MENU
Sicherheit im Straßenverkehr

Führerscheinwissen – wo ist es nur hin?

21. Dezember 2022

Eine ADAC-Umfrage ergab: Liegt die Führerscheinprüfung erst einmal ein paar Jahre zurück, sieht es mit dem Theoriewissen oft dürftig aus. Doch warum geht das Führerscheinwissen so schnell verloren? Welche Konsequenzen hat das für das sichere Verhalten im Straßenverkehr? Und können wir das Führerscheinwissen wieder auffrischen? Darüber haben wir mit Gerd Bünker gesprochen, Produktmanager Fahrerlaubnis bei TÜV NORD.

 

#explore: Untersuchungen zeigen, dass ein paar Jahre nach dem Erwerb des Führerscheins das Theoriewissen bei vielen Autofahrenden deutlich nachlässt. Welche Fakten geraten erfahrungsgemäß am ehesten in Vergessenheit?

Gerd Bünker: Das sind vor allem Schilder und Verkehrssituationen, mit denen man selten konfrontiert ist. Beispielsweise das Grünpfeilschild, das an manchen Ampeln angebracht ist. Die Ampel gilt dann wie ein Stoppschild: Man muss anhalten, den Querverkehr absichern, und wenn für die Rechtsabbiegenden frei ist, darf man auch bei roter Ampel abbiegen. In einigen Städten kommen diese Schilder häufiger vor, in anderen gar nicht. Wer dieses Schild aus der eigenen Umgebung nicht kennt, weiß oft nicht mehr genau, wie man sich richtig zu verhalten hat.

Welche Konsequenzen hat das für das sichere Verhalten im Verkehr?

Um bei dem Beispiel zu bleiben: Das blecherne Grünpfeilschild an der Ampel, das nach rechts zeigt, wird dann möglicherweise interpretiert als freie Fahrt. Aber wenn man an der roten Ampel einfach rechts abbiegt, ohne den Querverkehr abzusichern – der in dieser Situation eine grüne Ampel hat –, ist das ein Rotlichtverstoß. Mit allen kritischen Folgen, die daraus erwachsen können.

Zur Person

Gerd Bünker ist Produktmanager Fahrerlaubnis bei TÜV NORD und ist mit den gesetzlichen Vorschriften in den Verfahrens- und Prozessabläufen sehr vertraut. Er ist bereits seit 1997 in der TÜV NORD GROUP tätig und leitete in der Vergangenheit unter anderem schon eine TÜV NORD-Station.

Wäre es da nicht sinnvoll, eine regelmäßige Auffrischung vom Führerscheinwissen verpflichtend zu machen?

Der Gesetzgeber legt das in die Eigenverantwortung der Inhabenden der Fahrerlaubnis: Wer einen Führerschein hat, ist also grundsätzlich verpflichtet, sich auf aktuellem Stand zu halten. Und das sollte auch jede und jeder tun! Denn eine Anpassung dieser Regelung ist auch in Zukunft kaum zu erwarten. Entsprechende mediale Angebote könnten Autofahrende dabei unterstützen: Von Mitte der 1960er-Jahre bis 2005 gab es die Fernsehsendung „Der 7. Sinn“, wo solche Verkehrssituationen, die nicht regelmäßig oder überall vorkommen, in Erinnerung gerufen wurden. Hier wäre es wünschenswert, wenn eine solche oder eine ähnliche Sendung wieder aufgelegt werden würde. Verpflichtende Nachprüfungen wären aus meiner Sicht vor allem im Bereich des Fahrvermögens so sinnvoll wie praktikabel. Etwa regelmäßige Sehtests, wie sie heute schon zur Auffrischung des Lkw-Führerscheins verpflichtend sind. Dasselbe gilt für den Erste-Hilfe-Kurs. Der steht am Anfang des Führerscheinerwerbs und liegt also unter Umständen 40 bis 50 Jahre zurück. Müsste man alle fünf oder zehn Jahre einen Erste-Hilfe-Kurs machen, fühlte man sich in einer Unfallsituation nicht völlig überfordert und würde eher helfen. Denn das Schlimmste, was man in einer solchen Situation tun kann, ist, nichts zu tun.

Nicht in jeder Stadt geläufig: Das Grünpfeilschild. Halten, schauen – und bei freier Bahn trotz Rot rechts abbiegen.

Sind die bisherigen Lern- und Prüfungsbedingungen optimal, oder gäbe es aus Ihrer Sicht bessere Wege, um das Führerscheinwissen langfristig zu verankern?

