02. Februar 2023
Vor allem beim Kauf, bei den alljährlichen Wechseln oder nach einer Fahrt durch den Schnee haben wir das Profil unserer Autoreifen im Blick. Aber wie entwickeln Reifendesignerinnen und -designer überhaupt Profile? Wie bringen sie etwa Rollwiderstand, Nassgriff und Design zusammen? Und weshalb haben sich Reifenprofile über die Jahre verändert? Darüber haben wir mit drei Experten von Continental gesprochen: Felix Hübner, der als Head of Pattern & Industrial Design den Pkw-Bereich verantwortet, Fabian Dettmer, Head of Virtual Development CVT und zuständig für Lkw, sowie Peter Bogenschütz, der als Head of Industrial Design Tires die Funktion des Profils in ein nachvollziehbares Muster fasst.
Eine neue Reifengeneration entsteht natürlich nicht aus dem Nichts. Zunächst werden sämtliche Erfahrungen mit dem Vorgängermodell zusammengetragen – unter der Frage: Inwiefern können etwa Laufleistung, Rollwiderstand oder Traktionseigenschaften weiter verbessert werden? „Dann wird überlegt“, sagt Fabian Dettmer, „wie sich diese Verbesserungen durch Veränderungen bei Material, Geometrie und Profil realisieren lassen.“ Die technischen Expertinnen und Experten erstellen daraufhin eine Grundstruktur des Profils. Jetzt kommen Industriedesigner wie Peter Bogenschütz ins Spiel, die zu dem technischen Konzept ein Design entwickeln: „Unsere Aufgabe ist es, die technologischen Ansätze des Reifens in eine Formsprache zu übersetzen, die für Verbraucherinnen und Verbraucher visuell verständlich und nachvollziehbar ist.“ Ob der Reifen zum Beispiel sehr langlebig ist oder besonders gute Traktionseigenschaften hat – also ob er flott beschleunigt und sicher bremst. Im nächsten Schritt werden die Profilentwürfe als 3-D-Modelle in ein Computerprogramm übertragen und mit Simulationstools getestet, bewertet und optimiert. Die vielversprechendsten Kandidaten werden anschließend als konkrete Testreifen produziert sowie auf Maschinen im Labor und auf Fahrzeugen erprobt. „Um so herauszubekommen, ob unsere Hypothesen, Simulationen und Designideen aufgehen“, erläutert Bogenschütz.
Vom ersten Entwurf bis zum Serienreifen
Eine neue Generation von Winterreifen wird mindestens zwei kalte Jahreszeiten lang getestet, so Felix Hübner. „Da kommt man also auf eine Entwicklungszeit von mehreren Jahren.“ Bei Lkw-Reifen kann es unter Umständen sogar ein bis zwei Jahre länger dauern, ergänzt Fabian Dettmer. Denn die Reifenprototypen für die Brummis werden immer in aufwendigen Feldtests erprobt – und spulen dabei Hunderttausende Kilometer ab. „Und weil sie dabei im regulären Straßenverkehr zum Einsatz kommen, müssen sie vorab dieselben Prüfungen durchlaufen und Auflagen erfüllen wie normale Serienreifen“, sagt Dettmer.
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Für Winterreifen gelten hohe Anforderungen – die Entwicklungszeit einer neuen Reifengeneration kann mehrere Jahre dauern.
Digitale Möglichkeiten: Testen am Tisch
In der Vergangenheit führte kein Weg daran vorbei, bis zur Serienreife eine Vielzahl unterschiedlicher Testreifenvarianten zu produzieren und zahlreiche Optimierungsschleifen zu drehen. „Jetzt sind wir dank der Simulationen in der Lage, mehrere Lösungsansätze im Vorfeld zu bewerten, um so direkt die interessantesten Profilkonzepte auszuwählen“, erläutert Felix Hübner. Das „Testen am Tisch“ spart eine Menge Material: Metall für die Produktionsmaschinen, Gummi für die Reifen. „Wir können so trotz der gestiegenen gesetzlichen Anforderungen deutlich gezielter entwickeln“, so Hübner. Was sich bislang noch kaum simulieren lässt: welche Auswirkungen die Kombination unterschiedlicher Gummimischungen auf die Reifeneigenschaften hat. „Hier gibt es zwar auch Ansätze, aber diese sind noch nicht so ausgereift, wie das bei Profilen bereits der Fall ist.“
Vom Block zum Band: Wie sich Reifenprofile verändert haben
Ein ausgeprägtes Profil – kleine Blöcke mit vielen Querrillen –, das war früher das Maß aller Dinge, besonders beim Lkw. „Diese Blockstruktur war für Verbraucherinnen und Verbraucher gleichbedeutend mit Grip und Antriebskraft“, sagt Peter Bogenschütz. Nicht zuletzt durch das EU-Reifenlabel, das die Eigenschaften eines Reifens für Verbrauchende sichtbar macht, haben zwischenzeitlich andere Faktoren an Bedeutung gewonnen: wie laut oder wie gut ein Reifen rollt, also wie viel Kraftstoff er verbraucht. Und gerade im Lkw-Bereich wird die Laufleistung immer wichtiger, ergänzt Fabian Dettmer. „Um diese Ziele zu erreichen, ist eine Bandstruktur deutlich besser geeignet.“ Sprich: geschlossenere Strukturen, weniger Rillen, insgesamt mehr Gummi. Damit bremst es sich auch besser auf trockener Straße. Anders ist das bei nasser Fahrbahn, weil zahlreichere und tiefere Rillen mehr Wasser verdrängen können. Zumindest prinzipiell. „In den letzten 20 Jahren ist das Gripniveau der Gummimischungen signifikant gestiegen. Deshalb erreichen wir heute mit viel weniger Querrillen sogar bessere Nassgriffeigenschaften als bei früheren Reifen mit starkem Profil“, erklärt Peter Bogenschütz.
