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Musikspeicherung

Eine kurze Geschichte der Tonaufzeichnung: Teil 1

15. Februar 2024

Musik ist von Natur aus eine flüchtige Angelegenheit. Sie entsteht im Moment – dann ist sie vorbei und lebt nur in der Erinnerung der Zuhörenden weiter. Wie sich Töne festhalten und anschließend wiedergeben lassen könnten, darüber haben sich daher Menschen seit Jahrhunderten Gedanken gemacht. Ein Traum, der im 19. Jahrhundert erstmals Wirklichkeit wird.

 

6. Dezember 1877, Menlo Park bei New York. Thomas Alva Edison beugt sich in seiner Fabrik über einen Trichter. Er dreht an einer kleinen Kurbel, die eine Walze antreibt. Dann sagt der 30-jährige Erfinder: „Hallo, hallo.“ Anschließend singt er das Kinderlied „Mary had a little lamb“. Wieder dreht Edison an der Kurbel, wieder setzt sich die Walze in Bewegung. Und aus dem Trichter ertönt leise: „Mary had a little …“ Thomas Alva Edison ist soeben der erste Mensch der Welt geworden, der seine eigene Stimme auf einer Aufzeichnung hört.

 

 

Der Phonograph, wie Edison seine Erfindung zur Aufzeichnung und Wiedergabe von Tönen nennt, ist ein Nebenprodukt seiner Arbeit an automatischen Telegrafen. Und sie funktioniert wie folgt: Spricht jemand in den Trichter, wird der Schall gegen eine Membran gedrückt, die dadurch in Schwingungen gerät. An der Membran sitzt eine Stahlnadel, die diese Schwingungen in eine Zinnfolie einritzt.

 

1878 bringt Edison seinen Phonographen auf den Markt. Die erste große Begeisterung der Öffentlichkeit lässt aber bald wieder nach. Denn eine Walze kann kaum mehr als eine halbe Minute aufzeichnen, lässt sich nicht vervielfältigen und ist nach ein paar Abspielungen zerstört. Nicht zuletzt sind die Tonaufzeichnungen nur sehr leise und von mäßiger Qualität.

 

Vom Phonographen zum Graphophon

Edison wendet sich enttäuscht anderen Erfindungen zu. Um die Verbesserung der Technologie kümmern sich andere: der Ingenieur Charles Sumner Tainter und der Chemiker Chichester Bell, seines Zeichens Cousin von Alexander Graham Bell, dem Erfinder des ersten funktionstüchtigen Telefons. Bell und Tainter ersetzen die Zinnfolie durch eine Wachsschicht und die Stahlnadel durch einen Saphir. Das Ergebnis sind bessere, längere und langlebigere Aufzeichnungen mit deutlich weniger Nebengeräuschen. 1888 bringen Bell und Tainter ihr sogenanntes Graphophon auf den Markt. Auch Edison setzt seit diesem Jahr auf Wachs und beginnt mit weiteren Verbesserungen seiner „Sprechmaschine“.

 

Emil Berliner und die Schallplatte

1887 meldet der deutsche USA-Auswanderer Emil Berliner ein Patent an für „ein Verfahren und einen Apparat für das Registrieren und Wiederhervorbringen von Tönen“. Wie Edison, dessen Phonographen sich Berliner genau angeschaut hat, nutzt er zur Aufnahme einen Schalltrichter, eine Membran und eine Nadel, die die Töne in eine Folie eingraviert. Anders als sein prominenter Erfinderkollege hat der gebürtige Hannoveraner aber den Winkel zwischen der Nadel und der Folie um 90 Grad geändert. Das erlaubt eine genauere Tonaufzeichnung und das Abspielen eines flachen Tonträgers: der Schallplatte. Das Abspielgerät, das die Rillen der Schallplatte abtastet und die aufgezeichneten Töne wieder hörbar macht, tauft Berliner Grammofon.

