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Vulkanismus

Leben auf dem Vulkan

Gefahr durch Vulkane – und wie man sie durch präzise Beobachtung einordnen kann.

18. November 2021

Seit Mitte September herrscht auf der Kanareninsel La Palma der Ausnahmezustand. Immer noch spuckt der Vulkan in der Bergkette Cumbre Vieja Rauch, Asche und Lava. Die 1.300 Grad heiße Lava hat bereits über 2.700 Gebäude zerstört. Mehr als 7.000 Bewohnerinnen und Bewohner mussten sich in Sicherheit bringen. Fast 1.000 Hektar sind von einer meterdicken Lavaschicht bedeckt. War mit einem so langen Ausbruch zu rechnen? Wann ist ein Wiederaufbau möglich? Was können wir aus dem Naturereignis für die Zukunft lernen? Ein Gespräch mit Simon Kremers, Experte für Vulkanologie bei der TÜV NORD-Tochter DMT.

#explore: Seit acht Wochen gibt der Vulkan auf La Palma keine Ruhe. Ungewöhnlich lange für die Insel, heißt es. Wie sind Dauer und Intensität einzuordnen?

Simon Kremers: Seit die Kanaren um 1400 besiedelt wurden, gab es auf La Palma sieben dokumentierte Ausbrüche. Der längste dauerte etwa acht Wochen. Insofern bewegt sich der aktuelle Ausbruch tatsächlich noch im normalen Rahmen – wenn auch am oberen Limit. Fundierte Aussagen zu treffen ist tatsächlich schwierig, denn die Insel ist circa1,7 Millionen Jahre alt. Und wir haben nur Berichte von den sieben Ausbrüchen der letzten 600 Jahre, worauf sich nur schwerlich eine tragfähige Statistik gründen lässt. Grundsätzlich handelt es sich bei La Palma um einen großen Schildvulkan, der sich langsam aus dem Meer aufgetürmt hat. Im Nordteil gibt es eine große Caldera, also einen Einsturzkrater. Das zeigt, dass es dort in der Vergangenheit gewaltige Ausbrüche gab. Was jetzt auf La Palma passiert, ist im Spektrum der Vulkanausbrüche dagegen ein eher moderater Ausbruch. Was die Situation allerdings außergewöhnlich macht: Es ist das erste Mal im Europa der Neuzeit, dass sich ein solcher Ausbruch in einem relativ dicht besiedelten Gebiet ereignet. Dass es eine recht große Sperrzone gibt, die niemand betreten kann, Tausende Menschen direkt betroffen sind und ihre Häuser verloren haben. Das ist in dieser Form neu.

Mit welchen Methoden werden vulkanische Aktivitäten überwacht und prognostiziert?

Im Prinzip durch ein Monitoring vor Ort – also mit Vulkanobservatorien. Und hier gibt es vier unterschiedliche Felder: Zunächst die Beobachtung der Bodenbewegung, also Deformationsmessungen, etwa über das sogenannte InSAR-Verfahren oder GPS-Messungen. So können Auflösungen im Millimeterbereich erreicht werden, an denen man sehen kann, wo sich der Boden hebt oder senkt und ob sich das Vulkangebäude in eine Richtung deformiert. Hinzu kommt die Beobachtung der Gaszusammensetzung. Denn auch wenn gerade kein Ausbruch stattfindet, handelt es sich um ein aktives Vulkansystem, bei dem an vielen Stellen Gas austritt: Steigt die Konzentration gewisser Elemente in diesen Gasen über die Zeit an, ist das ein Indiz dafür, dass frisches Magma nachströmt. Der dritte wichtige Faktor ist die Messung der seismischen Aktivität: Durch den Aufbau eines Erdbebenmessnetzes lassen sich auch kleinste Erschütterungen aufzeichnen. Das hat auf La Palma bei der Prognose sehr geholfen. Denn der Ausbruch kam ja nicht überraschend, sondern wurde auf Basis der Messungen quasi täglich erwartet: Ab 2017 wurden auf La Palma kleine Erdbeben gemessen, zunächst in 30 Kilometer Tiefe. Im Lauf der Jahre sind diese Beben weiter nach oben gestiegen. Und Ende August wurden dann dicht unter der Oberfläche Tausende kleiner Beben in einem kurzen Zeitraum registriert. Ein deutlicher Indikator, dass dort ein Ausbruch kurz bevorstehen könnte. Der vierte und letzte Faktor ist die Messung der Oberflächentemperatur, die relativ kurz vor einem möglichen Vulkanausbruch ansteigt.