Die Führerscheinprüfung in der Theorie wie in der Praxis hat sich in den letzten Jahren bereits stark verändert und angepasst. Als ich selbst vor fast 40 Jahren den Führerschein gemacht habe, gab es den klassischen Bogen, auf dem man seine Kreuzchen gesetzt hat. Mittlerweile findet die theoretische Prüfung am PC statt. Die Antworten in einer Frage rollieren. Das heißt, Antwort eins kann auch mal an Position zwei oder drei sein. Oder es wird bei einer Antwort das Wörtchen „nicht“ eingefügt. Man muss die Fragen also aufmerksam lesen und inhaltlich beantworten und kann nicht einfach mechanisch Erinnertes abrufen. Vorfahrtsregeln beispielsweise werden heute nicht mehr über statische Bilder abgefragt, sondern über Videosequenzen. Es geht also viel stärker darum, eine konkrete Situation im Verkehr zu beurteilen, als eine Prüfungsantwort auswendig zu lernen.

 

Könnte man lokale Besonderheiten wie etwa das Grünpfeilschild stärker in die praktische Ausbildung einbinden, um für solche Situationen schon einmal eine gewisse Grundroutine zu entwickeln?

Die praktische Ausbildung hat sich hier bereits verändert. Viele Fahrschulen nutzen mittlerweile auch Simulatoren als Ergänzung zur klassischen Ausbildung auf der Straße. Dabei handelt es sich um einen Autositz mit Lenkrad, Schalthebel und Pedalerie samt Monitoren. Damit können Situationen simuliert und abgefahren werden, die man vor Ort nicht vorfindet: ob Großstadtverkehr oder Fahrten auf der Landstraße, die für Menschen, die in der Stadt ihren Führerschein machen, eine Herausforderung sein können. So bin ich als Verkehrsteilnehmender schon einmal mit der entsprechenden Situation konfrontiert, kann erste Erfahrungen sammeln, die sich aber selbstverständlich im Alltag auf der Straße verfestigen müssen. Bei der praktischen Führerscheinprüfung können wir solche lokalen Ausnahmesituationen nicht einbeziehen, schließlich kann man mit den Prüflingen nicht erst einmal 300 Kilometer fahren, um dort etwa das Rechtsabbiegen mit Grünpfeilschild zu testen. Vor allem sieht der Gesetzgeber jedoch vor, dass die Führerscheinprüfung am Wohnort gemacht wird. Wer in Berlin lebt, kann seinen Führerschein also nicht auf dem Land in Schleswig-Holstein absolvieren. Der Gedanke dahinter: Wer in Berlin wohnt, wird auch überwiegend dort Auto fahren. Autofahrende sollen sich deshalb besonders gut mit der Verkehrssituation vor Ort auskennen, die natürlich eine andere ist als auf dem Land.

Bei Baustellen und Umleitungen wird’s kompliziert, hier hilft am ehesten vorsichtiges und umsichtiges Fahren.

Was können wir denn selbst tun, um unser Führerscheinwissen frisch zu halten?

Natürlich wird sich wohl kaum jemand noch einmal in eine Fahrstunde setzen. Es gibt aber mittlerweile eine Vielzahl von kostenlosen Apps, die für den Führerscheinerwerb angeboten werden. In diesen sind zwar nicht immer die aktuellsten Prüfungsfragen hinterlegt – diese ändern sich ja theoretisch zweimal im Jahr. Für Autofahrerinnen und Autofahrer, die sich auf dem Laufenden halten wollen, ist das allerdings keine wirkliche Einschränkung. Diese Apps enthalten häufig auch simulierte Fragebögen, mit denen man den eigenen Stand testen kann. Für den Umgang mit dem Auto – nicht zuletzt mit modernen Assistenzsystemen – sind Fahrsicherheitstrainings sehr zu empfehlen. Hier lernt man unter Anleitung auf einem abgesperrten Gelände, mit speziellen Verkehrssituationen umzugehen, etwa bei einem plötzlichen Hindernis sicher auszuweichen. Das lässt sich im normalen Straßenverkehr ja kaum und vor allem nicht gefahrlos üben. Teilweise werden solche Sicherheitstrainings durch Berufsgenossenschaften zufinanziert. Sie sind ein sehr guter Weg, um die eigenen Fähigkeiten zur Fahrzeugbeherrschung aufzufrischen und auszubauen. Denn Extremsituationen kann man grundsätzlich besser bewältigen, wenn man sie schon einmal geübt hat.

 

Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore