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Innovationen

Warum wir neue Technologien annehmen oder ablehnen

10. Dezember 2020

Autonome Autos, Flugtaxis oder künstliche Intelligenz – immer neue Technologien wollen unser Leben in Zukunft gründlich verändern. Damit sich Innovationen durchsetzen können, müssen sie aber nicht nur funktionieren, sondern auch bei der Mehrheit der Menschen auf Interesse stoßen. Was sind die Gründe dafür, dass wir Technologien annehmen oder ablehnen? Was können wir schon heute über die künftige Akzeptanz von autonomen Autos oder Flugtaxis sagen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Wirtschaftspsychologe Patrick Planing gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen im AcceptanceLab an der Hochschule für Technik Stuttgart.

#explore: Herr Planing, was ist überhaupt das Ziel der Akzeptanzforschung?

Patrick Planing: Viele Unternehmen entwickeln Innovationen, ohne wirklich verstanden zu haben, was die Kunden wollen. Zugleich müssen Technologien ja erst einmal für viel Geld auf den Markt gebracht werden, bevor man tatsächlich herausfinden kann, was die Menschen darüber denken. Das gilt etwa für Flugtaxis oder den Hyperloop, zu dem wir gerade eine Akzeptanzstudie durchgeführt haben. Bei diesem Konzept werden Menschen bei hoher Geschwindigkeit durch Röhren transportiert. Im schlechtesten Fall baut man für Unsummen ein Röhrensystem quer durch Europa, das am Ende keiner nutzen will. Aus einer gesellschaftlichen Perspektive ist es daher sehr wichtig, bereits in einer frühen Entwicklungsphase möglichst gut zu verstehen, was Menschen über eine neue Technologie denken und von ihr erwarten, um diese Aspekte in die Entwicklung einfließen zu lassen.

 

Was hat Sie selbst zur Akzeptanzforschung geführt?

Nach meinem Masterabschluss in Betriebswirtschaftslehre habe ich 2007 bei Daimler angefangen und dort Kundenbefragungen durchgeführt. Dabei konnte ich feststellen, dass die befragten Nutzer die damals noch neuen Assistenzsysteme gar nicht verwendet haben, obwohl es sich bei den Nutzern um Vielfahrer handelte, die oft den ganzen Tag auf der Autobahn unterwegs waren. Ich fand es hochinteressant, dass ein Autokonzern Milliarden in die Entwicklung solcher Systeme investiert, aber die Nutzer deren Mehrwert offenbar noch gar nicht erkannt haben. Ich wollte wissen, warum das so ist, und habe das zum Thema meiner Promotion gemacht. Die Frage nach den Gründen für oder gegen die Akzeptanz von neuen Technologien hat mich seitdem nicht mehr losgelassen – weil es keine einfachen Antworten auf sie gibt. Da spielen funktionale und rationale Argumente, emotionale und affektive Gründe, aber auch soziale Faktoren eine Rolle.

Welche Technologien sind für die Akzeptanzforschung besonders interessant?

Alle Technologien, die verlangen, dass Menschen ihr gelerntes Verhalten ändern – wenn man beispielsweise vom Zug in den Hyperloop oder vom PC auf das Smartphone umsteigen soll oder die eigene Suchanfrage über einen Chatbot abgewickelt wird. Solche Technologien setzen sich schwerer durch. Bei kontinuierlichen Weiterentwicklungen einer bestehenden Technologie wie etwa dem Systemupdate für das Handy ist Akzeptanz dagegen kaum ein Thema.

Wie und unter welchen Voraussetzungen sind Menschen bereit, ihre Gewohnheiten zu ändern?

Das ist natürlich die Gretchenfrage der Akzeptanzforschung. Zentrale Faktoren sind die wahrgenommene Einfachheit der Nutzung – also wie viel von meinem Verhalten ich ändern muss, um die neue Technologie nutzen zu können –, die wahrgenommene Nützlichkeit und die angesprochenen sozialen Aspekte, die sich wechselseitig beeinflussen.

Noch vor einigen Jahren schien ein Smartphone vielen Menschen überflüssig. Bemerkt man aber, dass nach und nach der gesamte Bekanntenkreis ein Smartphone besitzt, ist man eher geneigt, diese Technologie auch zu verwenden. Soziologisch gesprochen orientieren wir uns hier an der deskriptiven Norm: also meiner Wahrnehmung, wie sich die meisten Mitglieder meiner Gruppe gewöhnlich verhalten. Führen Bekannte und Freunde dann auch noch vor, was man mit einem solchen Gerät Tolles anstellen kann, erhöht sich auch der wahrgenommene Nutzen für mich sehr schnell – während der objektive Nutzen natürlich konstant bleibt.

Viele Unternehmen entwickeln Innovationen, ohne wirklich verstanden zu haben, was die Kunden wollen.

Patrick Planing, Mitbegründer des AcceptanceLab

Je nach Technologiebereich kommen noch weitere Aspekte hinzu. Bei Transportlösungen wie Lufttaxis oder autonomen Fahrzeugen spielt etwa die wahrgenommene Sicherheit eine große Rolle: Gibt es hier Ängste und Befürchtungen, wie stark oder gering ist das Vertrauen in die Technologie?

Mit welchen Methoden ermitteln Sie die Akzeptanz von Technologien? 

Wir bedienen uns hier eines bunten Methodenfächers. Gerade bei völlig neuen Technologien nähern wir uns dem Thema zunächst qualitativ in Tiefeninterviews. Wir führen also mit wenigen Personen lange Interviews von über einer Stunde, um so herauszufinden, welche rationalen, irrationalen und emotionalen Faktoren bei der Wahrnehmung einer Technologie überhaupt eine Rolle spielen. Auf Basis dieser Erkenntnisse erstellen wir einen Fragebogen, um eine repräsentative Gruppe von Menschen quantitativ zu befragen.

Bei bereits etablierten Technologien messen wir auch körperliche Reaktionen von Testpersonen: die Herzfrequenz oder den Hautleitwiderstand. Wir verwenden auch Eye-Tracking, um darüber zu ermitteln, wie sich Einstellungen bei der tatsächlichen Nutzung verändern. Bei einer Studie zum E-Bike-Sharing haben wir etwa Probanden verkabelt und auf eine definierte Teststrecke geschickt.

Sie haben ja auch eine Studie zu Flugtaxis durchgeführt. Wie ermittelt man denn überhaupt die Akzeptanz für eine Technologie, die noch gar nicht auf dem Markt ist?

Das ist für uns Forscher eine so große wie spannende Herausforderung. Die Frage ist natürlich, inwieweit das wissenschaftlich seriös überhaupt machbar ist. Die Antwort ist hier ein klares Jein! (Lacht). Menschen einfach in einer Telefon- oder Onlinestudie zu ihrer Meinung zu befragen hilft hier nicht weiter. Denn Einstellungskonstrukte formieren sich mit dem Faktor Zeit und Erfahrung – und letztere konnten die Befragten ja noch nicht mit dem Flugtaxis sammeln. Unser Lösungsansatz besteht darin, den Menschen diese Technologie bestmöglich erlebbar zu machen. Virtual Reality wäre hier etwa eine Option. Sie ist auf dem heutigen Stand der Technik aber einfach nicht dasselbe, wie einen echten Flug zu erleben. Und selbst wenn man künftig einen solchen Flug realitätsnah simulieren könnte, würden die sozialen Einflussfaktoren außen vor bleiben.

Bei den Lufttaxis von Volocopter haben wir daher im September 2019 einen Flugtag in Stuttgart veranstaltet. Die Besucher konnten sich dabei in ein Flugtaxi hineinsetzen, um zu erfahren, wie sich das anfühlt. Ein weiteres Lufttaxi ging zu einem unbemannten Demonstrationsflug in die Luft. Bestenfalls hätten die Besucher natürlich selbst mitfliegen können, aber das ist aus rechtlichen Gründen noch nicht möglich. Dennoch hatten sie so an diesem Tag die Möglichkeit, sich aus unmittelbarer Erfahrung eine erste Meinung zu bilden, zu der wir sie dann befragt haben.

Rund 150 Personen haben Sie sowohl vor als auch nach der Veranstaltung befragt. Haben sich dabei Veränderungen in der Haltung zum Lufttaxi gezeigt?

Das Ergebnis hat uns alle überrascht, denn tatsächlich haben sich deren Einstellungen nicht geändert. Allerdings ist es zu früh, hier ein endgültiges Fazit zu ziehen. Denn einerseits handelt es sich um eine kleine Stichprobe, anderseits lagen zwischen den Befragungen nur zwei bis drei Stunden. Unsere Einstellungen brauchen aber länger, um sich zu verändern. Insofern wäre es natürlich spannend, dieselben Menschen in einem Jahr noch einmal zu befragen.  

Was lässt sich aus den Ergebnissen dieser Studie für eine künftige Einführung von Lufttaxis ableiten?

Selbst wenn wir natürlich noch nicht exakt bestimmen können, wie später die Akzeptanz ausfällt, können wir schon heute ermitteln, was Menschen von einer Technologie erwarten oder sich von ihr wünschen. Unsere Befragung hat etwa ergeben, dass neben rationalen Gründen wie der schnellen Überbrückung von Distanzen auch hedonistische Motive eine Rolle spielen. Die Menschen versprechen sich einfach Spaß davon, im Lufttaxi über die Stadt zu schweben. Das erhöht natürlich die Bereitschaft, ein solches Gerät später zu nutzen. Vor allem geht es aber auch um die Frage, wie ein solches Mobilitätsangebot in den Alltag der Menschen eingebunden sein soll: Wollen sie einen Volocopter anstelle eines Taxis auf kürzeren Distanzen nutzen oder ihn auf längeren Strecken verwenden, die sie heute mit dem Zug bewältigen? Wie sollen die Flugtaxis an Bus und Bahn oder Carsharing-Dienste angebunden sein? Es geht also um sehr handfeste Dinge, die den Anbietern helfen, diese Technologien nutzerzentrierter zu entwickeln.  

Wohl kaum eine andere Technologie stößt, momentan zumindest, bei manchen Menschen auf so große Vorbehalte wie das Elektroauto, das zugleich von der Politik als nachhaltiger Antrieb der Zukunft priorisiert wird. Wie ist das zu erklären?

Wie bei allen neuen Technologien geht es beim E-Auto um die Veränderung von Routinen. Und allem, was unsere Gewohnheiten verändert, stehen wir zunächst einmal mit Widerwillen gegenüber. Und der ist besonders ausgeprägt, wenn eine Technologie antritt, eine andere zu ersetzen – im Fall des Elektroautos den Verbrennungsmotor. Solche Technologien haben es tendenziell schwerer, da sie auch mit der Angst vor Verlust verbunden sind. Sei es der Motorsound, den ja manche Menschen lieben, oder die Freiheit, einfach überallhin fahren zu können. Solche affektiven Gründe fallen oft besonders stark ins Gewicht.

Die meisten Menschen werden aber vor allem rationale Argumente anführen, die gegen eine Technologie sprechen. Gerade deshalb sind Tiefeninterviews zu Beginn einer Akzeptanzstudie so unheimlich wichtig. Denn hier kommen neben den rationalen eben auch die irrationalen Motive zu Tage. Und die ändern sich ja auch über die Zeit und in dem Maße, wie eine Technologie in unserem Umfeld Einzug hält. Ob und wann wir uns für eine Technologie entscheiden, ist dabei zugleich auch eine Frage unseres eigenen Selbstverständnisses. Manche Menschen wählen ja gerade deshalb ein Elektroauto, weil sie es gut finden, damit nachhaltiger unterwegs zu sein.

Hinter rationalen Argumenten verstecken sich also oft emotionale Gründe?

Das ist ganz natürlich und machen wir alle: Ich kann ganz viele rationale Gründe dafür anführen, warum ich unbedingt das neue „MacBook Pro“ brauche – vielleicht will ich aber in erster Linie damit meine Kollegen beeindrucken. 

Welche weiteren Technologien stehen künftig auf Ihrer Agenda?

Mein persönlicher Fokus liegt auf Mobilitätslösungen wie eben Hyperloop oder den Flugtaxis – je radikaler, desto interessanter. Darüber hinaus beschäftige ich mich damit, wie die digitale Transformation unser Leben beeinflusst. In welchen Bereichen wollen wir zukünftig mit digitalen Assistenten reden und wo weiterhin mit Menschen? Einige meiner Kollegen im AcceptanceLab befassen sich schwerpunktmäßig mit der Akzeptanz nachhaltiger Energien, die ja ebenfalls mit großen Verhaltensänderungen verbunden sind. Wenn wir durch unsere Forschung besser verstehen, warum sich Menschen bewusst gegen klimafreundliche Technologien entscheiden, hilft das dabei, diese Technologien künftig besser zu vermarkten und zu vermitteln.

ZUR PERSON

Patrick Planing ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für Technik Stuttgart und Mitgründer des AcceptanceLab.