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Quantencomputer
Kurz nachgefragt

Was ist Quantentechnologie?

4. April 2019

Wenn eine neue Idee, Technologie oder Erfindung die Entwicklung in ihrem Bereich ein gewaltiges Stück voran­bringt, bezeichnet man sie gerne als Quanten­sprung. In diesem Sinne soll die Quanten­technologie Informations­verarbeitung und Rechen­kapazität von Computern auf ein ganz neues Level katapultieren. Was es mit der Quanten­technologie auf sich hat, wie sich ein Quanten­computer von einem herkömmlichen Rechner unter­scheidet und welche neuen Möglichkeiten dieser eröffnen könnte, erklärt Carsten Becker von TÜV NORD im Interview.

#explore: Was ist Quantentechnologie?
Carsten Becker: Quantentechnologie ist ein vergleichs­weise junges Teilgebiet der Physik, in dem bestimmte Effekte und Mechanismen auftreten, die sich in keinem anderen Feld der Physik finden: Da geht es etwa um diskrete Energie­niveaus, Über­lagerung, Quanten­verschränkung und den Tunnel­effekt. Meist wird die Quanten­technologie in einem Atem­zug mit dem Quanten­computer genannt. Denn dieser ist die Voraus­setzung für die meisten Dinge, die sich mit der Technologie realisieren lassen. Eine Aus­nahme ist der Bereich der Sensorik: Die Zustände der Quanten­mechanik werden schon von sehr kleinen Änderungen der Umgebungs­bedingungen – beispiels­weise Temperatur oder Druck – sehr stark beeinflusst. Mithilfe der Quanten­technologie sollen sich deshalb künftig Sensoren bauen lassen, die ungleich empfindlicher sind, als es die gegen­wärtige Sensor­technik erlaubt.

In welchen Bereichen wäre der Einsatz dieser sehr sensiblen Sensoren besonders ertragreich?
Viel von dem, was heute im Zusammenhang mit der Quanten­technologie diskutiert wird, ist bislang noch ein Gedanken­experiment. IBM oder auch VW haben bereits erste Quanten­computer. Trotzdem stehen wir hier noch ganz am Anfang der Entwicklung. Das heißt, wir wissen zwar, dass etwa Veränderungen in der Temperatur große Auswirkungen in der Quanten­mechanik haben und man damit theoretisch besonders empfindliche Sensoren bauen kann – ohne das aktuell aber in der Praxis über­prüfen zu können. Sinnvoll wäre der Einsatz solcher hoch­empfindlichen Sensoren immer da, wo feinste Mess­unter­schiede wichtig sind. Unsere Kollegen von DMT setzen schon Sensoren ein, um etwa die Stabilität von Brücken zu über­wachen. Sehr feine Sensoren könnten hier einen Mehr­wert bieten – voraus­gesetzt, dass sie auch wirtschaftlich herstellbar sind. Grund­sätzlich wird über die möglichen Einsatz­gebiete von Quanten­sensoren heute noch diskutiert. Aber viele Anwendungs­optionen werden sich finden, wenn diese Sensoren erst einmal verfügbar sind und plötzlich Möglichkeiten eröffnen, über die man noch gar nicht nach­gedacht hat. Das iPhone hat seiner­zeit schließlich auch niemand gebraucht, trotzdem will es heute fast jeder haben. Insofern werden wir bei der Quanten­sensorik sicher ebenfalls noch Überraschungen erleben.

„Ein klassischer Computer stößt gerade bei exponentiellen Berechnungen schnell an seine Grenzen.“

Carsten Becker, Leiter des Corporate Center Innovation im TÜV NORD-Geschäftsbereich Industrie Service

Was macht denn überhaupt einen Quantencomputer aus, und wie unter­scheidet er sich von einem klassischen Rechner?
Ein klassischer Computer beschreibt Informationen als Bits, die einen von zwei Zuständen – entweder 1 oder 0 – ein­nehmen können. Und damit stößt man gerade bei exponentiellen Berechnungen schnell an Grenzen. Ein Quanten­computer arbeitet nicht mit Bits, sondern mit Qubits. Und bei diesen Qubits gibt es nicht nur 0 und 1, sondern auch einen Zwischen­zustand – man spricht hier von einer Über­lagerung oder Super­position. Über die sogenannte Quanten­verschränkung lässt sich eine Inter­aktion zwischen den verschiedenen Qubits herstellen. Jeder zusätzliche Qubit steigert die Leistung exponentiell. So lassen sich selbst bei einem Computer mit ganz wenigen Qubits enorme Rechen­kapazitäten erzeugen.

Für welche Einsatzfelder ist ein Quantencomputer besonders gut geeignet?
Gerade im Bereich der Simulationen sollen Quanten­computer neue Möglichkeiten eröffnen. Denn hier müssen große Daten­mengen verarbeitet und sehr viele Berechnungen parallel durch­geführt werden, um eine sehr große Zahl theoretisch möglicher Zustände gleich­zeitig zu ermitteln. Dabei stoßen herkömmliche Rechner an ihre Grenzen. Wir können zum Beispiel grund­sätzlich bereits relativ gut prognostizieren, wie das Wetter in den nächsten sieben Tagen wird. Das Problem hierbei ist aber dies: Wenn sich kleine Abweichungen ergeben, etwa Wolken anders ziehen als voraus­gesagt, ändert sich die gesamte Wetter­situation. Heute kann man diese Änderungen zwar feststellen, ihre Konsequenzen jedoch nicht schnell genug neu berechnen. Quanten­computer sollen es möglich machen, solche hoch­komplexen Systeme zu berechnen, in denen multiple Einfluss­faktoren viel­fältige Wechsel­wirkungen erzeugen, die zu unter­schiedlichsten Resultaten führen – sei es bei der Wetter­vorher­sage, in der Chemie, bei der Entwicklung von Medikamenten oder bei der Optimierung von Prozessen beispiels­weise im Verkehr. Optimierung ist ja letztendlich auch eine Form der Simulation: Dabei werden alle möglichen Ergebnisse ausgerechnet, um sich in der Folge anzuschauen, welche Variante die beste ist.

