen. Der Grund für die Atempause des Zeitmessgeräts: Es wartet auf das Signal einer Mutteruhr, die sich ihrerseits an einer Atomuhr orientiert, um so jederzeit die richtige Zeit anzuzeigen.

Die Zeit für Deutschland wird in Braunschweig gemacht: in der Uhrenhalle der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Ein turnhallengroßer Raum, dessen Wände mit Kupfer ausgekleidet sind, damit kein störendes Signal von außen die Genauigkeit der Atomuhren beeinträchtigen kann, die hier für uns arbeiten.

 

Neun Milliarden Schwingungen pro Sekunde

Diese Atomuhren funktionieren im Prinzip wie eine gewöhnliche Uhr. Sie haben einen Taktgeber und ein Zählwerk, das die Taktschläge zählt. Doch anders als bei einer Standuhr gibt nicht die Schwingung eines Pendels den Takt vor, sondern die Schwingungen eines Elektrons in einem Atom. Genauer gesagt: in einem Cäsium-Atom. Dieses Alkalimetall zeichnet sich dadurch aus, dass es beim Wechsel zwischen zwei Energiezuständen sehr genaue Schwingungen abgibt.

Zunächst wird das Cäsium in einem Ofen verdampft, dann werden seine Atome durch ein Magnetfeld sortiert: Angeregte Cäsium-Atome mit einem höheren energetischen Zustand werden „ausgesiebt“, nur Atome im niedrigen energetischen Zustand dürfen passieren und gelangen in einen Mikrowellenresonator. Hier werden die Atome mit einem Mikrowellenfeld bestrahlt und dadurch animiert, ihren Zustand zu wechseln. Anschließend findet die nächste Auslese statt: Nun werden die „unanimierten“ Atome aussortiert. Nur die Atome, die ihren Zustand gewechselt haben, werden aufgefangen. Da die aufgefangene Menge bei einer bestimmten Frequenz des Mikrowellenfeldes am größten ist, wird die Frequenz gehalten und gezählt: Wenn 9.192.631.770 Schwingungen gezählt wurden, ist eine Sekunde verstrichen. Diese neun Milliarden Schwingungen sind seit 1967 die internationale Definition für eine Sekunde.

 

Hochpräzise Atomspringbrunnen

Während sich eine Quarzuhr pro Monat um ein paar Sekunden irrt, geht die Cäsium-Atomuhr CS2 in Braunschweig in drei Millionen Jahren nur eine Sekunde falsch. Die Cäsium-Fontänenuhr CSF2 liegt sogar in 30 Millionen Jahren gerade mal eine Sekunde daneben. Sie ist eine der Primär-Uhren, die die Zeit für die Bahnhöfe, Funkuhren und Zeitansagen in Deutschland produziert.

Was die Fontänenuhren so besonders genau macht? Während Cäsium-Atome bei Raumtemperatur mit rund 300 Metern pro Sekunde unterwegs sind, werden sie in dem rund zwei Meter hohen Metallzylinder der Fontänenuhr stark abgekühlt und so auf ein Tempo von einem Zentimeter pro Sekunde gedrosselt. Anschließend werden sie wie die Wassertropfen einer Fontäne nach oben geschossen. Während ihres Flugs werden die Atome mit Mikrowellen bestrahlt, um sie in den höheren energetischen Zustand zu bringen. Weil die Atome dabei so außerordentlich langsam sind, verlängert sich die Wechselwirkungsdauer mit den Mikrowellen: Ihre Messung liefert so besonders präzise Ergebnisse.

 

Zeitansage fürs Smartphone-Navi

Weltweit gibt es über 400 große Atomuhren, die miteinander vernetzt sind und überall denselben Takt vorgeben. Während eine solche unerhörte Genauigkeit jahrtausendelang verzichtbar war, sieht das in unserer hoch technologisierten Gegenwart anders aus. Dass Autos, Schiffe und Flugzeuge mittels GPS-Satelliten ihren Weg finden und erste automatisierte Trecker die Spur halten können, wäre ohne Atomuhren unmöglich.

GPS-Satelliten senden ständig ihre aktuelle Position und Uhrzeit. Der GPS-Empfänger unseres Navis oder Smartphones fängt diese Signale auf und kann aus der Differenz zwischen Ankunfts- und Absendezeit berechnen, wie lange das Signal unterwegs war und welche Strecke es dabei zurückgelegt hat. Mit den Signalen mehrerer Satelliten ermittelt der Empfänger dann seine Position auf der Erde.

Wie genau die Satellitenortung ausfällt, hängt davon ab, wie präzise die Laufzeit der GPS-Signale berechnet werden kann. Und dazu müssen Absendezeit und Ankunftszeit des Signals möglichst exakt gemessen werden. Denn bereits bei einer Abweichung von einer Millisekunde liegt die berechnete Position um 300 Kilometer daneben. GPS-Satelliten haben deshalb eine eigene kleine Atomuhr an Bord. Weil die in den GPS-Empfängern unserer Smartphones kaum unterzubringen ist, müssen diese neben drei Satelliten zur Positionsbestimmung einen vierten Satelliten für die Zeitkorrektur empfangen.

 

Datenströme und Stromnetze eintakten

Die Einsatzgebiete von Atomuhren sind damit noch lange nicht erschöpft: Das Militär nutzt sie für die Navigation von U-Booten und Drohnen; Erdölkonzerne, um neue Lagerstätten zu finden; Forschende, um hochpräzise Messungen vorzunehmen; Finanzjongleurinnen und -jongleure, um Hochleistungsrechner beim sogenannten Hochfrequenzhandel innerhalb von Sekunden selbstständig Wertpapiere kaufen oder verkaufen zu lassen.

Und Atomuhren helfen dabei, unseren immer größer werdenden Datenhunger zu stillen: Um beim Streaming oder bei Videokonferenzen große Datenmengen in kurzer Zeit zu übertragen, müssen Sender und Empfänger im selben Takt sein, sonst geht alles durcheinander. Entsprechend betreibt etwa die Telekom eine eigene Atomuhr, um ihre Systeme einzutakten. Atomuhren helfen aber auch dabei, die Frequenz unserer Stromnetze stabil zu halten, die durch den Ausbau der Erneuerbaren größeren Schwankungen ausgesetzt ist.

 

Wie es noch genauer geht

Weltweit wird bereits am nächsten Genauigkeitslevel geforscht: an Uhren, in denen die Atome mit Laserlicht statt mit Mikrowellen bestrahlt werden und die die Sekunde so in noch viel kleinere Einheiten unterteilen. Die optische Atomuhr, die an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig entwickelt wurde, tickt pro Sekunde Trilliarden Mal. In den rund 14 Milliarden Jahren, die seit dem Urknall vergangen sind, würde sie nur eine Sekunde falsch gehen. Eine optische Atomuhr, die US-Forschende 2024 präsentiert haben, soll gar nur alle 30 Milliarden Jahre eine Sekunde danebenliegen.

Noch befinden sich diese optischen Atomuhren in der Erprobungsphase. Wenn sie einmal dauerbetriebsbereit sind, soll ihre unfassbare Genauigkeit dabei helfen, fundamentale Fragen der Physik zu klären, die Erde genauer zu vermessen und GPS-Systeme weiter zu verbessern. Der Standort von Menschen und Maschinen ließe sich so in Zukunft exakt bis auf einen Millimeter bestimmen. Ein echter Quantensprung, insbesondere für die Luftfahrt und für das autonome Fahren.

 

Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore