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Carfreitag
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Höhere Strafen für Raser

13. April 2017

Lebenslang ins Gefängnis – im Berliner Prozess um ein illegales tödliches Autorennen sind die zwei Angeklagten als Mörder verurteilt worden. Verkehrspsychologe Christian Müller von TÜV NORD ist überzeugt: Das harte Urteil schreckt nur einen kleinen Teil der Raser ab. Am Carfreitag, dem traditionellen Szene-Treff, werden sich erneut PS-Fans im Geschwindigkeitsrausch auf den Straßen messen. Warum sie das tun und was wirklich dagegen hilft, erklärt Christian Müller im Interview.

#explore: Herr Müller, nach dem Präzedenzfall in Berlin ist das Thema Rasen wieder aktuell. Wie schätzen Sie das Phänomen derzeit ein?

Christoph Müller: Die Lage ist traurig stabil. Das Phänomen Rasen sehe ich nicht auf dem Rückmarsch, aber auch nicht weiterhin steigend.

#explore: Wie tickt denn ein Raser?

Christoph Müller: Vor allem junge Leute in einer bestimmten Lebensphase sind davon betroffen. Sie kanalisieren einen Teil ihres Entwicklungsprozesses im Autofahren – da geht es um Selbstbestätigung und darum, sich zu beweisen. Genau das ist das Reizvolle für die jungen Leute: Über das Rasen kompensieren sie fehlende Erfolge in anderen Lebensbereichen.

#explore: Gibt es noch andere Typen?

Christoph Müller: Ja, absolut. Zum Beispiel diejenigen, die den Adrenalin-Thrill brauchen. Dabei reicht die Spanne einerseits von einem einigermaßen entwicklungsbedingt normalen Suchen nach dem Kick bis zu einem sogar krankhaften und süchtigen Verhalten andererseits. Eine vernünftige Fahrweise ist dann willentlich gar nicht mehr in den Griff zu kriegen. Doch der Anteil derer, die den Reiz am Nervenkitzel nicht mehr unter Kontrolle haben, ist wirklich minimal. Ein Großteil der Szene besteht aus männlichen Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren.

„Ein Teil wird vom Urteil im Berliner Raser-Prozess ganz sicher abgeschreckt sein. Der ganz große Effekt bleibt aber aus.“

Christian Müller

#explore: Dann ist Rasen also vor allem eine Frage des Alters. Verwächst sich das?

Christoph Müller: Das wächst sich tatsächlich raus. Natürlich unterschiedlich schnell und unterschiedlich lange, aber mir ist jetzt persönlich kein 40-jähriger Raser bekannt, der an illegalen Straßenrennen teilnimmt. Es gibt allerdings auch noch Fahrer mit 30 Jahren, die in ihrer Persönlichkeitsentwicklung total verzögert sind.

#explore: Wie kann man die Raser stoppen?

Christoph Müller: Eine Möglichkeit ist die Verschärfung der Strafen. Das Strafmaß muss im Rahmen der vorhandenen Gesetze ausgenutzt werden und wenn notwendig auch verschärft werden. Das hat einen gewissen Abschreckungseffekt, trifft aber natürlich nie alle, sondern nur diejenigen, die noch die größte Steuerungsmöglichkeit haben. Dieser Typ macht im Vorfeld eine Kosten-Nutzen-Abwägung: Wie groß ist das Risiko, dass ich erwischt werde? Was ist der maximale Schaden?

#explore: Haben Sie ein Beispiel?

Christoph Müller: Ja. Wenn die Überlegung etwa so aussieht: ‚Selbst wenn ich keinen totfahre, aber beim Rasen erwischt werde, bin ich fünf Jahre ohne Führerschein und kann meine Ausbildung an den Nagel hängen, weil ich da nicht mehr hinkomme.’ In diesem Fall wird ihn ein hohes Strafmaß eher davon abhalten, an der Ampel durchzutreten oder sich im Internet zum Rasen zu verabreden. Das ist aber nicht das Allheilmittel für alle.

#explore: Was hilft denn dann?

Christoph Müller: Dieser Typ Raser ist nur sehr schwer zu erreichen, weil er sich nicht betroffen fühlt, solange nichts passiert ist. Ihm würde es helfen, wenn man ihn im Vorfeld als Risikoperson identifizieren könnte – zum Beispiel im Rahmen eines Screening-Verfahrens an der Fahrschule – und dann mit psychologischer Unterstützung individuell auf ihn eingeht: Warum ist er so spontan? Warum hat er in der Vergangenheit schon Momente erlebt, wo die Verhaltenskontrolle nicht gewährleistet war – etwa Schlägereien, Auseinandersetzungen oder ähnliches? Mir ist aber nicht bekannt, dass irgendwo schon nach diesem Prinzip gearbeitet wird. Das scheitert natürlich auch daran, dass sich nicht alle Fahrschüler einem Screening unterziehen wollen. Sobald man es wieder freiwillig macht, sind die potenziellen Risiko-Kandidaten nicht mehr dabei.

#explore: Was würden Sie konkret gegen Raser unternehmen?

Christoph Müller: Mein erster Punkt auf der Agenda wäre die Erhöhung der Kontrolldichte. Jeder, der zum Beispiel ‚nur’ an einem illegalen Straßenrennen teilnimmt und von der Polizei identifiziert und rausgezogen wird, kann jemand sein, der hinterher ein oder fünf Menschenleben weniger auf dem Gewissen hat. Auch wenn das personalintensiv ist, steckt ein hoher Gewinn dahinter: Man erwischt die Personen, bevor ein Worst-Case-Szenario eingetreten ist.

#explore: Und Punkt zwei?

Christian Müller: Das sind wie schon erwähnt höhere Strafen. Wir sind im europäischen Vergleich immer noch ein Land mit sehr milden Strafen. So wird das Rasen schnell zum Kavaliersdelikt. In Deutschland als Autofahrernation ist in den Köpfen noch nicht ausreichend verankert, dass zu schnelles Fahren ein hohes Sicherheitsrisiko ist. Wenn aber schon eine normale Geschwindigkeitsüberschreitung einen halben Monatslohn kostet, lässt sich ein Azubi mit getuntem Wagen möglicherweise vom Rasen abhalten. Außerdem glaube ich, dass ein pädagogisches Ausbildungsmodul in der Fahrschule sinnvoll ist.

#explore: Wie bewerten Sie das Urteil im Berliner Raser-Prozess?

Christian Müller: Ein Teil wird ganz sicher abgeschreckt sein. Der ganz große Effekt bleibt aber aus. Vielleicht nur ein Drittel, höchstens die Hälfte der Raser ist davon beeindruckt. Der Rest bewegt sich schon in einem dermaßen illegalen Bereich, dass es eh nur darauf ankommt, nicht erwischt zu werden. Diejenigen lassen sich von einem solchen Gerichtsurteil nicht abhalten – genauso wenig wie manche Raucher auch nach einer Lungenkrebsdiagnose nicht auf die Zigarette verzichten.

#explore: Könnte denn eine längere Führerscheinsperre ein hilfreicher Ansatz sein?

Christian Müller: Es werden kaum Sperren ausgesprochen, die länger als zwei Jahre dauern. Ich bin für deutlich längere Strafen als üblich, das tut noch mehr weh als eine hohe Geldstrafe – fünf Jahre definitiv, im Ernstfall sogar auch zehn Jahre. Aber ein lebenslanger Entzug ist meiner Ansicht nach keine Lösung. Denn erstens schreckt das wie bei dem Urteil nur einen gewissen Prozentsatz ab und zweitens wird das einem möglichen Lebenswandel nicht gerecht. Wenn ein 25-jähriger Fahrer jemanden tödlich verletzt hat, kann er sich mit 35 in einer ganz anderen Lebensphase durchaus wieder besser sozial integrieren und damit auch am Straßenverkehr teilnehmen.

ZUR PERSON

Teilnehmer von illegalen Straßenrennen müssen künftig mit härteren Strafen rechnen – das fordert Christian Müller, Verkehrspsychologe von TÜV NORD und Leiter des medizinisch-psychologischen Instituts Rheinland von TÜV NORD. Höhere Strafen werden zwar nicht alle Raser abschrecken, aber immerhin aus dem Verkehr ziehen.

Was ist der Carfreitag?

Karfreitag ist zugleich Saisonauftakt und Höhepunkt für die Tuning-Szene – und für die Raser. Am sogenannten Carfreitag (Autofreitag) treffen sich seit Jahren PS-Fans, die nicht nur ihre aufgemöbelten Wagen präsentieren, sondern zum Teil auch an illegalen Straßenrennen teilnehmen. Zu den bekanntesten Treffpunkten zählt unter anderem die Nordschleife am Nürburgring. Allein auf Facebook haben sich dort schon mehr als 300 stolze Autobesitzer angemeldet.

2015 hat die Polizei im hessischen Limburg den Carfreitag abgesagt, nachdem ein Jahr zuvor mehr als 2000 Autos die Innenstadt und sogar den Verkehr auf den Autobahnen blockierten.

2005 ist bei einem illegalen Autorennen in Bielefeld eine 25-Jährige Zuschauerin ums Leben gekommen. Bei einer Wettfahrt berührte ein Cabrio einen Kleinwagen, der daraufhin ins Schleudern kam und ungebremst ins Publikum raste.

Zahlen & Fakten

Zwar stehen die endgültigen Zahlen für die Unfallstatistik 2016 noch nicht fest, doch die aktuellen Prognosen gehen von rund 3300 Verkehrstoten und rund 400.000 Verletzten aus. Demnach stirbt auf deutschen Straßen etwa alle 2,5 Stunden ein Verkehrsteilnehmer. Neben Senioren gelten vor allem junge Erwachsene als besonders gefährdet. 2015 war laut Statistischem Bundesamt jeder siebte Getötete zwischen 18 und 24 Jahre alt. Häufigste Ursache: überhöhte Geschwindigkeit. Jeder dritte Verkehrstote – also mehr als 1000 Opfer – stirbt an den Folgen durch zu schnelles Fahren.