„Alle genannten Methoden geben Indikatoren für einen bevorstehenden Vulkanausbruch, aber niemand kann mit Sicherheit sagen, ob er auch tatsächlich stattfinden wird.“

Simon Kremers, Senior Project Manager Geophysics bei DMT

Wo liegen die Grenzen der Prognosen?

Alle genannten Methoden geben Indikatoren für einen bevorstehenden Vulkanausbruch, aber niemand kann mit Sicherheit sagen, ob er auch tatsächlich stattfinden wird. Denn der Aufstieg von Magma kann jederzeit stoppen: weil ihm etwas den Weg versperrt, weil das Magma zu kristallisieren beginnt, die Dichte des verbleibenden Materials zu groß wird und es nicht mehr nach oben kommt. Was die Grenzen der Methoden selbst angeht: Die sind bei Deformationsmessungen bedingt durch die Verfahren. Hier erreicht man wie gesagt eine Genauigkeit im Millimeterbereich, aber nicht mehr darunter. Bei der Erdbebenmessung hängt es stark von der Datenlage ab, also wie dicht das Netz von Seismometern ist. Während tiefe Erdbeben noch schwierig zu orten sind, lassen sich oberflächennahe Beben dagegen gut lokalisieren: in einem Bereich von plus/minus 100 Metern. Deshalb kannte man auch auf La Palma relativ genau die Stelle, an der sich der Ausbruch ereignen wird. Das war also ebenfalls keine Überraschung.

Was sind Anzeichen dafür, dass ein aktiver Vulkan wieder zur Ruhe kommt?

Der wichtigste Indikator ist das Versiegen der seismischen Aktivität. Denn das Magma erzeugt ja nur dann Risse im Gestein, wenn es sich bewegt und aufsteigt. Auch das Absinken des Vulkangebäudes kann ein Hinweis auf eine Entleerung einer oberflächennahen Magmakammer und ein bevorstehendes Ende des Ausbruchs sein. Allerdings vollzieht sich ein Ausbruch oft in Zyklen: Es kann also sein, dass die Vulkanaktivität nach einer Ruhephase wieder zunimmt. Auch hieraus lassen sich also keine eindeutigen Voraussagen ableiten. Denn wir können mit den gängigen Messmethoden zwar viel erfassen, aber direkt in den Untergrund schauen können wir nicht.

Die spanische Regierung hat über 200 Millionen Euro für den Wiederaufbau bewilligt. Wie und wann kann ein solcher Wiederaufbau vonstattengehen? Und in welchem Maße ist er überhaupt möglich?

In dem betroffenen Gebiet auf La Palma gibt es drei Lavaströme von dreißig Meter Mächtigkeit und mehr. Das ist viel. Selbst wenn die Vulkanaktivität aufhört, dauert es relativ lange, bis die Lava auskühlt und kristallisiert. Vor den kommenden fünf, sechs oder sieben Jahren wird man kaum daran denken können, dort wieder etwas aufzubauen.

Ist die Wiederbesiedlung der betroffenen Gebiete denn tatsächlich sinnvoll mit Blick auf mögliche Vulkanausbrüche in der Zukunft?

Das ist natürlich eine Risikoabwägung: In den vergangenen 72 Jahren haben sich auf La Palma drei Ausbrüche ereignet. 1949 an ziemlich genau der gleichen Stelle, wo er jetzt stattgefunden hat. Der große Schildvulkan im Norden ist schon lange erloschen – das ist der sicherere Teil der Insel. In der Mitte und in der Cumbre-Vieja-Bergkette sind dagegen weitere Ausbrüche wahrscheinlich. Natürlich kann ein solcher Ausbruch auch weiter südlich vorkommen, oder der Lavastrom ereignet sich am östlichen Teil der Bergkette statt wie jetzt am westlichen. All das ist möglich und lässt sich nicht sicher voraussagen. Sicher ist, dass man neue Häuser eher nicht im Tal bauen sollte. Denn so ein Lavastrom folgt nun mal der Topografie. Hinzu kommen sekundäre Gefahren: Im Bereich des Vulkanausbruchs liegt auch durch den Aschefall sehr viel unbefestigtes Material. Bei starkem Regen wird dieses Material die Hänge herunterspült und reißt alles mit, was im Weg steht. Letzten Endes leben die Menschen auf den Kanaren auf dem Vulkan – im wortwörtlichen Sinne. Wenn man dort wohnt, ist man daher immer einem gewissen Risiko ausgesetzt. Das gilt aber auch etwa für die Menschen in Neapel am Fuß des Vesuvs. Auch dort ist früher oder später wieder mit einem Ausbruch zu rechnen.

