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Kurz nachgefragt

Wie prüft man eine Magnetschwebebahn?

Wie man eine automatisierte Magnetschwebebahn prüft.

03. Juni 2021

Der Transrapid scheint seit rund zehn Jahren Geschichte zu sein. Doch nicht alle haben die Magnetschwebetechnik abgeschrieben. Der Baukonzern Max Bögl arbeitet bereits seit einigen Jahren an einer eigenen Magnetschwebebahn, dem Transport System Bögl (TSB). Das Unternehmen war seinerzeit an der Transrapid-Teststrecke im Emsland beteiligt. Nun haben TÜV NORD-Fachleute die Betriebsleittechnik des TSB geprüft und für sicher befunden. Was die Prüfung einer Magnetschwebebahn besonders macht und wie man dabei vorgeht, erklärt der Eisenbahn-Sachverständige Hans Vallée von TÜV NORD.

#explore: Wie unterscheidet sich das Transport System Bögl (TSB) vom Transrapid?

Hans Vallée: Der Transrapid ist eine Hochgeschwindigkeits-Magnetschwebebahn. Das TSB ist dagegen mit einer maximalen Betriebsgeschwindigkeit von 150 km/h für den städtischen Nahverkehr ausgelegt. Der zentrale technische Unterschied: Beim Transrapid fungiert der Fahrweg als Antrieb – der Motor ist als Kupferkabel über die gesamte Strecke aufgerollt. Beim TSB sitzt der Antrieb dagegen im Fahrzeug selbst. Die Kosten sind dadurch deutlich niedriger. Eine weitere Besonderheit ist die Betriebsleittechnik des TSB. Anders als bei einem klassischen Stellwerk ist sie voll automatisiert und komplett in die Fahrzeuge und Fahrstrecke integriert.  Das heißt, die Züge regeln untereinander, wer wann und wo fahren darf. Anhand des Fahrplans wissen sie, wo sie hinwollen und melden den Weichen, ob es nach rechts oder links gehen soll.

„Meine Prüfung basiert vor allem auf Dokumenten, in denen der Hersteller die Spezifikationen – also die Anforderungen – an dieses Gesamtsystem definiert und auf den Testberichten, die deren Umsetzung nachweisen.“

Hans Vallée, Sachverständiger und Gutachter mit Schwerpunkt Eisenbahn bei TÜV NORD

Wie haben Sie überprüft, dass dieser vollautomatische Zugverkehr auch sicher und zuverlässig funktioniert?

Bögl erprobt seine Magnetschwebebahn bereits seit einigen Jahren auf einer Versuchsstrecke im bayerischen Sengenthal. Das Fahrzeug ist dort allerdings auf einer einfachen eingleisigen Strecke unterwegs und realisiert die Basiselemente einer späteren Anwendungsstrecke. Meine Prüfung basiert daher vor allem auf Dokumenten, in denen der Hersteller die Spezifikationen – also die Anforderungen – an dieses Gesamtsystem definiert und auf den Testberichten, die deren Umsetzung nachweisen. Dabei entwickle ich eigene Risikoanalysen und Fehlerszenarien, um dann abzuklopfen, ob das Gesamtpaket der Anforderungen Maßnahmen vorsieht, die im jeweiligen Szenario einen Unfall verhindern. Dann prüfe ich, ob die entsprechenden Spezifikationen plausibel und vollständig sind, also keine Lücken und Widersprüche enthalten. Sowohl bezogen auf das Gesamtsystem als auf die Subsysteme wie etwa Antrieb, Bremse und Kommunikation.

Was wäre ein konkretes Fehlerszenario und wie wird es vom TSB bewältigt?

Ein Fehlerszenario wäre etwa der Ausfall der Energieversorgung. Beim TSB führt das dazu, dass das Fahrzeug auf dem Fahrweg absetzt und durch die Reibung abgebremst wird. Nun schaue ich mir an, was dieses Fehlerszenario für die folgenden Fahrzeuge bedeutet: Fahren sie auf oder halten sie in einem ausreichenden Sicherheitsabstand? Werden sie über den Ausfall des anderen Fahrzeugs informiert? Eine besondere Komplikation bei diesem Szenario: Was geschieht, wenn auch die Übertragungssysteme betroffen sind und das Fahrzeug nicht mehr kommunizieren kann? Damit verschwindet es quasi für die anderen Fahrzeuge. Also überprüfe ich, ob es eine Anforderung gibt, dass ein Zug nur dann fährt, solange er weiß, dass die Strecke wirklich frei und ausschließlich für seine Fahrt reserviert ist. Sobald ein stehendes Fahrzeug seine Position nicht mehr meldet, muss der fahrende Zug, der in gleicher Richtung auf dem gleichen Fahrweg unterwegs ist, dieses als Gefahrenpunkt beibehalten und muss sicher vor dem zuletzt gemeldeten Ort des stehenden Zugs zum Halten kommen. Denn anders als ein autonom fahrendes Auto kann ein automatisiertes System auf der Schiene ja nur vor- und zurückfahren, aber nicht ausweichen. Bei Fehlern im System muss es im Zweifelsfall also immer die automatische Notbremse ziehen.

