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Portrait von Patricia Cammarata
Steckbrief

Patricia Cammarata: Die Eltern-Aufklärerin

09. August 2018

Wenn Kinder am Computer spielen, werden viele Eltern nervös und reagieren mit Abwehr. Doch statt Computerspiele pauschal und prophylaktisch zu verdammen, sollten sich die Erwachsenen ernsthaft mit dem Hobby ihres Nachwuchses auseinandersetzen, um sich ein eigenes Urteil zu bilden – plädiert Patricia Cammarata. Auf ihrem Blog „Das Nuf Advanced“ und auf dem Portal „Schau hin“ schreibt sie über Kinder und digitale Medien. Im Workshop „Endgegner Computerspiel“ auf der Digitalkonferenz re:publica 2018 brachte sie Spieler und Nichtspieler an einen Tisch.

Name:
Patricia Cammarata

Alter:
42

Beruf:
Referentin Geschäftsentwicklung

Website:
https://dasnuf.de // https://mkl.wtf/

Was ist „das Nuf“?
Ganz zu Beginn war es ein Nickname für einen Chat. Seit 2014 dann ein Blog, aus dem bereits ein Buch wurde. Die Themenschwerpunkte sind Kinder und digitale Medien, Privatheit im Netz sowie Gleichberechtigung. Viele der Themen bespreche ich gemeinsam mit Caspar Clemens Mierau im Podcast „Mit Kindern Leben“.

Beim Thema Computerspiele reagieren viele Eltern befremdet bis alarmiert. Wie sieht aus Ihrer Sicht ein sinnvoller Umgang damit aus?
Computerspiele sind eine Freizeitbeschäftigung wie jede andere. Je nach Alter gibt es jedoch angemessene und weniger angemessene Beschäftigungen. Einen Fünfjährigen würde ich zum Beispiel nicht unbeobachtet einen Kuchen backen lassen. Wenn ein Sechzehnjähriger dagegen Marshmallows für eine Kuchendeko flambieren möchte, hätte ich keine Bedenken. So ist es bei Computerspielen im Grunde auch. Man kommt als Eltern nicht daran vorbei, sich die Spiele mal genauer anzuschauen. Erst dann kann man sich ein Urteil bilden. Ein sinnvoller Umgang bedeutet also in jedem Fall eine vorurteilsfreie und aufrichtig interessierte Auseinandersetzung mit dem Thema. Man muss außerdem lernen, welche Spielmechaniken es überhaupt gibt. Speicherpunkte sind da ein Beispiel. Wenn man pauschal sagt: Nach 30 Minuten Gamen ist Schluss, und es gibt in dieser Zeit keinen Speicherpunkt, zwingt man das Kind, den erarbeiteten Spielstand aufzugeben und beim nächsten Mal ganz von vorne anzufangen. Natürlich löst das Frust aus. Den Kuchen hole ich nach 30 Minuten auch nicht aus dem Ofen, weil jetzt mal Schluss mit Backen sein muss!

Gerade „Schießspiele“ sind für viele Eltern ein rotes Tuch. Sind ihre Sorgen berechtigt?
Nein, vor allem nicht als Pauschalurteil. In Gesprächen stelle ich oft fest, dass so etwas verteufelt wird, bevor die Eltern sich auch nur ein oberflächliches Bild davon gemacht haben. Sobald klar ist, dass da geschossen wird, gehen alle Alarmglocken an, und ein Austausch darüber ist nur noch schwer möglich. Ein schönes Beispiel ist das unter Jugendlichen aktuell sehr beliebte Game Fortnite Battle Royale. Die meisten Eltern wissen nur, da geht es darum, dass 100 Spielerinnen und Spieler gegeneinander antreten, um sich zu töten. Dabei gleicht das „Ausschalten“ eher dem Abschlagen beim Fangen. Dass das Spiel auf Gewaltdarstellungen verzichtet, man nicht mal Blut sieht, geschweige denn Leichen, wissen die meisten gar nicht. Dabei könnte man das schon feststellen, wenn man zehn Minuten in das Spiel hineinschaut.

„Pauschale Verbote halte ich grundsätzlich nicht für sinnvoll.“

Patricia Cammarata

Manche Eltern setzen prophylaktisch auf Verbote …
Pauschale Verbote halte ich grundsätzlich nicht für sinnvoll. Vor allem die älteren Kinder spielen am Ende trotzdem – nur eben heimlich. Wenn sie dann doch etwas verstört oder beschäftigt, zu wem sollen sie dann mit ihren Ängsten und Sorgen gehen? Zu den Eltern, die ein Verbot ausgesprochen haben, ohne sich vorher mit dem Spiel zu beschäftigen? In wenigen Schießspielen geht es vorrangig um das Töten. In sehr vielen Strategiespielen sind Waffen Teil des Settings. Das heißt aber nicht, dass das die Faszination des Spiels ausmacht. Ich habe mal einen Vortrag zu den Strategien bei Counter-Strike gehört und war total fasziniert, wie komplex das ist, wie viel die Teams planen müssen und wie oft sie Spielzüge wiederholen, bis es dann wirklich klappt. Das Töten rückte in meiner Sicht total in den Hintergrund, und mein Gesamteindruck war am Ende fast der eines taktischen Sports. Im Übrigen wird meiner Auffassung nach vollkommen unterschätzt, welches Abstraktionsvermögen Kinder und Jugendliche haben und inwiefern sie Fiktion und Realität voneinander unterscheiden können. Dass Schießspiele eins zu eins Aggressionspotenzial aufbauen, halte ich nicht für zutreffend.

Ein beliebtes Mittel, um ausuferndes Daddeln in geregelte Bahnen zu lenken, ist das Vereinbaren von Medienzeiten. Wie haben Sie das mit Ihren Kindern geregelt?
Bei uns gibt es keine festen Medienzeiten. Die Kinder haben unter der Woche bestimmte Pflichten zu erfüllen, zum Beispiel Hausaufgaben machen oder im Haushalt helfen, und danach haben sie Freizeit. In dieser Freizeit können sie selbst entscheiden, was sie machen möchten. Es gibt allerdings Mediensperrzeiten: vor der Schule und zwei Stunden vor dem Einschlafen. Zum Daddeln unter der Woche (auch zum Fernsehen) bleibt kaum noch Zeit. Am Wochenende und in den Ferien kann auch mal exzessiv gespielt werden. In unseren Winterurlauben spielt mein Partner sogar gemeinsam mit den Kindern. Mir ist es wichtig, dass die Kinder lernen, wann es angemessen ist, zu spielen, und wann nicht. Bislang – toi, toi, toi – fahren wir damit sehr gut.

„Alternativen anzubieten kann durchaus sinnvoll sein – wenn sie attraktiv und glaubhaft sind.“

Patricia Cammarata

Alternativen anzubieten ist ein weiterer beliebter Ratschlag. Dem computerspielenden Kind vorzuschlagen, lieber einem Ball hinterherzurennen, ist allerdings selten von Erfolg gekrönt …
Das ist ja ein bisschen so, als würde man ein Käsebrötchen reichen (das grundsätzlich auch sehr lecker sein kann), wenn das Kind Bock auf Nuss-Nugat-Creme hat. Alternativen anzubieten kann durchaus sinnvoll sein – wenn sie attraktiv und glaubhaft sind. Das Kind soll sich mal bewegen? Na ja, vielleicht muss man dann als Elternteil auch mal vom Sofa hoch. Oder man bespricht wirklich mal genauer: Was macht dem Kind Spaß? Welche Möglichkeiten gibt es, Sport zum regelmäßigen Teil des Alltags werden zu lassen? Auch Geocaching oder Pokémon Go fallen unter Bewegung und frische Luft. Um bei Computerspielen Alternativen anbieten zu können, muss ich mich natürlich informieren und selber up to date bleiben. Das erscheint erst einmal mühsam, wenn man selbst nicht Computer spielt. Aber es kostet weniger Zeit, als viele Eltern glauben. Wird ein neuer Toaster gekauft, verbringen Erwachsene gerne mal ein paar Tage mit der Recherche. Um sich einen ersten Eindruck von einem Spiel zu machen, reicht oft schon eine halbe Stunde. Wie das konkret aussehen kann, habe ich für Fortnite Battle Royale mal auf meinem Blog durchgespielt.

Wie kann man sich als Eltern denn selbst ein Bild von den Spielen machen, die die Kinder spielen oder spielen wollen?
Podcasts oder Radio-Rezensionen anhören. „Let’s Plays“ anschauen, bei denen Gamer ihre Spielerlebnisse in Videos dokumentieren. Ratgeberseiten wie den Spieleratgeber NRW lesen. Und nicht zuletzt das Kind einfach mal fragen: Was spielst du da? Warum macht dir das Spaß? Was genau macht dir daran Spaß? Manchmal sehe ich, dass du dich doll ärgerst – warum spielst du trotzdem immer weiter? Was ist bei euch in der Klasse/im Freundeskreis gerade Thema? Reizt dich das? Warum/warum nicht?

Wie geht man damit um, wenn man vom Spiel des Kindes selbst wenig begeistert ist – weil es etwa für Zusatzinhalte Geld verlangt oder als Onlinespiel auf Endlosigkeit angelegt ist?
Da hilft leider nichts anderes als ausführliche Gespräche. Und zwar so früh wie möglich, damit Kinder bestenfalls schon sensibilisiert sind, bevor sie mit diesen Themen in Kontakt kommen. Wenn man das verpasst hat, muss man Lösungen erarbeiten. Ich selbst bin von den Themen „Zusatzinhalte kaufen“ und „Werbeunterbrechungen“ extrem genervt. Wir haben deswegen angeboten, eine Spielekonsole zu beschaffen und uns finanziell an Games zu beteiligen, da diese beiden Probleme vor allem Tablet- und Handyspielen anhaften. Wir haben dann auch recherchiert, wie leicht man an gebrauchte Spiele kommt und wie groß das Angebot dazu in unserer Bibliothek ist.

Wie macht man Kinder denn jetzt eigentlich „medienkompetent“?
Bestenfalls durch ein medienkompetentes Umfeld, durch Ausprobieren und Gespräche. Durch Verbote ganz bestimmt nicht. Medienkompetenz bleibt deshalb auch für Eltern ein Dauerthema.

Welches digitale Produkt muss erst noch erfunden werden?
Neues fällt mir auf die Schnelle nicht ein. Ich wünsche mir aber dringend Anwendungen, die datensensibler sind, und Technologien, die ordentlich und leicht handhabbar verschlüsseln.

Auf welches können Sie verzichten?
Abhörgeräte wie Alexa und Co. Wobei die Verlockung schon sehr hoch ist. Es ist ja so bequem …

Welche technische Anwendung wird auch Ihnen immer ein Rätsel bleiben?
Die 200 Subprogramme meiner Mikrowelle.

Ohne welche fünf Apps kommen Sie nicht durch den Tag?
Wie konsequent über Datensparsamkeit zu schreiben und dann als Erstes zu denken: Google Maps. Das Leben ist voller Widersprüche. Ansonsten Messenger-Dienste wie Threema, die Erinnerungsfunktion meines Handys, digitale Kalender und Wunderlist.

Urlaub ohne WLAN: Traum oder Albtraum?
Unnötig.

Nehmen Sie das Handy mit ins Bett?
Natürlich. Den Kindern verbiete ich es aber (siehe Punkt „Das Leben ist voller Widersprüche“).

Im #explore-Format „Steckbrief“ kommen regelmäßig spannende und inspirierende Menschen aus der digitalen Szene zu Wort: Forscher*innen, Blogger*innen, Start-up-Gründer*innen, Unternehmer*innen, Hacker*innen, Visionäre*innen.