Werden wir alle eines Tages einen Quantencomputer zu Hause haben?
Um die Mechanismen der Quanten­technologie gezielt nutzen zu können, müssen Quanten­computer noch auf eine gewisse Art und Weise programmiert werden. Man kann also nicht einfach ein Java-Programm schreiben, es in den Quanten­computer hochladen, und dann geht alles viel schneller. Viele Forscher arbeiten bereits an Inter­faces, um den Zugriff auf die Quanten entsprechend zu vereinfachen. Trotz­dem wird zukünftig wohl nicht jeder einen Quanten­computer zu Hause haben. Denn damit der Quanten­computer funktioniert, muss er auf eine Betriebs­temperatur von ungefähr 50 Millikelvin gekühlt werden – das sind minus 273,1 Grad Celsius. Und das lässt sich nun einmal schlecht im heimischen Keller bewerkstelligen. Mit hoher Wahr­scheinlich­keit werden wir aber alle auf einen Quanten­computer in der Cloud zugreifen können. Bei IBM ist das heute schon möglich.

„Damit der Quanten­computer funktioniert, muss er auf eine Betriebs­temperatur von ungefähr 50 Millikelvin gekühlt werden – das sind minus 273,1 Grad Celsius.“

Carsten Becker, Leiter des Corporate Center Innovation im TÜV NORD-Geschäftsbereich Industrie Service

Mit welchen weiteren Herausforderungen ist Quanten­computing verbunden?
Vieles im Bereich des Quantencomputings ist zwar bislang noch Theorie und Zukunfts­musik, trotzdem müssen wir uns jetzt schon mit den möglichen Konsequenzen auseinander­setzen. Denn die Sicherheit gegen­wärtiger Verschlüsselungs­systeme beruht zum großen Teil darauf, dass heutige Computer nicht die Rechen­kapazität bieten, um diese Codes zu knacken. Mit dem Quanten­computer wäre das jedoch möglich. Dann erst auf andere Verschlüsselungs­verfahren umzustellen wäre keine gute Lösung. Das große Problem besteht nämlich darin, dass Geheim­dienste oder einzelne Individuen heute bereits große Daten­mengen sammeln, um diese zukünftig mit Quanten­computern zu entschlüsseln. Ein Teil dieser Daten wird dann sicherlich veraltet sein, ein Groß­teil aber nicht. Und auch auf der Seite der Hard­ware entsteht ein großes Problem: Wenn wir jetzt bestimmte Hardware-Verschlüsselungen in vernetzte Maschinen einbauen, die unter den aktuellen Bedingungen sicher sind, wären diese Systeme zukünftig angreifbar. Und plötzlich müsste man Milliarden von „Internet of Things“-Devices austauschen, was natürlich mit astronomischen Kosten verbunden wäre.

Wie kann man diesem Problem begegnen?
Technisch ist es bereits möglich, quanten­computer­resistente Systeme aufzubauen. Wir müssen daher schon heute dafür sorgen, Verschlüsselungen für sie zu standardisieren. Denn nur verbindliche Standards garantieren, dass nicht jedes Unter­nehmen ein eigenes – mehr oder weniger sicheres – Verfahren verwendet. Auch eine Risiko­analyse können und sollten Unter­nehmen bereits jetzt durch­führen. Da wir schon recht gut vorhersagen können, was die Technologie theoretisch möglich macht, lässt sich über eine solche Analyse bestimmen, welche Bereiche im eigenen Unter­nehmen gefährdet wären und um was man sich über­haupt kümmern muss. Blinder Aktionismus ist ja auch nicht sinnvoll: Wenn etwa ein Passwort verschlüsselt in einer Datei abgelegt ist, aber ohnehin alle sechs Wochen geändert wird, besteht erst einmal kein konkreter Handlungs­bedarf. Wenn allerdings die Risiko­analyse ergibt, dass ich Daten speichere, die kein „Verfalls­datum“ haben und die dementsprechend in der Zukunft noch einen großen Wert haben, muss ich diese heute bereits so verschlüsseln, dass sie auch im Zeit­alter des Quanten­computings sicher sind. Besonders gilt das natürlich für lang­fristige Investitionen in die Infra­struktur der Industrie 4.0. Hier haben wir tatsächlich gute Ausgangs­bedingungen. Denn selbst wenn man oft den Eindruck bekommen kann, dass die vernetzte Fabrik und das Internet der Dinge längst Realität sind, stehen wir erst davor, diese Infra­strukturen zu schaffen. Insofern haben wir die Möglichkeit, es von vorne­herein richtig und sicher zu machen. Jedes Unter­nehmen, das sich jetzt mit Quanten­computing auseinander­setzt, muss Investitionen in zehn Jahren nicht erneut tätigen. Wenn man das Thema aber heute ignoriert, wird man in Zukunft sehr teuer dafür bezahlen.

ZUR PERSON

Carsten Becker ist Leiter des Corporate Center Innovation im TÜV NORD-Geschäfts­bereich Industrie Service. Mit seinem Team beschäftigt sich der diplomierte Wirtschafts­ingenieur und Industrial Engineer mit IT-Security, Sensorik, dem Internet der Dinge und der Fabrik 4.0.

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