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Ein Elektroauto des TÜV NORD lädt an der Zapfsäule
Christian Förster

„Reichweite und Alltagstauglichkeit von Elektroautos haben sich deutlich verbessert“

7. Dezember 2017

Wie alltagstauglich sind Elektroautos schon heute, wie steht es um die Ökobilanz der E-Mobile, welche Entwicklungen sind noch zu erwarten, und wie kann das Elektroauto massentauglich werden? Diese Fragen klärt TÜV NORD-Experte Christian Förster im Interview mit #explore.

#explore: Elektromobilität ist in aller Munde. Trotzdem sind viele Menschen in Deutschland bislang noch nicht elektrisch gefahren. Wann haben Sie sich denn das erste Mal in einem Elektromobil hinters Steuer gesetzt?
Christian Förster: Das war vor ungefähr sieben Jahren. 2009 wurde die Elektromobilität von der Politik mit großen Erwartungen propagiert. Die TÜV NORD GROUP hatte sich damals entschieden, die Ziele der Bundesregierung zu unterstützen. Und da ich vorrangig für neue Technik und Dienstleistungen zuständig bin, hat es mich getroffen – was ich gar nicht unbedingt wollte. Ich habe ursprünglich Maschinenbau studiert, weil man Motoren anfassen kann. Elektroautos mit Hochvolttechnik und Magnetfeldern, die man weder sehen noch berühren darf, waren mir erst mal fremd. Ich komme ja vom Verbrennungsmotor und habe mich intensiv mit Abgasen und Abgasreinigung beschäftigt. Und nun habe ich ein Auto, an dem gar kein Auspuff dran ist und das diese komplexen und kostspieligen Abgasreinigungssysteme nicht braucht. Das hat mich nach einer gewissen Lernphase fasziniert.

#explore: Wie hat sich Ihre Haltung zum Elektroauto verändert?
Christian Förster: Das Konzept des Elektroautos hat mich sehr schnell überzeugt. In der Leistungsentfaltung, im Drehmomentverhalten, in der Emissionsbilanz und von der Einfachheit des Fahrens ist das Elektroauto jedem Verbrenner überlegen. Die Batterie ist einfach der effizienteste Antrieb, um mit relativ wenigen Ressourcen viel Mobilität zu generieren. Das Einzige, was mir fehlt, ist das sonore Grollen eines V8-Motors. Das hat wohl was mit meinen versteckten Neandertal-Genen zu tun.

#explore: Viele Menschen fürchten ja, dass ein Elektroauto im Alltag nicht den gleichen Komfort bietet wie ein Verbrenner: dass die Reichweite nicht genügt oder im Winter die Heizung nur auf halber Kraft läuft. Wie sind da Ihre Erfahrungen?
Christian Förster: In sieben Jahren und bei weit über 200.000 elektrisch gefahrenen Kilometern bin ich kein einziges Mal liegen geblieben. Aber am Anfang waren die Fahrzeuge wirklich noch sehr spartanisch. Im Winter saß ich auch mal im Parka hinterm Steuer. Und die Angst, nicht anzukommen, fuhr mit. Mittlerweile hat sich jedoch in Sachen Komfort, Reichweite und Alltagstauglichkeit viel getan. 2013 haben wir uns auch privat entschlossen, ein Elektroauto zu kaufen.

#explore: In welchen Feldern ist ein Elektroauto schon heute alltagstauglich einsetzbar?
Christian Förster: Ein Elektroauto zu kaufen, um das eigene „grüne“ Gewissen zu beruhigen und damit von Zeit zu Zeit einkaufen zu fahren, ist absoluter Unsinn. Den „ökologischen Ablassbrief“ zu erwerben sollten wir uns verkneifen. Bei der Produktion eines Elektroautos ist momentan noch ein höherer Energieeinsatz nötig als bei einem modernen Verbrenner. Das heißt im Umkehrschluss, dass ein Elektroauto so viele Kilometer wie möglich fahren sollte. Als wir uns privat entschieden haben, das Elektroauto zu kaufen, war klar, dass es unser Erstfahrzeug wird. Das haben wir direkt vom ersten Jahr an erreicht, weil wir natürlich den Vorteil haben, dass ich sowohl im Büro als auch zu Hause eine Ladesäule habe. Damit sind auch tägliche Strecken von bis zu 300 Kilometern machbar, selbst wenn die Batterie nur 100 Kilometer reicht. In unserer Familie ist das Elektroauto das beliebteste Auto – weil es sich am einfachsten fährt und der Aktionsradius von 100 Kilometern meist völlig genügt. Für 90 Prozent des Mobilitätsbedarfs ist ein Elektroauto schon heute absolut ausreichend. Für die anderen zehn Prozent kann man Alternativen nutzen. Ich kann für Langstrecken ja die Bahn, einen Leihwagen, einen Zweitwagen – falls vorhanden – oder das Flugzeug nehmen. Man braucht aber immer noch den Willen, vom gewohnten einfachen und bequemen Normalfall auf Elektromobilität umzuschwenken.

#explore: Eine Million Elektroautos wollte die Bundesregierung bis 2020 auf die deutschen Straßen bringen. Davon sind wir allerdings noch weit entfernt. Mittelfristig sollen Elektrofahrzeuge Verbrenner sogar ersetzen. Was müsste denn dazu politisch, technisch und infrastrukturell passieren?
Christian Förster: Das ist eine Frage der Reichweite, der Ladeinfrastruktur und des Preises. Auch ein Tesla rechnet sich nur im Vergleich zu Oberklassefahrzeugen, und den will oder kann sich nicht jeder leisten. Politisch gibt es ja ein eindeutiges Bekenntnis zum Elektroauto, weil wir unsere CO2-Vorgaben erfüllen müssen. Unternehmensseitig besteht das Problem, dass durch die hohen Produktionskosten mit dem Elektroauto vorerst kaum Gewinn zu erzielen ist. Auch der Elektropionier Tesla schreibt ja noch keine schwarzen Zahlen. Von daher ist es gerade in einer historisch gewachsenen Autoindustrie wie in Deutschland betriebswirtschaftlicher Unsinn, von heute auf morgen das Alte über Bord zu werfen und etwas Neues aufzubauen.

#explore: Wie soll es also weitergehen?
Christian Förster: In den vergangenen sieben Jahren hat sich technisch und strategisch auch bei deutschen Autobauern einiges getan: Während die Technologie anfänglich noch negiert wurde, gibt es mittlerweile bei jedem großen Automobilkonzern Bereiche, die sich ausschließlich um Elektrofahrzeuge kümmern. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Elektromobilität in den kommenden zehn Jahren durchsetzen wird: vom Pkw-Sektor über das 7,5-Tonnen-Nutzfahrzeug für den Verteilerverkehr im urbanen Raum bis hin zum öffentlichen Personennahverkehr.

„Die Wartungskosten meines Elektroautos liegen nach 70.000 Kilometern bei nur 420 Euro für vier Inspektionen.“

Christian Förster

#explore: Wie ist das mit dem Fern- und Güterverkehr?
Christian Förster: Unsere Autobahnen sind schon heute komplett überfordert. Statt also noch mehr Lkw auf die Straßen zu schicken, müssen wir den Schienenverkehr stärken. Um der Verkehrsproblematik in Ballungszentren gerecht zu werden, reicht allerdings das Elektroauto nicht aus. Auch im E-Mobil steht man im Stau, denn schließlich hat es die gleiche Grundfläche wie ein Auto mit Verbrennungsmotor. Deshalb muss die Attraktivität von Schiene, Straßenbahn und Bus gesteigert werden.

#explore: Bei Elektro-Lkw für den Fernverkehr gilt Gewicht und Preis der Batterien als Problem, um die tonnenschweren Fahrzeuge anzutreiben. Als Lösungsansätze werden Hochspannungsleitungen auf der Autobahn oder Induktionsschleifen in der Fahrbahn diskutiert. Welche dieser Ansätze sind aus Ihrer Sicht besonders vielversprechend?
Christian Förster: Wenn ich Oberleitungen baue, kann ich ebenso gut in den Schienenverkehr investieren. Bei der induktiven Ladetechnik, mit der wir uns bereits 2012 beschäftigt haben, sind der Materialeinsatz, der Wirkungsgrad und die elektromagnetische Verträglichkeit wesentliche Hemmschuhe. Fraglich ist auch, inwieweit man Induktionsplatten in eine befahrene Straße einbauen kann. Im Schwerlastverkehr auf der Straße macht es aus meiner Sicht am meisten Sinn, Brennstoffzellen mit Pufferbatterien zu verwenden. Wasserstoff als Energieträger für die Brennstoffzelle kann in einem vergleichbaren Verteilernetzwerk wie Dieselkraftstoff an einer Tankstelle angeboten werden, sodass wir auf diesem Sektor die klassische Autobahn-Tankstruktur nicht grundlegend ändern müssten.

#explore: Kann die Brennstoffzellentechnologie denn schon problemlos und energieeffizient eingesetzt werden?
Christian Förster: Leider ist das Lastenheft der Brennstoffzelle immer noch wesentlich länger als das der Traktionsbatterie im Elektroauto. Und mit einer Kilowattstunde regenerativ erzeugter Energie komme ich mit einem batterieelektrischen Fahrzeug mehr als doppelt so weit wie mit einem Brennstoffzellenfahrzeug. Auch sind synthetische oder Bio-Kraftstoffe der zweiten Generation noch eine denkbare Alternative. Entscheidend wird sein, wie viel Energie wir durch diese neuen Energieträger überhaupt zur Verfügung haben werden. Wenn wir Pkw, Bus und 7,5-Tonner batterieelektrisch betreiben können, ist ein nicht unbeträchtlicher Anteil der benötigten Energiemenge schon einmal realisierbar. Für Schwerlastwagen, Schiffe und Flugzeuge bleibt demzufolge mehr an Wasserstoff und an CO2-neutralen Kraftstoffen übrig. Natürlich möchten auch Chinesen oder Inder bei steigendem Wohlstand reisen und mehr konsumieren. Das wird den Bedarf an klimaneutraler Energie noch einmal signifikant in die Höhe schießen lassen. Ich kann nur hoffen, dass wir in den kommenden Jahrzehnten durch weiteres intensives Forschen einen realisierbaren Verteilerschlüssel finden werden. 

#explore: Befürwortern zufolge sind Elektroautos wartungsärmer als Verbrenner und deshalb besonders gut zum Beispiel für den Dauereinsatz in Flotten geeignet. Wie sind da Ihre Erfahrungen?
Christian Förster: Das kann man absolut bestätigen. Die Wartungskosten meines Fahrzeugs liegen nach 70.000 Kilometern bei nur 420 Euro für vier Inspektionen.

„Die Frage, wo ich mein Auto auflade, darf gar nicht erst aufkommen.“

Christian Förster

#explore: In Hannover betreibt TÜV NORD eine eigene Solar-Ladestation. Welche Erkenntnisse haben Sie im Betrieb der eSTATION gewonnen?
Christian Förster: Eine zentrale Erkenntnis ist, dass es wesentlich günstiger ist, mehrere Ladesäulen an einem zentralen Punkt zu bauen als verstreut über verschiedene Stadtteile. Das gilt für die Bauplanung, Baugenehmigungen und auch für die Kabelverlegung. Hinzu kommen die Redundanz, falls ein Ladepunkt mal defekt ist, und ein wesentlich kostengünstigerer Wartungsaufwand. Das ist wichtig, weil Elektroinstallationen ja halbjährlich gewartet werden müssen.

#explore: Wie muss sich die Ladeinfrastruktur entwickeln?
Christian Förster: Essenziell und mindestens genauso wichtig wie Kaufpreis und Reichweite von Elektrofahrzeugen ist die Visualisierung der Ladeinfrastruktur. Die Frage, wo ich mein Auto auflade, darf gar nicht erst aufkommen. Deshalb brauchen wir Ladepunkte auf der Autobahn, aber auch in Ballungsräumen – ähnlich wie unsere TÜV NORD eSTATION, nur mit wesentlich höheren Ladeleistungen. Geschäftsmodelle in der Ladeinfrastruktur funktionieren wegen der kleinen Gewinnspanne nur über eine hohe Energiemenge pro Ladezeit. Deshalb sind die High Power Charger, wie sie etwa Porsche entwickelt, der richtige Weg. Damit lassen sich 1.400 Kilometer Reichweite in der Stunde generieren, wodurch eine hohe Fluktuation an der Ladesäule erzielt werden kann. Dazu haben wir die Möglichkeit, aufgrund der Heterogenität beim Stromtanken neue Ladepunkte wie Park&Work, Park&Ride, Park&Shop oder Park&Home zu nutzen. Das ist ein wesentlicher Komfortgewinn, da man immer mit „vollem oder fast vollem Tank“ losfahren kann.

#explore: In letzter Zeit wird zunehmend die Ökobilanz von Elektroautos problematisiert. Den Kritikern zufolge fällt sie teilweise schlechter aus als bei modernen Benzinern. Wie bewerten Sie eine solche Position?
Christian Förster: Diese Aussage ist schlichtweg falsch. Bezogen auf den kompletten Lifecycle hat der Verbrenner schon jetzt verloren. Richtig ist, dass das Elektrofahrzeug in der Produktion momentan eine schlechtere Ökobilanz besitzt. Das hat hauptsächlich mit der Batterieproduktion zu tun. Ich muss mit einem Elektroauto 20.000 bis 70.000 Kilometer – je nach Berechnungsmodell auch noch länger – fahren, um auf den Break-even zu einem effizienten, modernen Verbrenner zu kommen. Wenn ich ausschließlich grünen Strom tanke, geht es natürlich schneller.

„Elektrofahrzeuge schneiden in Crashtests genauso gut ab wie andere Autos, wenn nicht noch besser.“

Christian Förster

#explore: Welche Rolle spielt dabei die Größe der Batterie?
Christian Förster: Je größer die Batterie, desto schlechter die Ökobilanz. In einigen Anwendungsfeldern können deshalb Fahrzeuge mit einer kleineren und damit umweltfreundlicheren Batterie von 20 Kilowattstunden sinnvoll und ausreichend sein. Fakt ist, dass sich die Ökobilanz von Elektrofahrzeugen im Produktionsprozess in den kommenden Jahren verbessern wird. Das gilt für die aktuelle Technik der Lithiumzelle, aber nicht zuletzt auch für die Feststoffzelle, die voraussichtlich Mitte des nächsten Jahrzehnts kommen wird. Diese ermöglicht eine noch höhere Energiedichte und verwendet Materialien, die nicht so teuer und selten sind wie bei den heutigen klassischen Lithiumbatterien. Bei Fahrzeugen mit großen Batterien ist auch aus ökologischer Sicht zukünftig eine Zweitverwendung sinnvoll. Immerhin fahren wir hier mit circa 60 bis 70 Prozent Batteriekapazität täglich durch die Gegend, die wir im Normalfall überhaupt nicht brauchen. Nutzt man diese Energiemenge als Pufferspeicher im klassischen Hausnetz im Sinne einer Schwarmtechnologie, kann das einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende leisten.

#explore: Manche Hersteller setzen auf Leichtbauweise, um das hohe Gewicht der Akkus auszugleichen. Geht das nicht auf Kosten der Verkehrssicherheit?
Christian Förster: Definitiv nicht. Die Sicherheitsanforderungen an die Zulassung eines Autos bestehen ja nach wie vor. Elektrofahrzeuge schneiden in Crashtests genauso gut ab wie andere Autos, wenn nicht noch besser.

#explore: Sie beobachten die Entwicklung des Elektroautos ja sehr genau. Welche Visionen haben die Automobilbauer auf der diesjährigen IAA vorgestellt?
Christian Förster: Die Automobilhersteller sind zu Recht durch den Stickoxid-Skandal abgestraft worden und mittlerweile dazu übergegangen, ihr ökologisches Bewusstsein stärker zu zeigen, als sie das vielleicht vorher mussten. Auch die sich kontinuierlich verschärfenden CO2-Vorgaben und die wachsende Erkenntnis, dass die Verbrauchsberechnungen der Plug-in-Hybriden nicht viel mit der Realität zu tun haben, erfordern verstärkt Lösungsansätze zum vollelektrischen Automobil. Das hat man auf der IAA schon bemerkt, und Reichweiten über 300 Kilometer waren bei den hier präsentierten Fahrzeugen keine Seltenheit. Anfangs waren Elektroautos ja sehr puristisch. Mittlerweile werden gerade bei den Prototypen für elektrisches und autonomes Fahren die neuen Freiheiten vor allem im Design stärker ausgeschöpft. Im E-Mobil fällt ja etwa das Getriebe weg, statt eines Kardantunnels habe ich eine ebene Fläche. Das bietet ein ganz neues Raumgefühl und wesentlich mehr Möglichkeiten, um den Wagen zum rollenden Wohnzimmer zu entwickeln. Wir dürfen uns durchaus auf die ersten Abkömmlinge der gezeigten Prototypen in der Serie freuen. Da sind tolle Autos dabei.

ZUR PERSON

Christian Förster ist Projektleiter Elektromobilität der TÜV NORD GROUP und Experte für alternative Kraftstoffe und Antriebskonzepte am Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM).

INFOBOX

TÜV NORD begleitet und unterstützt die technische Entwicklung alternativer Antriebstechnologien und treibt sie in Kooperationen und Projekten voran – etwa mit einer Smart-Grid-tauglichen Solar-Elektrotankstelle in Hannover. 250.000 Fahrkilometer werden jährlich an der eSTATION klimaneutral erzeugt und Elektroautofahrern kostenlos zur Verfügung gestellt. Zudem berät und unterstützt TÜV NORD im Rahmen des Programms „Schaufenster Elektromobilität“ Kommunen bei der Elektrifizierung. Für das Projekt „Hafencity-Hamburg Baakenhafen und Elbbrücken“ erstellte TÜV NORD den Anforderungskatalog für die Ladeinfrastruktur von 4.500 Tiefgaragenstellplätzen.