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Astronomie

Auge im All

7. September 2023

1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt zieht es seine Runden. Dort blickt es mit seinen Infrarotinstrumenten durch Staub und Gase einfach hindurch und gewährt uns so neue Einsichten in das All und seine Anfänge.

 

Die noch junge Geschichte des James-Webb-Weltraumteleskops – kurz Webb oder JWST – ist eine Geschichte der Superlative. Ursprünglich bereits für 2007 geplant, startete es nach diversen Verschiebungen am 25. Dezember 2021 ins All. 30 Tage später erreichte das bislang größte und teuerste Weltraumteleskop seinen Einsatzbereich: 1,5 Millionen Kilometer entfernt von der Erde. Das ist viermal so weit wie der Mond und über 2.700-mal weiter als das Hubble-Teleskop, dessen Nachfolge das gemeinsam von den Weltraumbehörden der USA, der EU und Kanada entwickelte Webb antritt.

Während Hubble im sichtbaren und ultravioletten Spektrum des Lichts arbeitet, fängt das Webb Infrarot ein, das selbst die kältesten Körper im All ausstrahlen. Damit Webbs temperaturempfindliche Sensoren nicht durch die Wärme der Sonne gestört werden, ist es am zweiten Lagrange-Punkt positioniert. Der liegt auf der Nachtseite der Erde in jenen 1,5 Millionen Kilometern Entfernung und wandert in ihrem ewigen Schatten mit ihr um die Sonne.

 

Kreißsaal der Sterne

Webbs Sensoren sind hundertmal empfindlicher als Hubbles und können dank der längeren Lichtwellen des Infrarots durch die Staub- und Gaswolken blicken, in denen Sterne und Planetensysteme geboren werden. Dieser Blick in den Kreißsaal der Sterne war Forschenden bislang verwehrt. Darüber hinaus kann Webb mit seinen Instrumenten die Atmosphäre von Planeten außerhalb unseres Sonnensystems gezielt auf Anzeichen oder Voraussetzungen für Leben untersuchen. Nicht zuletzt vermag Webb, das schwache Licht fernster Sterne einzufangen und so weiter in die Vergangenheit zu schauen als jedes Teleskop zuvor. Denn jeder Blick ins All ist eine Zeitreise: Wenn das Licht eines 100.000 Lichtjahre entfernten Sterns unsere Augen oder Teleskope erreicht, war es 100.000 Jahre unterwegs. Wir sehen diesen Stern also so, wie er vor 100.000 Jahren ausgesehen hat.

Über 13,5 Milliarden Jahre kann Webb in die Vergangenheit schauen, bis zurück zu den frühesten Galaxien des Weltalls. Das Superteleskop soll uns so dabei helfen, fundamentale Fragen zu beantworten: Wie sah das frühe Universum aus? Wie bilden und entwickeln sich Galaxien, Planetensysteme und schwarze Löcher? Ist unsere Erde einzigartig? Oder finden sich dort draußen noch andere Planeten, auf denen es Grundbausteine des Lebens gibt?

 

Sternengeburt in der Rho-Ophiuchi-Wolke

Ein Jahr nach dem Start des Webb hat die NASA ein Bild der Rho-Ophiuchi-Wolke in bislang unerreichter Detailtiefe veröffentlicht. Dieser Molekülwolkenkomplex ist etwa 390 Lichtjahre entfernt und damit die erdnächste Region, in der Sterne entstehen. Dort gibt es rund 50 junge Sterne mit einer sonnenähnlichen Masse. Dominiert wird das Bild von riesigen Gasströmen, den sogenannten Jets. Diese treten auf, wenn ein Stern zum ersten Mal seine „Geburtshülle“ aus kosmischem Staub durchbricht. „Webbs Bild von Rho Ophiuchi ermöglicht es uns, einen sehr kurzen Zeitraum im Sternlebenszyklus mit neuer Klarheit zu erleben“, sagt Webb-Projektwissenschaftler Klaus Pontoppidan. „Unsere eigene Sonne hat vor langer Zeit eine Phase wie diese erlebt, und jetzt verfügen wir über die Technologie, um den Beginn der Geschichte eines anderen Sterns zu sehen.“

 

 

Earendel – fernster Stern am Firmament

Erst im Frühjahr 2022 hat das Hubble-Teleskop Earendel entdeckt, den fernsten jemals beobachteten Stern: 12,9 Milliarden Jahre war sein Licht zu uns unterwegs. Damit ist Earendel gerade mal eine Milliarde Jahre nach dem Urknall entstanden. Das Webb-Teleskop hat nun weitere Erkenntnisse über den Stern geliefert. Demnach dürfte er doppelt so heiß sein wie unsere Sonne und eine Million Mal heller strahlen. Die Forschenden vermuten, dass Earendel einen Begleitstern haben könnte, der aber kühler ist. Die Entdeckung dieses und anderer weit entfernter Sterne stimmt die Forschenden hoffnungsvoll, schließlich auch einen Stern der allerersten Generation ausfindig zu machen. Dieser würde nur aus Wasserstoff und Helium bestehen – und damit aus den Grundbestandteilen des Universums, die beim Urknall entstanden sind.

 

Die Säulen der Schöpfung

Mitte der 1990er-Jahre lieferte das Hubble-Teleskop seine bis heute berühmteste Aufnahme: Vor funkelnden Sternen im Adlernebel, 6.500 Lichtjahre von uns entfernt, erheben sich gewaltige Strukturen interstellarer Materie. Sie erinnern wahlweise an riesige gekrümmte Finger oder an Säulen, daher der Name, den NASA-Forschende dieser vier Lichtjahre großen Sternengeburtsstation gegeben haben: „Pillars of Creation“. 2015 machte Hubble ein zweites Bild in höherer Auflösung. Mittlerweile hat sich auch Webb der Region gewidmet. Im direkten Vergleich zu Hubble zeigt seine Aufnahme eine gigantische Menge an Sternen. Gerade entstehende Sterne erscheinen in Pink, Rot und Purpur, ältere Sterne dagegen in Blau und Gelb. Diese leuchtenden Farben sollte man allerdings nicht allzu wörtlich nehmen: Denn Teleskope wie Webb oder Hubble machen keine Fotos im eigentlichen Sinne. Mit ihren Detektoren messen sie Licht, das Sterne oder andere Himmelskörper abstrahlen. Dabei arbeiten sie mit verschiedenen Filtern, die Licht in unterschiedlichen Wellenlängen durchlassen und so auch Unsichtbares wie Ultraviolett und Infrarot sichtbar machen. Diese Daten werden digital gespeichert und ergeben zunächst ein monochromes Bild. Erst bei der Nachbearbeitung werden den Daten nach wissenschaftlichen Standards Farben zugeordnet, damit Details und Strukturen besser unterscheidbar sind.

Webbs neue und genauere Sicht auf die Säulen der Schöpfung erlaubt es Forschenden, die Sternenpopulationen ebenso wie die Mengen an Gas und Staub in der Region deutlich präziser zu bestimmen. So können sie ein immer besseres Verständnis dafür entwickeln, wie im Laufe von Millionen Jahren aus diesen Staub- und Gaswolken Sterne entstehen.

 

Komet 238P/Read und der Wasserbeweis

Kometen sind die schmutzigen Schneebälle des Universums: Es sind Himmelskörper aus Eis und aus dem Staub, der einst um die junge Sonne wirbelte. Nähern sie sich auf ihren exzentrischen Bahnen der Sonne, verdampft ihr Eis zu Gas und bildet ihren charakteristischen Kometenschweif. Ursprünglich ging man davon aus, dass Kometen am frostigen Rand unseres Sonnensystems beheimatet sind. In jüngerer Zeit wurde zwar vermutet, dass auch im wärmeren Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter Wassereis vorhanden sein könnte. Ein Beweis dafür aber stand aus. Den konnte Webb dank seiner präzisen Spektraldaten erstmals liefern. Nun steht fest: Der im Asteroidengürtel kreisende Komet 238P/Read dampft tatsächlich Wasser aus. Ein wissenschaftlicher Durchbruch! Der elementare Stoff des Lebens kann also im Inneren des Sonnensystems überdauern. Diese Erkenntnis ist ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg zur Klärung der großen Frage, wie die Erde zu einem wasserreichen Planeten wurde. Gestützt auf dieses Wissen könnte dann untersucht werden, so die beteiligten Forschenden, ob sich auch in anderen Planetensystemen erdähnliche Himmelskörper entwickeln.

 

Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore