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Halbleiter

Mehr Chips aus heimischer Produktion

1. Juni 2023

Halbleiter stecken in Smartphones, Grafikkarten und anderer Unterhaltungselektronik. Aber auch für Windkraftanlagen, Solarpaneele, Wärmepumpen und Autos sind sie unverzichtbar. Aufgrund von Engpässen in der Chipversorgung, besonders während der Coronakrise, mussten diverse Automobilhersteller ihre Produktion temporär drosseln oder sogar pausieren. Bislang kommen die Chips überwiegend aus Asien. Die EU will nun die Produktion in Europa anschieben.

 

Großer Bahnhof in Dresden. Beim virtuellen Spatenstich der neuen Chipfabrik von Infineon hielten neben Oberbürgermeister Dirk Hilbert und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer auch Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine silberne Schaufel in die Kameras. Ab Herbst 2026 sollen die ersten Chips aus der sogenannten „Smart Power Fab“ ausgeliefert werden und etwa in Ladegeräten, Motorsteuerungen für Autos, Rechenzentren und den vernetzten Geräten des Internets der Dinge zum Einsatz kommen.

Dresden ist bereits jetzt einer der größten Entwicklungs- und Fertigungsstandorte von Infineon. 3.250 Menschen arbeiten dort aktuell für den Chipkonzern aus München. Die Smart Power Fab soll 1.000 weitere Arbeitsplätze schaffen und Dresden zu einem der führenden Halbleiterstandorte in Europa machen, so das erklärte Ziel. Fünf Milliarden Euro steckt der Halbleiterhersteller in das neue Werk. Nach eigenen Angaben die größte Einzelinvestition der Unternehmensgeschichte, bei der sich der Konzern auch auf eine staatliche Förderung stützen kann. Die nationale ebenso wie die europäische Politik setzen große Hoffnungen in den Ausbau der heimischen Halbleiterproduktion. „Dresden ist ein digitaler Leuchtturm Europas“, sagte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. Es gehe darum, die technologische Souveränität der EU zu sichern. Denn jede Störung des Halbleiterhandels würde den europäischen Binnenmarkt empfindlich treffen, warnte von der Leyen.

 

 

Die Chipkrise ist noch nicht ausgestanden

Wie sich das auswirken kann, zeigte die sogenannte Chipkrise, die während der Coronapandemie ihren Höhepunkt fand und diverse europäische Autobauer in Produktionsengpässe trieb. Einer der Gründe: Um sich Lagerkosten zu sparen, kaufen Automobilhersteller ihre Chips just in time, also für den jeweiligen Bedarf. Und während der Pandemie stornierten viele Autobauer ihre Chip-Lieferverträge in großem Stil, erklärt Timo Bartkewitz von TÜVIT. „Letztlich ist die weltweite Nachfrage nach Pkw aber nicht im erwarteten Rahmen gesunken, und die Halbleiterhersteller hatten sich zwischenzeitlich andere Abnehmer gesucht“, so der Experte. Mittlerweile hat sich die Situation auf den Weltmärkten zwar wieder etwas entspannt. Von uneingeschränkter Verfügbarkeit kann jedoch nach wie vor keine Rede sein. So rechnet der Verband der Automobilindustrie  (VDA) damit, dass wegen der Chipknappheit bis 2026 weltweit 20 Prozent weniger Fahrzeuge gebaut werden könnten.

Wachsende Spannungen zwischen China und Taiwan könnten die Halbleiterversorgung ebenfalls künftig gefährden, warnt EU-Ratspräsidentin von der Leyen. Taiwan gilt aktuell als größter Halbleiterproduzent der Welt, China liegt auf Platz vier und bringt es zusammen mit dem Inselstaat auf 36 Prozent der weltweiten Produktion. „Wenn es zwischen China und Taiwan zu verschärften Handelssanktionen oder gar einem bewaffneten Konflikt kommen würde, könnte das gravierende Folgen für die Chipversorgung in Europa haben“, sagt Bartkewitz von TÜVIT. Auch deshalb braucht es aus Sicht der EU-Politik wieder mehr Halbleiter-Massenproduktion in Europa.

 

 

Zur Person

Dr. Timo Bartkewitz ist Fachexperte für Hardware und eingebettete Sicherheit bei TÜVIT. Der studierte Elektro- und Informationstechniker im Fachgebiet IT-Sicherheit nimmt in seinem Arbeitsalltag etwa die Manipulations- und Hackersicherheit der Chips auf EC-Karten oder Personalausweisen unter die Lupe.

European Chips Act

Infineon erwartet für sein Fünf-Milliarden-Euro-Projekt in Dresden eine staatliche Förderung von einer Milliarde Euro. Rechtliche Basis für die Subvention ist der im April beschlossene „European Chips Act“. Insgesamt 43 Milliarden Euro an öffentlichen und privaten Investitionen will die EU mobilisieren und den weltweiten Produktionsanteil von Halbleitern in Europa bis 2030 so auf 20 Prozent verdoppeln. Da sich die Nachfrage bis dahin ebenfalls verdoppeln dürfte, müssten die heutigen Produktionskapazitäten auf dem Kontinent entsprechend vervierfacht werden, so EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen.

Ob die EU mit diesen Subventionsmitteln international mithalten kann, muss sich zeigen. Denn die USA stecken über den sogenannten „Chips Act for America“ 52 Milliarden Dollar in die heimische Halbleiterindustrie. Samsung will bis 2042 umgerechnet 230 Milliarden Dollar in die eigene Chipproduktion in Südkorea investieren. China wiederum plant nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters ein Investitionsprogramm über 143 Milliarden Euro als Antwort auf die Förderung in den USA.

Trotz der großen globalen Konkurrenz zieht auch das EU-Programm Unternehmen an. Insgesamt mehr als 100 Milliarden Euro an Investitionen seien nach Bekanntgabe der Pläne 2022 angekündigt worden, so ein EU-Vertreter gegenüber der „Tagesschau“.

 

 

Beim virtuellen Spatenstich des Halbleiter-Herstellers Infineon in Dresden zeigte auch die politische Elite Flagge.

Intel in Magdeburg

Der US-Chiphersteller Intel etwa plant ein Werk in Magdeburg, in dem ab 2027 Prozessoren und Grafikchips produziert werden sollen. 3.000 Arbeitsplätze sollen direkt in Magdeburg entstehen, weitere bei Zulieferern. 17 Milliarden Euro will Intel in das neue Werk investieren und insgesamt 80 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren in Europa. In trockenen Tüchern ist die Entscheidung für Magdeburg aber noch nicht: Intel drängt laut Medienberichten auf eine höhere staatliche Förderung. Die zugesagten 6,8 Milliarden Euro würden nicht ausreichen. Man benötige nun zehn Milliarden Euro, hieß es – wegen gestiegener Kosten für Energie, Logistik und den eigentlichen Bau, so das Unternehmen. Die Bundesregierung hatte im Gegenzug einen Kompromiss gefordert: Für höhere Subventionen müsse Intel auch seine geplanten Investitionen erhöhen.

 

 

 

Technologieprodukt: Halbleiter ermöglichen komplexe elektronische Schaltungen und sind das Ausgangsmaterial von Computerchips.

Wolfspeed im Saarland und in Bayern

Einen Schritt weiter ist Wolfspeed im saarländischen Ensdorf: Der US-Konzern wird hier eine Chipfabrik für 2,75 Milliarden Euro bauen. Ab 2027 sollen rund 600 Mitarbeitende Siliziumkarbid-Halbleiter produzieren, die in Energie- und Industrieanlagen zum Einsatz kommen können. Der Vorteil von Chips aus Siliziumkarbid: „Sie vertragen höhere Spannungen und Temperaturen, sind leistungsfähiger und energieeffizienter als gängige Siliziumchips“, erläutert Bartkewitz von TÜVIT. Dadurch können sie die Reichweite und die Ladegeschwindigkeit von Elektroautos erhöhen.

Wolfspeed rechnet mit einer Förderung von rund 20 Prozent der Gesamtinvestitionskosten der neuen Fabrik. Zulieferer ZF beteiligt sich finanziell und mit seinem Know-how an dem Werk, das die weltweit modernste und größte Fabrik für Siliziumkarbid-Halbleiter werden soll. Die beiden Unternehmen planen außerdem ein Forschungszentrum für die Halbleiterentwicklung bei Nürnberg, das seinerseits vom Bund und dem Land Bayern gefördert wird.

Wolfspeeds Konzentration auf höherpreisige High-End-Chips in Europa ergibt für Timo Bartkewitz von TÜVIT durchaus Sinn. Schließlich habe Asien geringere Lohnkosten und bereits die Produktionskapazitäten für die Massenfertigung günstiger Halbleiter aufgebaut. „Europas Stärken liegen dagegen nach wie vor in der Forschung“, so der Experte. „High-End-Chips sind daher ein naheliegender Schritt, da neue Erkenntnisse und Entwicklungen hier am unmittelbarsten einfließen können.“

 

Was ist ein Halbleiter?

Kupfer, Silber und andere Metalle leiten Strom in jeder Lebenslage. Halbleiter sind dagegen Materialien, die sowohl Eigenschaften von Leitern als auch von Nichtleitern besitzen: Bei tiefen Temperaturen sind sie zum Beispiel Nichtleiter, bei höheren Temperaturen oder gezielter Lichteinstrahlung leiten sie Strom. In der Natur kommen für Chips geeignete Halbleiter nicht vor, erklärt Timo Bartkewitz von TÜVIT. „Es handelt sich vielmehr um ein reines Technologieprodukt, das durch den Menschen auf den jeweiligen Bedarf konzipiert wird.“ Halbleiter ermöglichen komplexe elektronische Schaltungen und sind das Ausgangsmaterial von Computerchips. Daher werden die beiden Begriffe oft synonym verwendet. Chips werden zumeist aus dem Halbleiter Silizium herstellt, dem das Silicon Valley seinen Namen verdankt.

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