Sehgewohnheiten sanft verändern
Eine Aufgabe der Industriedesignerinnen und -designer: Reifen trotz neuer technischer Basis immer noch etwas wie die Vorgängermodelle aussehen zu lassen – um die Sehgewohnheiten der Lkw- oder Autofahrenden zu berücksichtigen. „Die Kundinnen und Kunden wollen Blöcke, also Querkanten, sehen. Daher haben wir beim Wechsel zur Bandstruktur bei unserem Sportreifenmodell viele angedeutete Querkanten in die Bänder eingebaut.“ Die darauffolgende Generation kam dann schon mit erheblich weniger Querkanten auf die Straße. „So kann man über die Generationen Sehgewohnheiten sukzessive verändern“, sagt Bogenschütz.
Warum das Profil Reifen lauter machen kann – oder leiser
Beim Abrollen der Reifen wird die Luft in den Rillen komprimiert und zischend herausgedrückt. Je breiter und tiefer die Rillen, desto lauter das Geräusch. Profilklötze erzeugen beim Aufschlagen auf der Straßenoberfläche zudem Schwingungen im ganzen Reifen, die die Seitenwand wie ein Lautsprecher verstärkt, berichtet Felix Hübner. „Bei Bandstrukturen fällt das weg, was die Reifen entsprechend leiser macht.“ Das ist der Grund, warum die stärker profilierten Winterreifen immer etwas lauter sind als Sommerreifen, ergänzt Fabian Dettmer. Und je gleichmäßiger die Profilblöcke auf dem Boden auftreffen, desto geräuschvoller klingt der Reifen für Insassinnen und Insassen sowie Passantinnen und Passanten. „Beim Reifendesign gilt es dann für uns, dieser störenden Regelmäßigkeit durch sogenannte Phasenverschiebungen entgegenzuwirken.“
(Reifen-)Profile für jeden Geschmack
Aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten und der gestiegenen Erwartungen gibt es mittlerweile deutlich mehr Reifenmodelle für unterschiedliche Einsatzzwecke und Vorlieben. In Asien sind den Autofahrenden möglichst leise und komfortable Reifen viel wichtiger als im Rest der Welt, sagt Peter Bogenschütz. „Und das führt natürlich zu speziellen Modellen, die sich dann entsprechend auch visuell unterscheiden müssen.“
Warum Reifen immer größer werden
Autoreifen sind in den letzten Jahren immer mehr in die Höhe und die Breite gewachsen. Das hat mit ästhetischen Vorlieben der Autofahrenden zu tun. Und mit der höheren Motorleistung heutiger Pkw. Hatte 1995 ein Auto im Schnitt noch 95 PS, waren es 2020 bereits 165 PS, so eine Auswertung des Duisburger CAR-Instituts. „Und bei höheren Leistungen sind breitere Aufstandsflächen der Reifen vorteilhaft, um die Kräfte zu übertragen“, erklärt Felix Hübner. Um schneller zu beschleunigen und um die auch immer schwerer werdenden Automobile schneller abzubremsen. „Auch der Anspruch, gleichsam wie auf Schienen durch die Kurve zu fahren, hat diese Entwicklung zu größeren und breiteren Reifen maßgeblich vorangetrieben“, sagt Hübner. Für einen möglichst geringen Verbrauch sind dagegen sogenannte Tall-and-Narrow-Reifen von Vorteil, ergänzt der Experte. Schmale Pneus mit großem Durchmesser, die leichter und aerodynamischer sind als herkömmliche Reifen. „Und aufgrund des größeren Durchmessers wird die Verformung des Reifens verringert, was für einen niedrigeren Rollwiderstand sorgt“, erläutert Hübner. Geringer Rollwiderstand bedeutet weniger Energieverbrauch – weshalb die hohen und schmalen Reifen nicht zuletzt als „Reichweitenverlängerer“ für E-Autos attraktiv sind.
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Autoreifen wurden im Laufe der Zeit größer und breiter, auch, um immer geschmeidiger Kurven fahren zu können.