Welche besonderen Herausforderungen für die Evakuierung nach einem Brand oder Unfall ergeben sich aus der Hochständer-Bauweise der Magnetschwebebahn?

Es gibt Regelwerke für den Brandschutz, die vorschreiben, wie viele Menschen in welcher Zeit evakuiert werden müssen. Damit eine Evakuierung überhaupt funktionieren kann, müssen aber auch Aspekte der funktionalen Sicherheit in den Blick genommen werden, denen ich mich im Rahmen meiner Prüfungen widme. Zunächst stellt sich dabei die Frage, wie ein Fahrweg konstruiert sein muss, damit man darüber überhaupt Menschen evakuieren kann. Beim Transrapid beispielsweise legt sich das Fahrwerk des Zuges wie eine Klammer um den Fahrweg. Beim TSB ist es umgekehrt, aber auch hier schließt der Fahrweg mit dem Fahrzeug ab. Sprich: Tritt man außerhalb eines Bahnhofs aus der Tür, geht es steil nach unten. Bögl hat daher an jedem Fahrzeugende eine Notausstiegstür eingebaut. Da das TSB automatisiert ist, hat es keinen Führerstand, durch den die Passagiere gehen müssten. Der Notausstieg ist also eine einfache Lösung, die aber weitere Anforderungen an das Gesamtsystem nach sich zieht. Zum einen benötigt man in regelmäßigen Abständen Abstiege, damit die Passagiere auch vom Fahrweg herunterkommen. Und wenn sich Menschen auf dem Fahrweg bewegen, muss zum anderen sichergestellt sein, dass in diesen Bereichen kein Strom mehr fließt. Ich muss also entsprechend überprüfen, ob die Stromversorgung automatisch unterbrochen wird, sobald jemand den Notausstieg öffnet. Außerdem benötigt man eine sichere Lösung für Rollstuhlfahrende. Da der Notausstieg mit dem Fahrweg über eine Treppe verbunden ist, können sie auf diesem Wege nicht hinaus. Und man kann schließlich nicht damit rechnen, dass andere Passagiere sie hinaustragen können.

Wie hat der Hersteller dieses Problem gelöst?

Bögl musste eine Möglichkeit schaffen, damit sich Rollstuhlfahrende bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte sicher in einem Zugteil aufhalten können. Voraussetzung dafür ist ein mindestens zweiteiliges Fahrzeug, das über Brandschotts verriegelt werden kann. Außerdem muss im betroffene Fahrzeugteil die Brandausbreitung so verzögert werden, dass Rollstuhlfahrende im anderen Zugteil nicht gefährdet sind. Das haben die Kolleginnen und Kollegen von TÜV NORD im Brandlabor getestet. Außerdem muss die Lüftung ausgeschaltet werden, ansonsten würden die Brandgase aus dem brennenden Zugteil hineinströmen. Auch diese sich wechselseitig bedingenden Anforderungen wurden geprüft.

Wie soll es mit dem TSB weitergehen?

Das TSB soll ja künftig nicht nur Passagiere, sondern auch Waren transportieren. Auf dem diesjährigen Weltkongress für Intelligente Verkehrssysteme und Services in Hamburg will Bögl eine Demonstrationsstrecke für den Container-Transport aufbauen. Im Oktober wird dort ein Transportsystem mit Verladeeinheit präsentiert, welches weitere sicherheitstechnisch relevante Elemente enthält. Wir bereiten uns darauf vor, die Sicherheit des Systems hier entsprechend zu prüfen.

Wann könnte die Magnetschwebebahn regulär zum Einsatz kommen?

Im chinesischen Chengdu hat Bögl zusammen mit dem lokalen Unternehmen Xinzhu eine 3,5 Kilometer lange Demonstrationsstrecke gebaut und auch bereits in Betrieb genommen. Fahrzeuge und Fahrweg wurden von Bögl in Bayern gefertigt, die Stützen für den Fahrweg hat Xinzhu vor Ort produziert. Die Strecke dient zum einen zur Erlangung der Zulassung in China auf Basis der bereits in Deutschland erbrachten Nachweise. Vor allem aber wollen die Kooperationspartner die Technologie dort potenziellen chinesischen Abnehmern demonstrieren. Die Regierung in Peking plant im Rahmen ihres aktuellen Fünf-Jahres-Plans Nahverkehrsprojekte mit einer Gesamtlänge von 3.000 Kilometern. Bögl und Xinzhu hoffen, dass dabei auch die Magnetschwebebahn eine wichtige Rolle spielen wird.

 

ZUR PERSON

Hans Vallée ist Sachverständiger und Gutachter für funktionale Sicherheit mit Schwerpunkt Eisenbahn bei TÜV NORD.