30. April 2025
25 Jahre ist die Internationale Raumstation ISS mittlerweile ununterbrochen im Betrieb. Anfang 2031 soll Schluss sein und die Raumstation kontrolliert zum Absturz gebracht werden, wie die NASA Mitte 2024 verkündet hat. Doch welche Experimente haben die wechselnden Besatzungen dort durchgeführt, welche Entwicklungen wurden vorangetrieben – und welche neuen Raumstationen soll es bald geben?
In 400 Kilometern Höhe kreist sie alle 90 Minuten einmal um die Erde: die „wertvollste und zugleich unwahrscheinlichste Maschine“, die die Menschheit je gebaut hat, wie Alexander Gerst die Internationale Raumstation ISS bezeichnet hat. Der ESA-Astronaut verbrachte während seiner zwei Missionen insgesamt fast ein Jahr auf der Raumstation – als einer von über 250 Menschen aus 19 Ländern.
Dass es überhaupt dazu kommen konnte, ist der politischen Tauwetterlage Ende der 1990er-Jahre geschuldet. Der Eiserne Vorhang war gefallen, die Zeit schien reif für einen gemeinsamen Außenposten der Menschheit im All: 1998 unterzeichneten die USA, Russland, Kanada, Japan und die Europäische Weltraumagentur ESA mit ihren damaligen elf Mitgliedsländern die Erklärung zum Aufbau der ISS.
Im November 2000 zogen erstmals Raumfahrende dauerhaft auf der Raumstation ein. Diese ist seither Modul um Modul gewachsen, besteht heute aus sechs Forschungslaboren, zwei Wohneinheiten, einer Beobachtungskuppel, diversen Stauräumen und Verbindungsknoten. Mit ihren Solarpaneelen ist sie so groß wie ein Fußballfeld und bietet ihren Insassinnen und Insassen mit 1.200 Kubikmetern mehr Platz als ein Flugzeug für 500 Reisende.
Vollautomatische Raumfrachter
Mit Nachschub versorgt wurden die Besatzungen unter anderem über das Automated Transfer Vehicle (ATV) der ESA. Zwischen 2008 und 2015 brachte jedes ATV über sechs Tonnen Treibstoff, Wasser, Sauerstoff, Nahrung und Ausrüstung zur ISS.
Dass alle fünf Flüge reibungslos und plangemäß verliefen, daran hat auch ALTER einen maßgeblichen Anteil. Die Tochter der TÜV NORD GROUP war von der ESA mit der Beschaffung der insgesamt 2,5 Millionen elektronischen Komponenten für die ATV (siehe Kasten) betraut. Und die Fachleute prüften diese Komponenten in ihren Laboren darauf, ob sie den extremen Bedingungen im Weltall standhalten.
Irdische Forschungslücken schließen
Aber wozu dieser gewaltige technische, logistische und finanzielle Aufwand? Ein wissenschaftlicher Außenposten im All bietet gleich mehrere Vorteile: Zunächst erlaubt er einen anderen Blick auf die Erde. So sind an der ISS Instrumente installiert, mit denen etwa Daten zum Klimawandel gesammelt werden. Und es lassen sich Komponenten für Satelliten erproben. Zum Beispiel der Prototyp einer hochauflösenden Kamera für Minisatelliten, den die Fachleute von ALTER ebenfalls auf seine Alltauglichkeit getestet haben, bevor er an der ISS installiert wurde. Und auf der Raumstation kann man Experimente durchführen, die auf der Erde nicht möglich wären.
Hochkomplexe Nachschublieferungen für die ISS
Fünfmal starteten Automated Transfer Vehicles zwischen März 2008 und Februar 2015 zur ISS. Beauftragt von der ESA, gebaut in Bremen und ausgerüstet mit einem hoch entwickelten Navigationssystem, konnten die Versorgungsfrachter den Kurs für das Rendezvous-Manöver mit der ISS automatisch berechnen und selbstständig andocken. Dort dienten die ATV mit ihren Triebwerken auch zur routinemäßigen Bahnkorrektur – also dazu, die täglich rund 100 Meter an Höhe verlierende ISS wieder zurück auf ihre vorgesehene Umlaufbahn zu schieben. Da in ihnen nicht rund um die Uhr das Licht brannte und sie auch nicht an die geräuschvolle Klimaanlage der ISS angeschlossen waren, wurden sie von der Crew der ISS aber auch gerne als Schlafplatz genutzt. Nach maximal sechsmonatiger Andockdauer wurden die ATV dann mit Abfall beladen und in die Atmosphäre gelenkt, um dort größtenteils zu verbrennen. Als orbitaler Müllschlucker stellten sie so sicher, dass die Besatzungen der ISS nicht in ihrem eigenen Abfall erstickten.
Beispielsweise zur Entwicklung neuer Legierungen, also Metallmischungen. Legierungen aus Aluminium und Blei etwa gelten theoretisch als sehr vielversprechend, um verschleißärmere Automotoren und elektrische Kontakte zu bauen. Dummerweise mischen sich Aluminium und Blei auf der Erde nie: Schmilzt man sie ein, sinkt Letzteres auf den Boden, während Ersteres nach oben steigt. In der Schwerelosigkeit auf der ISS aber kann man solche und andere Legierungen erforschen und so neue Materialien entwickeln – etwa besonders leichte und widerstandsfähige Legierungen für Flugzeugturbinenschaufeln, die den Kerosinverbrauch und damit die CO2-Emissionen senken.
Ultrakalte Atome und simulierte Osteoporose
Im „Cold Atoms Lab“ der NASA forschen amerikanische und deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an ultrakalten Atomen. „Die ISS-Versuche ermöglichen die Überprüfung der Quantenphysik und unseres physikalischen Weltbildes mit einer Genauigkeit, die auf der Erde nicht erreicht werden kann“, erläutert Volker Schmid vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Ergebnisse der Untersuchungen könnten aber auch zur Entwicklung exakterer Zeitmessverfahren oder von Quantencomputern beitragen.
Nicht zuletzt wird auf der ISS untersucht, wie der menschliche Körper auf die Schwerelosigkeit und andere Ausnahmesituationen im All reagiert. Das ist wichtig für künftige Langzeitmissionen zum Mars. Und ebenso für unser Leben auf der Erde: Die Untersuchung des Knochenschwunds, den Raumfahrende in der Schwerelosigkeit erleiden, kann wichtige Impulse für die irdische Osteoporosebehandlung geben. Laut dem DLR hat die medizinische Grundlagenforschung auf der ISS auch bereits neue Ansätze bei der Therapie von Volkskrankheiten wie Bluthochdruck oder Gleichgewichtsstörungen gebracht.
© ALTER TECHNOLOGYALTER TECHNOLOGY war mit der Beschaffung der insgesamt 2,5 Millionen elektronischen Komponenten für die Automated Transfer Vehicles (ATVs) betraut. Diese versorgten die Besatzungen der ISS mit Nachschub.
© Adobe StockWie Science-Fiction: Die Ansicht des durchdesignten Interieurs einer hochmodernen Raumstation.
Übergang ins kommerzielle Zeitalter
Zunehmend testen auch Unternehmen ihre technischen Entwicklungen auf der ISS. Die ESA hat dazu zwischenzeitlich an ihrem Forschungsmodul Columbus, dessen Komponenten ebenfalls von ALTER vorab geprüft wurden, eine Außenplattform für kommerzielle Experimente angedockt. Die NASA sieht in der kommerziellen Forschung tatsächlich die Zukunft im Orbit. Nach der ISS will sie nicht länger eine eigene Station in der Erdumlaufbahn betreiben, sondern sich auf Raumstationen privater Unternehmen einmieten. Den Anfang macht die US-Firma Axiom Space, die von der NASA beauftragt wurde, ein neues Modul für die ISS zu entwickeln. Das erste soll laut Plan 2026 andocken, weitere werden später folgen. Wenn die ISS dann ihren Betrieb einstellt, sollen die Module wieder abgetrennt und zu einer eigenständigen Raumstation verbunden werden.
Axiom Space ist aber längst nicht das einzige Unternehmen, das Pläne für Raumstationen schmiedet. Die US-Firma Vast will ebenfalls 2026 mit seiner Station Haven-1 in den Orbit starten. Ab dem Zeitpunkt sollen vier zahlende Kundinnen oder Kunden bis zu 30 Tage auf der zehn Meter langen Raumstation verbringen können. Für die darauffolgenden Jahre plant Vast eine größere Station und bewirbt sich dazu beim Förderprogramm der NASA für kommerzielle Raumstationen. Die hat über dieses Programm unter anderem bereits ein Joint Venture zwischen Sierra Space und Jeff Bezos’ Raumfahrtunternehmen Blue Origin mit 172 Millionen Dollar gefördert. Dessen Raumstation Orbital Reef versteht sich als „gemischt genutztes Gewerbegebiet im Weltraum“, hat 2024 einige wichtige Tests erfolgreich bestanden und soll bis 2027 bezugsfertig sein.
Lunar Gateway – das Tor zum Mond
Die Zeit staatlicher Raumstationen ist damit allerdings nicht vorbei: China betreibt seit 2021 die Station Tiangong. Russland will 2027 mit dem Aufbau einer eigenen Raumstation beginnen, Indien 2028. Im Vergleich zum Fußballfeld der ISS sind sie allesamt eher auf Tennisplatzlänge geplant.
Zwar will die NASA im Orbit künftig keine eigenen Raumstationen mehr betreiben. Doch sieht es 384.000 Kilometer entfernt von der Erde schon anders aus: Gemeinsam mit den bisherigen ISS-Partnerländern – außer Russland – plant die US-Raumfahrtagentur das Lunar Gateway. Diese Raumstation in der Mondumlaufbahn soll im Rahmen des Mondlandungsprogramms Artemis sowohl zur Forschung als auch als „Umsteigebahnhof“ zwischen Raumfähre und der Oberfläche unseres Trabanten dienen.
Das erste Bauteil soll 2027 zum Mond starten, 2028 dann die erste Besatzung mit Modul Nummer 2 folgen: Das Lunar I-Hab wird von der ESA gebaut, die japanische JAXA steuert die Batterien und die Lebenserhaltungssysteme bei. Mit zehn Kubikmetern bietet es vier Mondreisenden so viel Platz zum Wohnen, Schlafen, Essen und Sporteln wie ein familientaugliches Wohnmobil und genug Ressourcen, um 90 Tage um unseren Trabanten zu kreisen.
Erbe der ISS
Auch wenn die Mondstation also deutlich kleiner ausfällt und nicht auf eine dauerhafte Besatzung ausgelegt ist, sei es „nicht übertrieben, zu sagen, dass Gateway ein Teil des Erbes der ISS ist“, sagte Stephanie Dudley, eine Projektverantwortliche bei der NASA.
Die wird 2030 auf ihre einjährige Abschiedstournee um die Erde gehen und dann Anfang 2031 in einer abgelegenen Region im Südpazifik versenkt. Auf dem „Friedhof der Raumschiffe“, wo neben Raumkapseln und der russischen Raumstation Mir auch die Überreste der europäischen Automated Transfer Vehicles zur ewigen Ruhe gebettet wurden, die die unwahrscheinlichste Maschine der Welt über Jahre verlässlich mit Nachschub versorgt haben.