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Gute Frage, nächste Frage

Müssen alle Tiere schlafen?

27. Juni 2024

Wenn wir zu wenig schlafen, werden wir unkonzentriert, dünnhäutig und irgendwann krank. Davon können nicht nur frischgebackene Eltern ein Liedchen singen. Aber wie sieht es im Tierreich aus? Müssen alle Tiere schlafen?

 

Die kurze Antwort auf diese Frage: ja! Ohne Schlaf kommen weder große noch winzige Tiere aus. Aber wann, wie lange und in welchen Situationen geschlafen wird, das unterscheidet sich bei den unterschiedlichen Vertretern der Fauna teils drastisch.

Eines der wenigen Wesen, das zumindest phasenweise schlaflos bleiben kann, ist der Caenorhabditis elegans. Dieser Fadenwurm schläft zwar als Larve, als ausgewachsener Wurm jedoch nur ausnahmsweise statt wie wir regelmäßig. Und das tut er, sobald er in Stress gerät – weil er etwa Hunger hat oder es ihm zu heiß oder zu kalt wird. „Schlaf braucht man immer dann, wenn man etwas Neues gelernt hat, das heißt, wenn sich etwas an den Nerven verändert hat“, erklärt Schlafforscher Albrecht Vorster. Ein erwachsener Fadenwurm könne kaum mehr dazulernen und müsse wahrscheinlich deshalb nicht mehr schlafen, so Vorster gegenüber der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“: „Auch wenn man sich beim Fadenwurm ein bisschen darüber streiten kann: Alles, was ein Gehirn hat, scheint zu schlafen.“

Doch selbst hirnlose Tiere halten ein Nickerchen. Die Mangrovenqualle Cassiopea andromeda etwa hat kein Gehirn, besitzt nicht einmal ein zentrales Nervensystem. Dennoch zeigt die Qualle die zentralen Kriterien für Schlaf: Sie reagiert in diesem Zustand verzögert auf Reize. Allerdings kann sie vergleichsweise schnell geweckt werden – anders als Tiere, die sich im Winterschlaf befinden. Und hat sie etwas am Schlaf gehindert, holt sie das Versäumte beim nächsten Nickerchen wieder auf. Sie schläft also länger und tiefer.

 

Im Halbschlaf im Ozean

Für unsere entfernten Verwandten aus dem Meer hat sich die Natur eine besondere Schlafstrategie ausgedacht: Delfine müssen regelmäßig an die Wasseroberfläche, um Luft zu tanken, sonst würden die Meeressäuger ertrinken. Daher schläft Flippers Familie nach dem Schichtprinzip, nämlich mit einer Hirnhälfte, und schließt dabei auch nur ein Auge. Die andere Hälfte bleibt wach, übernimmt Schwimmen und Auftauchen. Eine beachtliche Leistung, muss doch eine Hirnhälfte den gesamten Körper steuern, während sich bei uns beide Hälften immer die Arbeit teilen. Um ihre wache Hälfte mit dieser Aufgabe nicht zu überfordern, suchen sich Delfine zum Schlafen oft ruhige Buchten und bleiben meist direkt unter der Wasseroberfläche. Auch die größte Delfinart – der Orca – schläft nach diesem Schichtprinzip und kommt dabei pro Tag mit gerade mal 90 Minuten aus.

 

Sekundenschlaf auf der Langstrecke

Aber auch in höchster Höhe ist der Halbschlaf populär: Mauersegler beispielsweise fliegen Tausende Kilometer zu ihren Winterquartieren in Afrika, ohne nur einmal den Boden zu berühren. Ihre nötige Mütze Schlaf müssen sie sich dabei in der Luft im Gleitflug holen. Forschende vermuten, dass bei den Vögeln wie bei den Delfinen lediglich eine Hirnhälfte schläft, während die andere das Steuern übernimmt. Und weil diese mit komplexeren Flugmanövern überfordert wäre, fallen die Schlafeinheiten ausgesprochen kurz aus: Durchschnittlich zehn Sekunden dauert ein Powernap der Mauersegler.

Fregattvögel sind auf ihren Zügen ebenfalls wochenlang in der Luft und gönnen sich während des Flugs immerhin bis zu sechs Minuten Schlaf am Stück. Dazu lassen sie sich von Aufwinden in kreisenden Bewegungen energiesparend in die Höhe tragen. Auch sie schlafen dabei mit einer Hirnhälfte, das Auge in Flugrichtung bleibt offen. So können sie vermeiden, mit anderen Mitreisenden aufeinanderzuprallen.

Enten wiederum halten beim Schlafen ein Auge offen, um im Blick zu haben, ob sich ein hungriger Fuchs oder Marder anschleichen könnte. Übernachtet das Federvieh in der Gruppe, verbringen die Enten am Rand rund ein Drittel der Nacht einäugig. Von Zeit zu Zeit drehen sie sich um, um ihrer anderen Hirnhälfte ebenfalls etwas Schlaf zu gönnen. Über die Nacht wechseln die Enten in der Gruppe immer mal wieder die Position, damit auch die Wachposten mal beide Augen zudrücken können.

 

Immer auf dem Sprung

Überhaupt haben die Schlafroutinen im Tierreich viel damit zu tun, wovon man sich ernährt und ob man auf dem Speiseplan anderer Tiere steht. Pflanzenfresser, die sich nicht in Höhlen zurückziehen können, müssen ständig auf der Hut sein. Während sich Löwen 13 Stunden Schlaf am Tag gönnen können, schlafen etwa Pferde nur insgesamt drei bis fünf Stunden. Und zwar in kleinen Etappen und nur selten im Liegen. Weitere drei Stunden wird über den Tag gedöst.

Generell schlafen Pflanzenfresser zumeist deutlich weniger lange als Fleischfresser. Sie haben keine Muße, sich gemütlich aufs Ohr zu legen. Sie müssen den ganzen Tag fressen und dabei oft auch längere Wege zurücklegen. Denn Gras und Blätter geben weniger Energie als Fleisch. Elefanten dösen daher täglich nur drei bis vier Stunden.

 

Leben im Energiesparmodus

Baumbewohnende Pflanzenfresser wie die Faultiere setzen dagegen auf das gegenteilige Prinzip: Sie leben im Energiesparmodus. Faultiere verschlafen rund drei Viertel des Tages und sind wach in Zeitlupe unterwegs. Denn da sie sich fast ausschließlich von schwer verdaulichen Blättern ernähren, haben sie einen der langsamsten Stoffwechsel unter allen Säugetieren. Sie müssen sich ihre Energie also sehr gut einteilen. Die sprichwörtliche Langsamkeit der Faultiere bietet ihnen aber auch einen echten Vorteil gegenüber flinkeren Baumbewohnern: Ihre gemächlichen Bewegungen sind für Greifvögel aus der Luft kaum zu erkennen.

Den Schlafmützenrekord unter den Säugetieren halten übrigens die Koalas. Die kleinen Beuteltiere mit den flauschigen Ohren verbringen maximal vier Stunden des Tages auf den Beinen. Wie bei den Faultieren hat das ebenfalls mit ihrer Leibspeise zu tun: Sie ernähren sich ausschließlich von energiearmen und besonders schwer verdaulichen Eukalyptusblättern. Müssen Koalas Stressphasen mit weniger als 18 Stunden Schlaf pro Tag bewältigen, sterben die kleinen Australier an Erschöpfung. Andauernde Schlaflosigkeit kann also nicht nur für frischgebackene Eltern gravierende Folgen haben.
 

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