10. Juli 2025
Mit dem Benz Patent-Motorwagen rollt ab 1888 das Automobil auf die Straßen der Welt – und läutet ein neues Zeitalter der Mobilität ein. Doch bald wird klar: Die motorisierten Vehikel mit ihren bis dato unvorstellbaren Geschwindigkeiten bergen auch große Gefahren. Mit der Zahl der Unfälle wächst die Notwendigkeit, das Automobil sicherer zu machen. Wie die Erfindungen von Knautschzone, Sicherheitsgurt und Assistenzsystemen das Auto verändern, erzählen wir in unserer kurzen Geschichte der Fahrzeugsicherheit.
Ein schwarzer Grabstein auf einem Friedhof in Berlin-Lichtenberg. Ein Palmzweig, darunter eingraviert: „Hier ruhet in Gott unser herzensgutes, unvergessliches Tantchen, die Eigentümerin: Juliane Heumann. Geboren am 19.07.1839. Gestorben am 13.08.1909. Dein edles Herz hat aufgehört zu schlagen. Du Gute wurdest vom Auto totgefahren“.
Autounfälle sind bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ein Problem und eine Todesursache, die man auf einem Grabstein verewigt. Wie man die eindrucksvollen, aber gefährlichen Maschinen sicherer machen kann, das ist eine Frage, die Behörden und Autobauer seit den Anfängen des Kraftfahrzeugs beschäftigt.
Als die ersten Autos losknattern, sind viele Straßen noch unbefestigte Schotterpisten. Verkehrsregeln gibt es nicht. Menschen zu Fuß, auf dem Rad oder mit Pferdestärken unterm Sattel oder Sitz suchen sich ihren Weg, wie es gerade zu passen scheint. Doch der ist im Automobil bei Regen kaum zu sehen. Die US-Amerikanerin Mary Anderson entwickelt daher einen Scheibenwischer, den sie sich 1903 patentieren lässt. Der sorgt bei Wolkenbrüchen für freiere Sicht, muss allerdings noch von Hand betrieben werden. Gut zwei Dekaden später, im Jahr 1926, präsentiert die Robert Bosch AG dann den weltersten „Windschutzscheibenwischer mit elektrischem Antrieb“.
Mehr Licht und Rücksicht
In der Zwischenzeit hat sich auch die Nachtsicht von Automobilistinnen und Automobilisten sukzessive verbessert: Gasscheinwerfer lösen die schwachen Petroleumlampen ab. 1908 wird die erste Abblendeinrichtung konstruiert, um Gegenverkehr sowie Passantinnen und Passanten weniger zu blenden. 1912 entwickelt Cadillac den ersten elektrischen Frontscheinwerfer. Der wird allerdings noch aus einer Batterie gespeist. Bosch nutzt im Folgejahr erstmals einen Generator, um den Scheinwerfer verlässlicher mit Strom zu versorgen. 1925 bringt Osram dann die Zweifadenlampe auf den Markt, die Fern- und Abblendlicht in einer Lampe unterbringt. Ein Meilenstein für eine bessere sowie blendfreiere Sicht.
Um sicherer von A nach B zu kommen, muss man aber natürlich auch den nachfolgenden Verkehr im Blick haben. Bei frühen Autorennen ist dafür zunächst ein Beifahrer zuständig. 1911 montiert der Fahrer Ray Harroun stattdessen einen Rückspiegel auf seinem Flitzer. Und fährt in seinem – um den Beifahrer erleichterten – Boliden der Konkurrenz davon. Ab 1914 beginnen dann auch erste Fahrzeughersteller, ihre Pkw mit Rück- und Seitenspiegeln auszurüsten.
© Adobe StockSchmutz von der Straße, Regen: Den ersten Scheibenwischer gab es 1903 – dieser musste jedoch noch von Hand betrieben werden. 1926 folgte die elektrische Version der Robert Bosch AG.
Béla Barényi und die Erfindung der Knautschzone
Beim Fahrzeugbau gilt nach wie vor die vermeintlich naheliegende Devise: Stabil hilft viel. Unten haben die Automobile einen Rahmen aus Stahlträgern, obenrum solide Bleche. Prallt das Auto gegen eine Wand oder ein anderes Fahrzeug, wird die Karosserie zwar nur wenig verformt. Sie gibt damit aber fast die gesamte Energie des Aufpralls an die Insassinnen und Insassen weiter – fatal für unsere fragilen Körper.
Der Mercedes-Ingenieur Béla Barényi kommt 1950 als Erster zu der Erkenntnis: Klügeres Blech gibt nach. Eine kontrollierte und weiträumige Verformung macht ein Auto nicht unsicherer. Im Gegenteil. So wird ein beträchtlicher Teil der Aufprallenergie aufgefangen, wodurch weniger bei den Insassinnen und Insassen ankommt. Barényi teilt den Fahrzeugkörper in drei Boxen: vorne ein weicher Vorbau, in der Mitte eine stabile Fahrgastzelle, hinten ein weiches Heck. 1952 erhält er das Patent für sein Konzept, das 1959 beim Mercedes-Benz W 111 erstmals in Serie geht und als Knautschzone berühmt wird.
Seitenaufprallschutz und Sicherheitslenksäule
Barényis Knautschzone wird zum Standard im Fahrzeugbau und macht ihn zum Vater der passiven Sicherheit, also von Systemen und Konstruktionsweisen, die die Folgen eines Unfalls abmildern. Um die macht sich der begnadete Konstrukteur noch in weiterer Weise verdient. Er entwickelt Komponenten wie verstärkte Türen, um den Seitenaufprallschutz zu verbessern. Unter seinen über 2.500 Patenten ist auch die Sicherheitslenksäule. Die schiebt sich bei einem Frontalunfall zusammen und kann so nicht länger als tödlicher Spieß in den Fahrgastraum eindringen.
Mehr Rückhalt
Sicherheitsgurte sind in den 50er-Jahren noch eine Rarität, die als Sonderausstattung für Oberklasse-Modelle wie eben den Mercedes W 111 angeboten wird. Verwendet werden meist Beckengurte, wie sie etwa im Flugzeug zum Einsatz kommen. Diese verhindern zwar, dass die Insassinnen und Insassen bei einem Unfall durch das Fahrzeug geschleudert werden. Doch Oberkörper und Kopf können nach wie vor gegen Armaturenbrett oder Windschutzscheibe prallen. „Außerdem wird bei einem Unfall sehr viel Energie in den Becken- und Bauchbereich geleitet, was weitere schwere Verletzungen zur Folge haben kann“, erklärt Leif-Erik Schulte, Leiter des Instituts für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM) von TÜV NORD.
An Abhilfe arbeitet der Volvo-Ingenieur Nils Ivar Bohlin. Am 29. August 1958 erhält er das Patent für sein Gurtsystem, das einen Becken- mit einem Schultergurt kombiniert und so „sowohl den Oberkörper wie auch den Unterkörper in physiologisch günstiger Weise festhält und leicht an- und abkuppelbar ist“. Im folgenden Jahr kommt sein Dreipunktgurt, (der so heißt, weil er an drei Punkten mit der Karosserie verbunden ist) das erste Mal serienmäßig beim Volvo 544 zum Einsatz. „Für die Sicherheit ist der Dreipunktgurt ein gewaltiger Fortschritt“, so Schulte. Doch es dauert noch bis 1974, bis Neuwagen in der BRD verpflichtend mit Gurten auf den Vordersitzen ausgerüstet werden müssen.
© Adobe StockSehr spät, erst 1968, werden moderne Airbags in Fahrzeuge eingebaut, die mittels Pyrotechnik gezündet werden. Dank Sensortechnik erkennen sie Unfälle zuverlässig und blasen sich rasch genug auf.
© Adobe StockWichtige Sicherheitsausstattung: Ein Gurtsystem, das einen Becken- mit einem Schultergurt kombiniert. Das erste war 1958 auf dem Markt, es stammt von Volvo-Ingenieur Nils Ivar Bohlin.
Erst gurten, dann starten
Ab 1976 wird Anschnallen auf den Vordersitzen zur Pflicht, allerdings müssen Gurtmuffel noch kein Bußgeld fürchten. Aufklärungskampagnen wie „Klick – erst gurten, dann starten“ helfen nur bedingt gegen die weitverbreitete Anschnallaversion: Die Gurtquote steigt in den folgenden Jahren um gerade mal 19 Prozent. Mehr als jede und jeder Dritte fährt nach wie vor oben ohne. Erst als 1984 für Gurtlosigkeit 40 Mark Strafe fällig werden, springt die Quote innerhalb weniger Monate von 60 auf 90 Prozent. Mit unmittelbaren Folgen: Die Zahl der Verkehrstoten sinkt von 1984 bis 1985 von 10.199 auf 8.400, die Zahl der Schwerverletzten geht um rund 15.000 zurück. „Um eingeschliffene Gewohnheiten im Verkehr zu ändern, braucht es immer wieder auch Druck von außen“, sagt Experte Schulte. Heute gilt der Sicherheitsgurt längst als wichtigster Lebensretter und beim Deutschen Patent- und Markenamt als eine der Erfindungen, die der Menschheit in den letzten 100 Jahren den größten Nutzen gebracht haben.
Lebensrettender Luftsack
Alles auffangen kann natürlich auch der beste Sicherheitsgurt nicht. Der Münchener Ingenieur Walter Linderer meldet bereits 1951 ein Airbag-System als Patent an. Also im selben Jahr, in dem in der Bundesrepublik Kraftfahrzeuge erstmals ihre Verkehrstüchtigkeit in der Hauptuntersuchung unter Beweis stellen müssen. Linderers mit Pressluft betriebener Luftsack besteht den Praxistest allerdings noch nicht: Mangels ausreichender Sensortechnik erkennt er Unfälle nicht zuverlässig und bläst sich zu langsam auf. Bis zum ersten modernen Airbag, der mittels Pyrotechnik gezündet wird, dauert es noch bis zum Jahr 1968.
In Deutschland bietet Mercedes erstmals 1981 einen Fahrerairbag als Sonderausstattung für seine S-Klasse an. Volvo bringt 1994 den ersten Seitenairbag, Kia 1996 den ersten Knieairbag. Zwei Jahre später, also 1998, wird in Deutschland endlich ein technisch ungleich simpleres, aber hocheffizientes Sicherheitssystem verpflichtend: die Kopfstütze, die das Risiko für Schleudertraumata und Verletzungen der Halswirbelsäule deutlich reduziert.
Verpflichtender Fußgängerschutz
Während die Autos für ihre Insassinnen und Insassen sicherer werden, versucht man, Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, lange Zeit vor allem durch neue Regularien und Anpassungen in der Verkehrsinfrastruktur zu schützen: etwa durch Zebrastreifen, erhöhte Bordsteine, Fußgängerampeln und die Einrichtung verkehrsberuhigter Zonen.
1997 veröffentlicht das Euro NCAP – eine Organisation europäischer Verkehrsministerien, Versicherungsgesellschaften und Automobilklubs – erstmals Crashtestergebnisse und bewertet dabei auch, wie gut die Fahrzeuge Fußgängerinnen und Fußgänger bei einem Unfall schützen. Wie viele Sterne ein Fahrzeugmodell im NCAP holt, wird zunehmend zum wichtigen Faktor bei der Kaufentscheidung. 2005 nimmt dann die EU die Hersteller beim Fußgängerschutz erstmals in die Pflicht: Sie müssen ab sofort in Crashtests nachweisen, dass sie definierte Grenzwerte für die Kollision mit Passantinnen und Passanten nicht überschreiten.
„Fußgängerfreundliche Fahrzeugfront“
Die Autobauer beginnen, die Fronten ihrer Fahrzeuge „fußgängerfreundlicher“ zu konstruieren: Scharfe Kanten entfallen, Motorhauben werden abgerundet, Motoren tiefer unter der Haube verbaut, um einen Aufprall zu dämpfen. Manche Autobauer setzen auch auf Motorhauben, die sich bei einer Frontkollision automatisch aufstellen, um so das Risiko schwerer Kopf- und Brustverletzungen zu verringern.
Tatsächlich können solche passiven Maßnahmen einen Aufprall deutlich abmildern, wie eine Untersuchung der Unfallforschung der Versicherer 2013 feststellt. Ausreichend seien sie allerdings nicht. Den größten Effekt habe die aktive Reduzierung der Aufprallgeschwindigkeit durch Notbremsassistenten.
Ära der aktiven Sicherheit
Seit 2024 muss jeder Neuwagen in der EU einen solchen Bremsassistenten an Bord haben. Auch ein Notfall-Spurhalteassistent, ein Rückfahrassistent, ein Müdigkeitsassistent und weitere aktive Sicherheitssysteme sind seitdem Pflicht. Das elektronische Stabilitätsprogramm ESP muss bereits seit 2014 serienmäßig verbaut werden. „Diese Vielzahl obligatorischer Assistenzsysteme ist einer der Gründe, warum heutige Kleinwagen merklich teurer sind als in den 80er-Jahren – aber eben auch deutlich sicherer“, sagt Experte Schulte.
Die Zahl der Verkehrstoten ist in den letzten 50 Jahren drastisch gesunken: Waren 1970 in Deutschland noch 19.193 Tote zu beklagen, waren es 2024 noch 2.759 – obwohl sich die Zahl der Autos und Lkw über diesen Zeitraum mehr als verdreifacht hat. Neben der Verbesserung der Fahrzeugtechnik führt das Statistische Bundesamt diese Entwicklung auf die Einführung der Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen, die Gurt-, Helm- und Kindersitzpflicht, niedrigere Promillegrenzen und eine verbesserte medizinische Erstversorgung zurück.
Über Leif-Erik Schulte
Leif-Erik Schulte ist Leiter des Instituts für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM) von TÜV NORD.
Doch trotz aller Fortschritte: Von der Vision Zero, also null Toten im Verkehr, sind wir immer noch weit entfernt. Auf dem Weg zu diesem Ziel könnten weitere technische Entwicklungen ihren Beitrag leisten, zeigt sich Schulte überzeugt. „Wenn Fahrzeuge künftig verlässlich mit der Infrastruktur und miteinander kommunizieren und so vorab über Gefahrensituationen gewarnt werden können, wäre das ein weiterer großer Schritt, um Unfälle zu vermeiden.“