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Kurz nachgefragt

Wie zertifiziert man Rohstoffe?

3. Dezember 2020

Auto, Computer, Handy – in ihnen allen stecken Rohstoffe aus verschiedenen Teilen der Welt. Das Problem: Ob etwa Kobalt, Lithium oder Nickel in den Akkus unserer Smartphones ohne gravierende Folgen für Mensch und Umwelt produziert wurden, ist nicht ohne Weiteres festzustellen. Denn Zertifizierungssysteme, die für alle mineralischen Rohstoffe anwendbar sind und ihren kompletten Weg von der Lagerstätte bis zum Endverbraucher lückenlos nachverfolgen, gibt es bislang noch nicht. „CERA“ soll das ändern. Wie das ganzheitliche Zertifizierungssystem funktioniert, erklärt Andreas Hucke von der TÜV-NORD-Tochter DMT.

#explore: Warum braucht es überhaupt ein Zertifizierungssystem für Rohstoffe?

Andreas Hucke: Rohstoffe geraten immer dann in die Kritik, wenn humanitäre oder ökologische Folgen bei Produktion und Handel publik werden. Etwa bei den sogenannten Blutdiamanten, mit denen gewalttätige Konflikte in Angola oder Sierra Leone finanziert wurden. Große Unternehmen können sich aus ethischen und aus Imagegründen gegen den Handel mit Rohstoffen aus einer bestimmten Region entscheiden. Damit entzieht man aber zugleich auch den Menschen die Lebensgrundlage, die dort in legalen Minen arbeiten. Zertifizierungssysteme sollen hier eine Orientierung bieten, um problematische von unproblematischen Rohstoffquellen zu unterscheiden. Zudem bieten sie für Verbraucher eine Orientierungshilfe bei Kaufentscheidungen.

Was ist CERA?

CERA ist ein Zertifizierungsstandard für alle mineralischen Rohstoffe, wie etwa Kobalt oder Lithium, aber auch für Marmor oder Diamanten. Das System soll sicherstellen, dass diese Ressourcen ökologisch, ethisch und sozial nachhaltig produziert, verarbeitet und gehandelt werden. Wir entwickeln CERA gemeinsam mit TÜV NORD CERT, der niederländischen Universität Leiden, der österreichischen Montanuniversität Leoben und den schwedischen Unternehmen RISE und LTU Business. Alle Beteiligten haben das Gefühl, hier wirklich etwas bewegen zu können.

Was unterscheidet CERA von bisherigen Zertifizierungssystemen?

Aktuelle Zertifizierungsinitiativen widmen sich ausschließlich einzelnen Mineralien oder bestimmten Regionen. Mit CERA nehmen wir den gesamten Weg der Rohstoffe nach Nachhaltigkeitskriterien in den Blick – von der Finanzierung über die Produktion und den Handel bis zum Endprodukt.

Zertifizierungssysteme sollen eine Orientierung bieten, um problematische von unproblematischen Rohstoffquellen zu unterscheiden

Andreas Hucke, Initiator des CERA-Systems

Dazu entwickeln wir vier aufeinander aufbauende Standards: Bevor überhaupt in einem Bergwerk produziert wird, greift beispielsweise der sogenannte Readiness Standard. Er legt verbindliche Kriterien für die Bewertung einer Lagerstätte in Bezug auf deren nachhaltige Nutzung fest. Das gibt Banken eine Orientierung, ob sie die Kreditzusage an ein Bergbauprojekt unter ethischen und ökologischen Gesichtspunkten vertreten können.

Der eigentliche Hauptstandard, an dem wir auch am intensivsten arbeiten, ist der sogenannte Performance Standard. Er bewertet die Nachhaltigkeit des Abbaus und der Aufbereitung der Rohstoffe. Auditoren überprüfen dabei beispielsweise in China oder im Kongo vor Ort, ob die Unternehmen diese Standards tatsächlich einhalten. Neben unangekündigten Besuchen im Bergwerk wird dabei unter anderem auch die lokale Bevölkerung befragt, um zu ermitteln, ob in der örtlichen Kobaltmine tatsächlich keine Kinderarbeit stattfindet.

Kann ich – zum Beispiel aktuell beim Kauf der Weihnachtsgeschenke – bereits heute darauf achten, ob etwa die in Smartphone oder Tablet verwendeten Rohstoffe nachhaltig produziert und gehandelt wurden?

Tatsächlich leider kaum. Es gibt zwar einzelne Leuchtturmprojekte wie beispielsweise Fairphone, die unser Projekt aktiv unterstützt haben. Dieses niederländische Unternehmen achtet bei der Produktion seiner Smartphones darauf, dass die verwendeten Materialien nicht aus Konfliktgebieten kommen. Im Schmuckbereich werden in kleinerem Umfang Diamanten oder Gold zertifiziert. In der Massenproduktionsindustrie gibt es sehr viele Bemühungen, die teilweise auch erste Erfolge zeigen. Umfassende Zertifizierungssysteme gibt es aber bislang noch nicht. Insofern sieht es, was nachweisbare Nachhaltigkeit angeht, auf dem Gabentisch bislang noch ziemlich mau aus.

Wie wird sichergestellt, dass diese nachhaltig produzierten Rohstoffe auch tatsächlich im Smartphone landen und nicht auf dem Handelsweg mit Materialien aus fragwürdigen Quellen vermischt werden?

Hier greift unser „Chain of Custody Standard“, der die Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und Nachvollziehbarkeit der Handelskette gewährleistet. Die Nachverfolgung des Materials erfolgt dabei zum einen auf digitalem Weg über ein Hybridsystem, das teilweise auf der Blockchain-Technologie basiert. Wir haben dazu ein System entwickelt, über das der Endkunde die Herkunft und Nachhaltigkeit des Materials sicher überprüfen kann und das zugleich diese sensiblen Firmengeheimnisse vor dem Zugriff etwa durch Konkurrenten schützt.

Zum anderen werden auch physische Stichproben der entsprechenden Materialien mittels „Fingerprinting“ untersucht: Anhand der Verteilung von Spurenelementen lässt sich nämlich ermitteln, ob ein Rohstoff aus einer bestimmten Region oder Lagerstätte stammt.

Wir haben diesen „Chain of Custody Standard“ dabei bewusst so angelegt, dass auch Kleinstbetriebe ihre Rohstoffe in diesen Materialstrom einspeisen und an große Abnehmer verkaufen können. Eine Bauernfamilie, die den Winter mit der Suche nach verkäuflichen Rohstoffen überbrückt, hat ja weder die finanziellen noch personellen Mittel, um entsprechende Managementsysteme aufzusetzen. Unser System soll auch diesen Menschen die Möglichkeit geben, die Nachhaltigkeit ihrer Produktion nachzuweisen.

Der jüngste Standard, den wir gerade noch entwickeln, ist der „Final Product Standard“. Er legt fest, wie die Endprodukte beziehungsweise die verwendeten Rohstoffe dann unter Nachhaltigkeitsaspekten zertifiziert und deklariert werden.

Ende 2019 haben Sie die erste Version des „Performance Standard“ vorgestellt. Wo steht CERA heute?

In unserem Advisory Board sind mittlerweile auch große Unternehmen wie Volkswagen und Siemens vertreten. Solche Autobauer und Zulieferer haben ein großes Interesse an einem solchen universellen Standard. Zumal etwa für den Schlüsselrohstoff Lithium außer CERA noch gar kein Zertifizierungssystem existiert. Deshalb unterstützen uns diese Unternehmen auch bei den Pilotprojekten, die wir auf den Weg gebracht haben. Aktuell betreiben wir vier solche Projekte. Da die Infrastruktur und die hierarchischen Ebenen des Systems noch nicht etabliert sind, übernehmen zunächst wir als Entwickler alle Rollen, beraten also die Firmen und arbeiten mit den Kollegen von TÜV NORD CERT den Ablauf des Audits aus. In dieser Praxiserprobung gewinnen wir wichtige Erfahrungen, um unser Konzept immer weiter zu optimieren. 

 

ZUR PERSON

Andreas Hucke ist Leiter Geschäftsentwicklung Nachhaltigkeit und Rohstoffe bei DMT und Initiator des CERA-Systems.