 

Die Schallplatten bestehen zunächst aus Zinkblech, ab 1890 wechselt Berliner dann zu Hartgummi. Noch sind aber die Nebengeräusche der Schallplatten so stark, dass sie zur Musikaufzeichnung kaum infrage kommen. Berliner, der zwischenzeitlich zwei Grammofon- und Schallplattenfirmen in den USA gegründet hat, experimentiert daher mit anderen Materialien: 1897 kommt die erste Schellackplatte auf den Markt. Sie besteht aus einem Gemisch aus Gesteinsmehl, Ruß, Pflanzenfasern und dem namensgebenden Schellack, einer harzigen Absonderung der Lackschildlaus. Diese Mischung lässt sich einfach formen, pressen, härtet gut aus und wird für die nächsten 60 Jahre zum Goldstandard der Schallplattenproduktion.

 

Vom Luxusprodukt zum Massenmedium

Der erste große Star des jungen Schallplattenzeitalters wird ein junger italienischer Tenor: Am 11. April 1902 singt Enrico Caruso zehn Titel für Berliners Toningenieur Fred Gaisberg ein. Carusos Aufnahmen werden zu einem sensationellen Erfolg und sorgen dafür, dass sich neben den Käuferinnen und Käufern auch weitere namhafte Künstlerinnen und Künstler für das neue Medium erwärmen. 1904 stellt Emil Berliners Deutsche Grammophon Gesellschaft in Hannover täglich 28.000 Schellackplatten her, zwei Jahre später sind es bereits 36.000 Stück.

 

Im bürgerlichen Wohnzimmer gehört das Grammofon bald zum festen Mobiliar. Für Angestellte sowie Arbeiterinnen und Arbeiter bleibt es oft unerschwinglich. 1904 zahlt an für eine Grammofonplatte ganze 2,50 Mark – bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 50 Mark. 1922 wird das bislang verwendete Wachsgussverfahren vom Matrizensystem abgelöst. Der Vorteil des sogenannten „Vater-Mutter-Sohn-Verfahrens“: Während die Wachsformen bei jedem Kopiervorgang verloren gehen, können die Matrizen beliebig oft zur Vervielfältigung benutzt werden. Schallplatten lassen sich künftig erheblich kostengünstiger und schneller pressen.

 

Und das bald auch in noch einmal viel besserer Tonqualität: 1924 entwickelt die Bell Telephone Company das elektroakustische Aufnahmeverfahren. Die Schallwellen werden dabei über ein elektrisches Mikrofon erfasst und in Strom umgewandelt. Damit lassen sich auch leise Töne und Instrumente eingefangen, für die die bislang verwendeten Tontrichter oft taub waren. Durch die Erfindung des elektrischen Verstärkers können diese Plattenaufnahmen nun über einen Lautsprecher ausgespielt werden. Das klingt nicht nur deutlich lauter, sondern auch klarer als die bisherigen Grammofontrichter und eröffnet eine neue Ära der Aufzeichnung und Wiedergabe von Tönen.

 

Der lange Weg zur Langspielplatte

Mehr als vier bis sechs Minuten passen jedoch nach wie vor nicht auf eine Plattenseite. Unterschiedliche Unternehmen experimentieren mit anderen Materialien, kleineren Rillen und niedrigeren Umdrehungsgeschwindigkeiten. Durchsetzen kann sich keines der Systeme. Bis am 21. Juni 1948 Columbia Records die erste Langspielplatte aus Vinyl präsentiert. Die dreht sich mit 33 1/3 Umdrehungen und entwickelt sich bald zum Schallplattenstandard.

Ein Problem besteht aber nach wie vor: Jede Aufnahme muss sitzen. Bei jedem Patzer muss das Orchester von vorne anfangen. Bei kürzeren Musikstücken ist das lästig, aber machbar, bei längeren ein echtes Problem. Abhilfe kommt aus Europa – mit dem Tonband.

 

Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore