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29. Oktober 2020

Wenn Lithium-Ionen-Akkus für den Einsatz im E-Auto zu schwach werden, gehören sie noch längst nicht zum alten Eisen. Bevor sie in die Recyclinganlagen wandern, können sie zunächst weitere Jahre als stationäre Stromspeicher verwendet werden. Das verbessert auch die Klimabilanz der Akkumulatoren.

Wenn in der Johan-Cruyff-Arena in Amsterdam abends das Flutlicht angeht, trägt auch die Sonne ihren Teil dazu bei. 4.200 Photovoltaikmodule auf dem Dach des Heimstadions von Ajax Amsterdam wandeln die Solarenergie in elektrischen Strom um. Da die Sonne bekanntermaßen nicht immer und nachts naturgemäß niemals scheint, muss die Solarenergie gespeichert werden. Dazu ist im Parkhaus der Arena ein Batteriespeicher mit einer Kapazität von drei Megawatt installiert – genug, um 7.000 Amsterdamer Haushalte für eine Stunde mit Strom zu versorgen.

Bei Stromausfällen übernimmt der Batteriespeicher die Notfallversorgung, reduziert den Einsatz von Dieselgeneratoren und entlastet das Stromnetz, indem er die Spitzen ausgleicht, die beispielsweise bei Konzerten entstehen. Möglich machen das 85 neue und 63 alte Batterien aus Nissans E-Auto Leaf, die im Inneren des Großspeichers arbeiten.

 

Mobile Stromspeicher werden sesshaft im Alter

Wenn Akkus für den Einsatz im Auto nicht mehr leistungsfähig genug sind, haben sie immer noch 70 bis 80 Prozent ihrer ursprünglichen Kapazität. Sie in diesem Zustand bereits in ihre Bestandteile zu zerlegen ist daher weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll. Am Ende ihres mobilen Lebens können sie stattdessen, wie in der Fußballarena in Amsterdam, stationär weiterhin gute Dienste leisten. Anders als im E-Auto ist es bei einem festen Energiespeicher schließlich weniger wichtig, möglichst viel Speicherkapazität auf möglichst kleinem Raum unterzubringen.

Im stationären Betrieb werden die betagten Batterien auch deutlich weniger gestresst als im Elektroauto, wo sie bei Beschleunigung und Rekuperation – also der Energierückgewinnung beim Bremsvorgang – ständig stark gefordert werden. Insgesamt verläuft der stationäre Betrieb deutlich gleichmäßiger: Das Laden und Entladen geht langsam vonstatten und ist dadurch deutlich schonender für die Batterie. Das kommt auch der Lebensdauer der Akkumulatoren zugute. Messreihen von Alterungsprozessen im Labor haben ergeben, dass die Batterien im „Second Life“ noch weitere 10 bis 12 Jahre genutzt werden können. Ein Akku wäre bei durchschnittlicher Nutzung also erst nach über 20 Jahren ein Fall für den Recycler. 

Wer den Stromspeichern auf diese Weise ein „zweites Leben“ schenkt, „verbessert damit rückwirkend auch die Umweltbilanz der Elektromobilität“, sagt StreetScooter-Gründer Achim Kampker von der RWTH Aachen gegenüber der „Welt “. Denn die zusätzliche Nutzungsdauer ist in aktuelle Umweltbilanzen noch gar nicht eingerechnet.

Alle E-Autobauer arbeiten am „Second Life“

Die Autobauer sind gesetzlich verpflichtet, die alten Auto-Akkus zurückzunehmen. Auch wirtschaftlich bietet das „zweite Leben“ viel Potenzial, so das Ergebnis einer Studie des Beratungsunternehmens Berylls Strategy Advisors. Demnach dürfte bis 2032 eine Batteriekapazität von mindestens 1.522 Gigawattstunden an Gebraucht-Akkus anfallen, die für den Einsatz im stationären Betrieb zur Verfügung stünde.

Kaum verwunderlich, dass Second-Life-Projekte in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind: Volvo nutzt die gebrauchten Batterien seiner E-Busse in zwei Wohnanlagen im schwedischen Göteborg. Die alten Akkus werden hier über Solaranlagen aufgeladen, die auf den Dächern der verschiedenen Gebäude installiert sind. Der gespeicherte Strom versorgt dann Waschräume, die Außenbeleuchtung und andere öffentliche Bereiche mit elektrischer Energie. 

Audi hat im Mai vergangenen Jahres am EUREF-Campus Berlin einen Speicher mit e-tron-Akkus installiert. Der 1,9-Megawattstunden-Speicher soll unter anderem als Pufferspeicher für die Schnellladestationen auf dem Gelände dienen, an denen Elektroautos ihren Akku auffüllen können.

Alte Akkus regeln die Stromnetze

Vattenfall, Bosch und BMW haben bereits 2016 im Hamburger Hafen einen solchen Super-Akku aufgestellt. Der Batteriespeicher aus ausgemusterten Batterien von BMWs Elektroauto i3 könnte mit seiner Kapazität von 2,8 Megawatt einen durchschnittlichen Zwei-Personen-Haushalt sieben Monate mit Strom versorgen. In der Praxis dient er aber vor allem dazu, Schwankungen im Stromnetz auszugleichen.  

Diese sogenannten Regelleistungen wurden bislang vor allem von Pumpspeicherkraftwerken übernommen. Der Vorteil der Batteriespeicher: Sie können Energie unter sehr geringen Verlusten schnell aufnehmen und in Millisekunden abgeben. Und sie lassen sich in relativ kurzer Zeit fast überall installieren. Allerdings sind ihre Kapazitäten noch vergleichsweise gering. Während der bislang weltweit größte Batteriespeicher von Daimler in Lünen bei Stuttgart auf eine Kapazität von 13 Megawattstunden kommt, bringt es beispielsweise das Pumpspeicherwerk Goldisthal im Thüringer Schiefergebirge auf über 8.000 Megawattstunden.

Ein Grund dafür ist auch die bislang geringe Zahl verfügbarer Altbatterien. Schließlich fährt ein Akku acht bis zehn Jahre im Auto – ein Alter, das die meisten heutigen E-Fahrzeuge bislang noch gar nicht erreicht haben. Doch das wird sich in den kommenden Jahren ändern – und die Zahl der Altbatterien deutlich steigen. Dann könnten die ausgedienten Akkus auch vermehrt ein zweites Leben als Stromspeicher für Privathaushalte mit Solaranlage auf dem Dach bekommen. So kann ein Akku mit 20 Kilowattstunden Kapazität mehr Energie speichern, als in einem Familienhaushalt in der Regel als Puffer benötigt wird – schon die Batterie des kleinen VW e-Up wäre mit ihren 32 Kilowattstunden also mehr als ausreichend. Auch als Notstromspeicher in Krankenhäusern oder kritischen Infrastrukturen sind die betagten Batterien im Gespräch.

Den „Gesundheitszustand“ der Batterie bestimmen

Allerdings sind nicht alle alten Akkus für ein zweites Leben gerüstet. Den „State of Health“, also den „Gesundheitszustand“, einer Batterie zu ermitteln kostet heute rund drei Stunden Arbeit und viel Geld, da dabei teure Messtechnik zum Einsatz kommt. Die britische University of Warwick  hat für Nissan nun ein Verfahren entwickelt, das eine deutlich schnellere Analyse der Akkus erlauben soll. In gerade mal drei Minuten lasse sich mit der Methode ermitteln, ob sich die gebrauchte Batterie noch als „Ersatzteillager“ für andere E-Autos oder, alternativ, zur Second-Life-Nutzung eignet oder direkt recycelt werden sollte. Der Prozess soll nun noch ausgiebig in einer Pilotanlage getestet werden. Nissan hofft, dank des neuen Verfahrens die Mehrheit seiner derzeit in Elektroautos in Europa fahrenden Akkus in Zukunft wiederverwenden zu können.

 

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In der 41. Ausgabe des Podcasts berichtet Startup-Gründer Jakob Hornbach, wie durch Recycling alter Akkus die Umrüstung auf E-Motorräder in Ostafrika gelingen kann.

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