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Interview

Verstopft das Internet?

28. April 2020

Videokonferenzen, Online-Gaming und jede Menge Netflix und Co: Mit der Corona-Krise hat sich unser Berufs- und Sozial­leben innerhalb kürzester Zeit ins Internet verlagert. Die bange und häufig gestellte Frage: Ist das Netz der abrupt gestiegenen Nach­frage gewachsen? Wie es sich in der Krise schlägt, wo Engpässe entstehen können und wie man zu Hause für ein möglichst flüssiges Internet sorgt, erklärt Manuel Sainz von TÜV NORD IT Secure Communications.

 

#explore: Zu Beginn der Corona-Krise in Deutschland und Europa gab es viele Bedenken, dass mit dem abrupten Zuwachs an Homeoffice-Anwendungen und Streaming­nutzung das Internet „verstopfen“ könnte. Aus Ihrer Warte: Haben die Netze die Feuer­probe bestanden?

Manuel Sainz: Die kurze Antwort auf diese komplexe Frage lautet: Ja! Die Netze sind bereit und in der Lage, viele Anwendungen für Unternehmen, Industrien und den Finanz­sektor mit hohen Kapazitäts­anforderungen zu unter­stützen. Die Internet­dienste, die die meisten Menschen in dieser Pandemie-Situation nutzen und auch brauchen, benötigen dagegen vergleichs­weise wenig Netz­werk­kapazität. Trotzdem haben viele Nutzer zu Hause mit einem verlangsamten Internet zu kämpfen. Das liegt aber nicht an den Netz­werken selbst, sondern in erster Linie an der Konfiguration unserer Heim­netz­werke.

 

Wie kommt das Internet überhaupt zu uns nach Hause, und welche Engpässe können dabei entstehen?

Man kann sich das Internet grundsätzlich als Dreiecks­konstellation vorstellen: Der User möchte Informationen oder Daten von einem Content-Provider wie Amazon oder Netflix beziehen. Die Netz­werke sind dabei das Transport­medium, über das diese Kommunikation abgewickelt wird. Um einen Film zu streamen oder eine Video­konferenz durch­zu­führen, müssen wir Daten über das Internet empfangen und senden. Unsere Notebooks oder Smart­phones schicken zunächst über das Netz eine Anfrage an den Server eines Anbieters: Bitte sende mir diesen Film.

Unsere Endgeräte sind dabei über einen sogenannten Access Point, einen Zugangs­punkt, mit dem Internet verbunden. Das ist etwa ein Ethernet-Kabel oder die drahtlose WLAN-Verbindung. Unsere Internet-Router wiederum sind über die Telefondose oder den Kabel­anschluss an eine Daten­leitung angeschlossen – früher war das eine Kupfer­leitung, heute ist es immer öfter ein Glas­faser­kabel. Dieses Kabel führt entweder in den Keller unseres Wohn­hauses oder direkt auf die Straße zur Box eines Internet-Providers. In diesen grauen Kästen laufen die Daten­leitungen der umliegenden Gebäude zusammen.

„Wenn viele Pakete im Netzwerk einen ähnlichen Zielort erreichen wollen und daher ein Teil des Pfads belegt ist, werden die Daten umgeleitet. Sie müssen also eine längere Route nehmen – es entstehen Verzögerungen in der Datenübertragung.“

Manuel Sainz, Telekommunikations-Manager bei TÜV NORD IT Secure Communications

Sie sammeln alle Daten und Anfragen und senden sie über eine weitere Leitung an ein regionales Daten­management-Center. Von diesem Daten­knoten­punkt aus werden die Daten­pakete anhand der IP-Adressen der Empfänger zum jeweils nächsten Knoten­punkt weiter­geleitet. Jeder Knoten­punkt leitet das Paket an den Nachbarn weiter, das so auf dem kürzesten Weg sein Ziel erreicht. Wenn aller­dings viele Pakete im Netzwerk einen ähnlichen Zielort erreichen wollen und daher ein Teil des Pfads belegt ist, werden die Daten umgeleitet. Sie müssen also eine längere Route nehmen – es entstehen Latenzen, also Verzögerungen in der Daten­über­tragung.

 

Was sind weitere Gründe dafür, dass die Bandbreite zu Hause schwankt?

Wenn wir von einem Internet-Provider einen Internet­tarif buchen, müssen wir immer bedenken, dass es sich bei den 16, 50 oder 100 Megabit pro Sekunde immer um die maximal erreichbare Band­breite handelt. Habe ich zu Hause nur einen einzigen Computer mit diesem Netzwerk verbunden, werde ich voraussichtlich diese Band­breite bekommen.

Oft haben wir aber mehrere Geräte gleichzeitig am Netz – und das zumeist über WLAN, weil das so komfortabel ist. Dann teilen sich alle diese Geräte dieselbe Bandbreite. Wollen wir etwa über unseren Laptop eine Video­konferenz durchführen, senden und empfangen gleich­zeitig auch unser Smartphone, Tablet oder das Internet­radio Daten aus dem Internet. Und das führt selbst unter normalen Bedingungen zu Schwankungen, die sich etwa als Bildstörung in der Video­konferenz bemerkbar machen. Denn unsere Internet-Router sind nicht smart. Sie unter­scheiden nicht zwischen wichtigeren und unwichtigeren Daten. Gerade bei beruflichen Video­konferenzen wäre es aber natürlich günstig, wenn diese Daten priorisiert versendet werden würden.

„Unsere Internet-Router sind nicht smart. Sie unterscheiden nicht zwischen wichtigeren und unwichtigeren Daten.“

Manuel Sainz, Telekommunikations-Manager bei TÜV NORD IT Secure Communications

Kann ich als Nutzer selbst meine Internetverbindung verbessern?

Schon ein Singlehaushalt hat oft vier Geräte gleich­zeitig am Netz – bei Familien sind es dann noch mal deutlich mehr. Daher ist es sinnvoll, die eigenen Verbindungen zu Hause aktiv zu managen. Ob die gebuchte Band­breite für meine Geräte und Internet­dienste prinzipiell ausreicht, kann ich mit speziellen Online-Tools einfach ausrechnen. In den Konfigurationen meiner Geräte kann ich zudem einstellen, wie oft etwa mein Telefon oder Tablet prüfen, ob sich in meiner Mailbox eine neue E-Mail befindet.

Für eine Videokonferenz sollte ich meinen Laptop nach Möglichkeit immer direkt über ein Ethernet-Kabel verbinden. Denn das ist dann der einzige Pfad vom Rechner über den Router zum Internet. Mit WLAN nutzt man dagegen die Luft als Über­tragungs­medium. Und die teilt man sich auch mit den eigenen Nachbarn: Der Router ignoriert zwar die konkreten Anfragen anderer Router aus angrenzenden Wohnungen. Aber wie beim Radio kommt es zu Interferenzen: zu Stör­signalen.

Und wenn aufgrund der Pandemie alle zu Hause sind, ist es natürlich naheliegend, dass viele Menschen Verbindungs­probleme bekommen. Der Vorteil von WLAN wird in einer solchen Situation zum Nachteil: Es steht unter freier Lizenz. Das heißt, jedes Gerät kann auf diese Frequenz zugreifen. Daher ist diese Frequenz sehr ausgelastet, wenn wir alle im Homeoffice arbeiten. Dieses Problem lässt sich über eine Kabel­verbindung umgehen.

 

Und wenn mit meiner Bandbreite und meinen Geräten eigentlich alles in Ordnung ist und trotzdem der Stream oder die Video­konferenz hakt?

Dann kann die Ursache des Problems tatsächlich auch aufseiten der Content-Provider liegen. Wenn Streaming-Anbieter wie Netflix, Amazon oder Disney+ Datencenter in Europa mieten oder bauen, kalkulieren sie vorab, wie viele Nutzer voraussichtlich zu Spitzen­zeiten gleich­zeitig auf ihre Inhalte zugreifen wollen. Auf dieser Basis entscheiden sie, wie viele Server sie tatsächlich benötigen – denn die kosten eine Menge Geld. Zumeist entscheiden sich die Anbieter dabei für die kosten­effizienteste Variante. Sie bauen also keine Super­computer-Center für potenzielle Ausnahme­szenarien wie eine Pandemie. Denn die wären ja eben auch nur aus­nahms­weise ausgelastet, kosten aber dauer­haft Geld.

Nun ist allerdings die unvorhergesehene Situation eingetreten, dass wir alle zu Hause sind, viele gleichzeitig Video­konferenz­dienste bei einem Anbieter anfordern oder denselben Film bei einem Streaming­dienst schauen wollen. Diese Situation ist analog zu einer „Denial of Service“(DoS)-Attacke, mit der Hacker eine Website lahm­zulegen versuchen: Der Server wird dabei gezielt mit so vielen Anfragen bombardiert, dass das System die Aufgaben nicht mehr bewältigen kann. Selbst wenn es sich im aktuellen Fall um reale Benutzer handelt, die ja berechtigt sind, diese Inhalte anzufordern, reagieren die Server auf dieselbe Weise wie bei einer DoS-Attacke – sie sind mit der Vielzahl der Anfragen überfordert und können dann kollabieren.

Diese verstärkte Nachfrage vergrößert zugleich auch die Sicherheitsrisiken. Kostenlose Video­konferenz-Tools mögen sehr komfortabel sein. Sie werden aber umso anfälliger, je mehr Leute sie verwenden, denn auch Hacker wollen diesen exponentiellen Boom ausnutzen. Unlängst ist bekannt geworden, dass Cyber­kriminelle zum Beispiel 500.000 Zoom-Account-Datensätze im Darknet zum Kauf angeboten haben. Nutzer sollten daher verstärkt darauf achten, welche Software sie auf ihren Heim­computern oder Tablets installieren und sich im Zweifels­fall für eine sicherere Alternative entscheiden.

„Diese verstärkte Nachfrage vergrößert zugleich auch die Sicherheitsrisiken. Denn auch Hacker wollen diesen exponentiellen Boom ausnutzen. “

Manuel Sainz, Telekommunikations-Manager bei TÜV NORD IT Secure Communications

Inwiefern besteht aufseiten der Netzwerke noch weiteres Verbesserungs­potenzial, um etwa auch mit solchen Ausnahme­situationen besser fertig­zu­werden?

Tatsächlich ist auch hier noch Luft nach oben – und das größte Verbesserungs­potenzial besteht in einer grund­legenden Veränderung der Struktur unserer hard­ware­basierten Netz­werke. Bislang haben wir die Netzwerke über die Jahre sukzessive aktualisiert, haben Patches, also Aktualisierungen, vor­genommen und Hardware­elemente aus­getauscht oder hinzu­gefügt.

Aber selbst wenn wir Groß­städte vollständig mit Glas­faser ausstatten: Liegen in ländlichen Regionen noch immer veraltete Leitungen, führt das weiterhin zu Verbindungs­problemen. Denn ein Netzwerk ist immer nur so schnell wie sein langsamster Pfad. Solange unsere Netz­werke noch auf Hard­ware basieren, bleibt eine Verbesserung daher immer Stückwerk.

Deshalb müssen wir die Netzwerke smart machen. Und dazu müssen wir alle seine Elemente und Komponenten virtualisieren – ähnlich wie wir analoge Taschen­rechner auf unseren Smartphones digitalisiert und ersetzt haben. Denn wenn wir die Funktionen des Netzwerks virtualisieren, können wir es in Echtzeit und aus der Ferne updaten und anpassen, um etwa mit einer größeren Anfrage klar­zu­kommen.

Bislang müssen wir dafür die Infrastruktur anpassen oder einen Techniker vor Ort schicken, das kostet Zeit und Geld. Und dieses smarte und virtuelle Netzwerk, das ist 5G . Das ist auch der Grund, warum 5G keine Evolution von 4G ist, sondern tatsächlich ein neues und anderes Konzept. Alle Komponenten des Netz­werks zu virtualisieren, sie also in Software zu über­setzen, erfordert natürlich Zeit und auch grund­legende Änderungen am Aufbau des Netzwerks. Daher wird es auch noch eine ganze Weile dauern, bis wir ein echtes 5G-Netz aufgebaut haben werden.

ZUR PERSON

Manuel Sainz ist Tele­kommunikations-Manager bei TÜV NORD IT Secure Communications in Berlin. Schwer­­­punkt­­­mäßig beschäftigt sich der Tele­kommunikations­­­ingenieur mit IT-Sicherheit bei 5G, in der Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge. Cyber­­security erschöpft sich für Sainz nicht in starken Pass­wörtern, sondern bedeutet, Nutzer in jeder Situation sicher mit den gewünschten Inhalten versorgen zu können: „Gerade in der Corona-Krise zeigt sich, wie wichtig IT- und Netz­­werk­kommunikation für uns als Gesellschaft und für die seelische Gesundheit jedes und jeder Einzelnen sind. Denn sie geben uns die Möglichkeit, auch von zu Hause aus und in Zeiten der Kontakt­­beschränkung mit anderen Menschen in Verbindung zu bleiben.“