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Auf dem Prüfstand

Zoo Safaripark Stukenbrock

25. November 2016

Millionen von Fahrgästen auf der ganzen Welt erleben jedes Jahr den Spaß und den Nervenkitzel in Achterbahnen, Karussells und anderen Fahrgeschäften. Sie vertrauen darauf, dass die Anlagen zu jeder Zeit sicher sind. Der Safaripark im ostwestfälischen Stukenbrock setzt hier bereits seit 20 Jahren auf die Erfahrung der Experten von TÜV NORD. #explore war in der Park-Winterpause 2016 bei einer Prüfung der Fahrgeschäfte mit Prüfer Michael Krah dabei.

Mit stolzgeschwellter Brust thront der weiße Löwe zwölf Meter über dem Boden auf dem Dach des bunten Wellenfliegers. Wäre das mächtige Tier echt, würde es sicher nach dem fremden Mann auf der Leiter schnappen, der es gewagt hat, sich ihm zu nähern, um dort oben in schwindelerregender Höhe die Aufhängungen der Sitze zu kontrollieren. Zum Glück ist der Löwe nur ein täuschend echt gemachtes Modell aus Kaltschaum und Polyester. Seine lebendigen Artgenossen streifen hier im Safaripark Zoo Stukenbrock nur einen Steinwurf vom Karussell entfernt durch ihr großes Gehege. Sogar die beiden Weltstars Siegfried und Roy waren zu Gast, als vor genau 20 Jahren die ersten beiden Exemplare dieser seltenen Raubkatzenart in Ostwestfalen eintrafen. Seither konnten sich Geschäftsführer Fritz Wurms und seine Mitarbeiter fast jedes Jahr über neuen Nachwuchs im Raubtiergehege freuen. „Wir haben europaweit die größte Zucht für weiße Löwen“, erklärt der Chef des traditionsreichen Familienbetriebs.

 

Auf allen Kontinenten unterwegs

1996 begann in Stukenbrock nicht nur das Zeitalter der weißen Löwen, sondern auch die Zusammenarbeit mit TÜV NORD. Michael Krah – der Mann auf der Leiter – ist verantwortlich für „Fliegende Bauten“ und somit für die Überprüfung von Fahrgeschäften aller Art. Klingt nach einem echten Traumjob, ist aber nichts für Zartbesaitete. Denn die Arbeit der Prüfer findet oft in engen, dunklen Räumen statt. Oder unter freiem Himmel – und zwar immer dann, wenn in den Freizeitparks die Saison zu Ende ist. Oft regnet es und ist kalt. Der Begeisterung des Esseners für seinen Job tut das keinen Abbruch. „Wir haben gewiss keinen alltäglichen Job und zählen beim TÜV eher zu den Exoten“, erklärt Krah.

Dabei hat die Sicherheitsprüfung von Fahrgeschäften in Deutschland eine sehr lange Tradition. Bereits 1929 sind hierzulande die ersten Prüfbücher eingeführt worden, in denen die technischen Standards für die Anlagen festgelegt wurden. Die langjährige Erfahrung von TÜV NORD in diesem Bereich ist nicht nur in Deutschland, sondern auch international gefragt. „Während meiner 16-jährigen Berufslaufbahn beim TÜV habe ich schon Fahrgeschäfte auf jedem Kontinent geprüft“, berichtet der gelernte Elektrotechniker, der gerade erst von einer Dienstreise aus Lateinamerika zurückgekehrt ist. „Das Spannende an diesem Job ist, dass bei uns alle Ingenieursdisziplinen vertreten sind. Wir brauchen fundiertes Fachwissen in den Bereichen Stahlbau, Elektrotechnik, Pneumatik und Hydraulik“, sagt Krah.

Gut geplant ist halb genehmigt

Hierzulande unterliegt der Betrieb der Anlagen dem Bauordnungsrecht – ganz egal, ob diese nur vorübergehend auf einem Volksfest wie dem Hamburger Dom im Einsatz sind, oder dauerhaft in einem Freizeitpark stehen. Damit die Betriebserlaubnis für die Geräte aufrechterhalten bleibt, muss Safaripark-Leiter Fritz Wurms die jährlichen Prüfberichte beim örtlichen Bauamt einreichen. Das gilt auch für ganz neue Fahrgeschäfte, wie den Wellenflieger „Africa Swing“, um die entsprechenden Abnahmeprüfungen vorzubereiten.

Fliehkräfte und Wellenbewegungen

Betriebsleiter Manuel Wesemann erklärt das Funktionsprinzip der neuen Familienattraktion, bei der es sich um einen sogenannten „Wellenflieger“ handelt: „Ein Hydraulikzylinder hebt zunächst über einen Seilzug den Dachstuhl des Fahrgeschäfts an. Ab einer gewissen Höhe neigt sich dann der Kopf des Geräts, an dem die Gondeln hängen, zur Seite.“ Im Fahrbetrieb rotiert der Dachstuhl mit zwölf Umdrehungen pro Minute im Uhrzeigersinn, während sich der untere Teil der Konstruktion mit vier Umdrehungen pro Minute in die entgegengesetzte Richtung dreht. Dadurch entsteht eine Wellenbewegung, die den besonderen Reiz dieser Art von Fahrgeschäften ausmacht. „Die Stahlkonstruktionen dieser Anlagen müssen wegen der Fliehkräfte besondere Belastungen aushalten“, erklärt Krah, während er mit einer Taschenlampe im engen Inneren des Fahrgeschäfts die massiven Stahlträger inspiziert. An ihnen konzentriert sich ein Großteil der mechanischen Drehkräfte, die über den Mittelbau in den Boden geleitet werden. Deshalb hat der Experte besonders die Schweißnähte der Verstrebungen im Visier, an denen sich eine eventuelle Materialermüdung am ehesten zeigen würde. „Der Hersteller verbaut genau so viel Stahl wie nötig ist, aber eben auch nicht unbedingt mehr. Deshalb müssen alle tragenden Elemente in einem einwandfreien Zustand sein. Schließlich läuft dieses Gerät an 210 Tagen im Jahr und transportiert in jeder Saison tausende von Menschen.“

Mit allen Sinnen prüfen

Sich bei der Arbeit allein auf die Augen zu verlassen, reicht jedoch bei weitem nicht aus, um die Funktionen eines Fahrgeschäfts komplett zu erfassen. „Dafür müssen alle Sinne geschärft sein“, erklärt der TÜV NORD-Prüfer, und schlägt mit einem Hammer gegen die Bolzen einer Schaubverbindung. „Klingt metallisch. Das ist gut. Ein dumpfer Klang würde mir bei einer formschlüssigen Verbindung anzeigen, dass die Schrauben nicht fest genug sitzen.“ Anschließend steigt Krah über eine schmale Leiter in dem dunklen Mittelbau nach oben auf eine kleine Plattform. Hier befindet sich das technische Herz der Anlage: der Hydraulikzylinder für die Hebebewegung und der eigentliche Antrieb des Karussells. Die Rotationsbewegung erfolgt über einen Elektromotor, der eine Kugel-Drehverbindung antreibt. „Nirgendwo tritt Fett aus. Das heißt, das Ritzel liegt vollflächig auf dem Zahnkranz auf. So soll es sein“, stellt der Prüfer zufrieden fest, und klettert wieder hinaus ans Tageslicht.

Sein nächster Weg führt ihn zum Kontrollstand der Anlage, wo die komplette elektronische Steuerung untergebracht ist. Bevor Michael Krah sein Messgerät anschließt, nimmt er auch hier die Geräte zunächst mit geübtem Blick in Augenschein. Sind irgendwo Schäden durch Überlastungen zu erkennen? Sind alle Kabel in Ordnung, oder wurden nachträglich Brücken eingesetzt? Wurde an irgendeiner Stelle die Verdrahtung geändert? All das kann Auswirkungen auf die Sicherheit des „Africa Swing“ haben. Anschließend misst Krah noch die Isolationswiderstände der Motoren durch. Auch der FI-Schutzschalter, der Mitarbeiter und Fahrgäste im Störungsfall vor Stromschlägen schützt, funktioniert einwandfrei. Jetzt fehlt nur noch eine Probefahrt, bei der dann noch ein weiteres unverzichtbares Messgerät zum Einsatz kommt: das „Popometer“. „Wenn ich in einem Fahrgeschäft sitze, habe ich inzwischen ein sehr gutes Gespür für leichte Vibrationen und auffällige Fahrgeräusche entwickelt. Ich fühle und höre, wenn etwas nicht richtig rund läuft.“

Erfahrung schärft die Sinne

Der Blick fürs Wesentliche ist für die Arbeit des Prüfteams für Fliegende Bauten unverzichtbar. Dieses Know-how hat niemand von Haus aus. Alle neuen Kollegen assistieren deshalb zunächst zwei Jahre lang in einem eingespielten Team, bevor sie eine Anlage eigenständig prüfen dürfen. „Erfahrungen sind das A und O in unserem Job“, sagt Michael Krah. Dabei faszinieren ihn weniger die mit komplexer Elektronik vollgestopften neuen Anlagen, sondern vielmehr die alten Klassiker. „Moderne Geräte haben eine empfindliche Computersteuerung. Wenn sich da irgendwo ein kleiner Fehler einschleicht, steht sofort alles still. Ich kenne einfach gebaute Fahrgeschäfte, die seit 130 Jahren in Betrieb sind und noch immer einwandfrei laufen. Solche robusten, zeitlosen Anlagen, die Menschen auch heute noch Spaß bereiten, faszinieren mich sehr.“

Zur Person

Michael Krah ist Leiter Fliegende Bauten bei TÜV NORD und kennt sich wie kaum ein anderer in seinem Bereich mit Fahrgeschäften aus. Nach einem Studium der Elektrotechnik arbeitete er zunächst zehn Jahre lang als Serviceingenieur bei einem Karussellhersteller. Anschließend wechselte er zu TÜV NORD und hat in den vergangenen 16 Jahren alle Arten von Karussells und anderen Attraktionen gesehen, gehört und gespürt. Dabei kommt er viel herum und arbeitet mit seinen Teams auf Volksfesten und in Freizeitparks überall auf der Welt.