Vulkane bringen Zerstörung und erzeugen zugleich fruchtbaren Boden. Wie lange dauert es, bis sich eine Lavawüste in üppige Flora verwandelt, und was macht diesen Boden überhaupt so fruchtbar?

Das liegt an den Mineralien, die in Lavagestein und Vulkanasche enthalten sind: wichtige Pflanzennährstoffe wie Phosphor, Kalium und Calcium. Bis sich dieses Gestein durch Witterung zu einem Boden zersetzt, dauert es allerdings Jahre. Dieser fruchtbare Boden ist ja auch der Grund, warum viele Vulkangebiete früh besiedelt wurden. Am Ätna beispielsweise wachsen Mandarinen, Zitronen und Orangen.

Haben Vulkane eigentlich Einfluss auf das globale Klima?

Die Gase, die ein Vulkan ausstößt, sind natürlich nicht sonderlich klimafreundlich. Allerdings liegen beispielsweise die jährlichen CO2-Emissionen durch Vulkanausbrüche um ein Vielfaches unterhalb der menschlich verursachten Emissionen. Andererseits hätten wir ohne Vulkane gar keine Atmosphäre. Denn in der Entstehungsgeschichte der Erde waren die Vulkangase mit dafür verantwortlich, dass sich überhaupt eine Atmosphäre bilden konnte. Im Gegensatz zu unserem eigenen Einfluss auf das Klima können wir den CO2-Ausstoß von Vulkanen nicht beeinflussen. Es sind nun mal Naturkatastrophen.

Gucken wir auf Deutschland, zum Beispiel in die Eifel. Wie wahrscheinlich ist es, dass dort wieder Vulkane ausbrechen – und wann könnte es so weit sein?

Geologisch betrachtet ist die Situation in der Eifel ein wenig vergleichbar mit den Kanaren. Während die meisten Vulkangebiete an den Grenzen der Kontinentalplatten liegen, handelt es sich nämlich auch hierbei um einen sogenannten Hotspot-Vulkan: Um den festen Erdkern ist der äußere Mantel flüssig. Gewisse Anomalien ermöglichen es ballonartigen Gebilden aus heißem Gesteinsmaterial – den sogenannten Mantelplumes –, aufzusteigen und die Erdkruste zu durchschneiden. Und an diesen Stellen entsteht dann auch in der Mitte von ansonsten festen kontinentalen oder ozeanischen Platten Vulkanismus. Das prominenteste Beispiel dafür ist Hawaii, aber eben auch die Eifel. Der dortige Laacher-See-Vulkan ist nicht erloschen. Es gibt dort nach wie vor Fumarolen, also Gasaustritt an der Oberfläche, und auch immer wieder seismische Aktivitäten. Solange die aber nicht stark zunehmen, ist dort kein Ausbruch zu erwarten. Gut ist dabei: Die Situation wird durch die dortigen Erdbebendienste genau überwacht. Ein möglicher Ausbruch käme also nicht aus dem Nichts. Wir würden lange im Voraus davon erfahren und gewarnt werden.

 

ZUR PERSON

Simon Kremers ist Senior Project Manager Geophysics bei DMT. Der Geophysiker hat seine Diplomarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität in München im Bereich der Vulkanologie geschrieben und sich in diesem Zuge mit der Frage auseinandergesetzt, welche Parameter explosive Ausbrüche von Vulkanen kontrollieren. In seiner Doktorarbeit hat er den Vulkan Yasur auf der Insel Tanna (Vanuatu) im Südpazifik charakterisiert. Bei DMT beschäftigt er sich mit induzierter Seismizität – also mit Erdbeben, die durch menschliche Eingriffe in den Untergrund verursacht werden.

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