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Musikspeicherung

Eine kurze Geschichte der Tonaufzeichnung: Teil 2

22. Februar 2024

Thomas Alva Edison macht den Anfang: Mit seinem Phonographen können ab dem Ende des 19. Jahrhunderts erstmals Töne aufgezeichnet und wiedergegeben werden. Die Erfindung und die Entwicklung der Schallplatte machen den Musikgenuss aus der Konserve dann zum Massenphänomen. Doch noch sind nur kurze Aufnahmen möglich, die außerdem überhaupt nicht bearbeitet werden können. Hilfe kommt hier aus Europa: erst aus Dänemark, dann aus Deutschland.

 

Während sich ab 1897 die Schellackplatte auf ihren Siegeszug um den Globus macht, tüftelt ein Versuchsingenieur der Kopenhagener Telefongesellschaft an einer alternativen Methode der Tonaufzeichnung. Am 1. Dezember 1898 meldet Valdemar Poulsen seine Erfindung zum Patent an: Sein Telegraphon zeichnet Töne über einen magnetisierten Stahldraht auf. 20 bis 30 Minuten lassen sich so am Stück erfassen – und das ist ein echter Quantensprung gegenüber der Schellackplatte, auf die zu dieser Zeit gerade einmal vier Minuten passen. Allerdings sind die Aufnahmen leise, recht rauschig, und der Umgang mit dem Draht gestaltet sich reichlich unpraktisch. Andere Erfinder beschäftigen sich in den kommenden Jahrzehnten damit, das Prinzip weiterzuentwickeln und den Draht zu ersetzen.

 

1928 lässt sich der deutsch-österreichische Ingenieur Fritz Pfleumer ein mit Eisenoxidpulver beschichtetes Papiertonband als Tonspeicher patentieren. Die Nutzungsrechte überlässt er der „Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft“ (AEG). Diese stellt im August 1935 auf der Großen Deutschen Funkausstellung ihr „Magnetophon“ der staunenden Öffentlichkeit vor. Rund 20 Minuten Spielzeit passen auf jede Spule, was seinerzeit einer Sensation gleichkommt. Das Magnetband für das Magnetophon hat die Badische Anilin- und Sodafabrik – kurz: BASF – beigesteuert. Weil das Papierband aber allzu gerne reißt, entwickelt BASF bis 1936 das erste Kunststofftonband.

 

Musik mit Magneten

Dieses Tonband wird bei der Aufnahme durch einen Elektromotor an einem Tonkopf entlanggeführt, an den elektrische Wechselspannung angelegt ist, etwa das Signal eines Mikrofons. Dadurch entstehen Magnetfelder mit wechselnder Stärke, die auf dem Tonband als unterschiedlich magnetisierte Abschnitte gespeichert werden. Drückt man anschließend auf „Start“, läuft das Tonband am Wiedergabekopf 

vorbei, wo die unterschiedlichen Magnetisierungszustände wechselnde Ströme induzieren. Dieser Strom wird verstärkt und durch einen Lautsprecher in akustische Signale umgewandelt: Das Tonband spielt Musik.

Zwar ist die gesamte Gerätschaft noch rund 100 Kilo schwer, doch sie erlaubt erstmals mobile Aufnahmen. Die haben anfänglich allerdings noch mit starkem Klirren und Rauschen zu kämpfen. Ein Problem, das 1940 die Physiker Walter Weber und Hans-Joachim von Braunmühl durch die zufällige Entdeckung der sogenannten Hochfrequenz-Vormagnetisierung lösen.

 

Siegeszug des Tonbands

In Deutschland werden ab Ende der 1930er-Jahre vorproduzierte Radiosendungen auf Tonband aufgenommen. Weltweit setzen ab Anfang der 1950er-Jahre immer mehr Tonstudios und Radioanstalten auf das Tonband, das sich nach und nach zum Standard entwickelt. Denn die magnetisierten Bänder erlauben lange Aufnahmen von hoher Qualität, die sich nunmehr erstmals schneiden und bearbeiten lassen. Vorbei die Zeit, in der eine Aufnahme bei jedem Patzer der Musizierenden, der Sprecherin oder des Sprechers wiederholt werden musste: Ab sofort lassen sich schiefe Töne oder Stotterer einfach wegschneiden, und aus mehreren Aufnahmen kann nun die bestmögliche zusammengeschnitten werden.

In privaten Wohnzimmern kann das Tonband aber nur bei vereinzelten Early Adoptern oder Technikfreaks dem Plattenspieler das Wasser abgraben. Denn die Geräte sind teurer und unhandlich in der Bedienung. Das lose Bandende will vor jedem Hören mühsam eingefädelt werden. Und statt die Platte herumzudrehen, muss das Tonband für jeden Seitenwechsel umgespult werden, bevor man weiterhören kann.

 

Rechteckig, praktisch, gut

Ab 1960 arbeitet ein Team im belgischen Philips-Werk in Hasselt an einem handlichen wie praktischen Bandmedium. Die Idee des Teams um Lou Ottens: ein robuster Tonträger, der ein Massenpublikum abholen kann und in die Jackentasche passt. Am 28. August 1963 stellt Philips auf der Funkausstellung in Berlin das Ergebnis seiner Entwicklung vor: die Kompaktkassette und das dazugehörige Abspielgerät – den Kassettenrekorder. Der klingt anfänglich noch nicht so berühmt, was sich aber 1968 mit der Entwicklung der Dolby-B-Rauschunterdrückung ändert.

Die kleine Kompaktkassette revolutioniert und demokratisiert die Art, wie Musik gehört und aufgezeichnet wird. Jede und jeder kann nun seine Lieblingssongs aus dem Radio aufnehmen, ab den 1970er-Jahren auch mit praktischen Radiorekordern. Oder eine Schallplatte auf Kassette überspielen, die sich dank Doppelkassettenrekorder gleich kopieren und weiterverschenken lässt. Sehr zum Unmut der Musikindustrie, die Anfang der 1980er-Jahre mit dem Spruch „Home taping is killing music“ gegen die Kassettenkopierer mobilmacht. Doch diese sind viel zu sehr damit beschäftigt, das Herz ihres Schwarms mit einem selbst zusammengestellten Mixtape zu gewinnen, um sich davon aus der Ruhe bringen zu lassen.

 

 

Raus auf die Straßen

Überhaupt holt die Kompaktkassette die Musik raus aus den Wohn- und Kinderzimmern: Bereits 1968 bringt Philips das erste Autoradio mit Kassettenteil auf den Markt. Batteriebetriebene Ghettoblaster legen ab 1975 an Straßenecken und auf Plätzen den Beat unter die aufkommende Breakdance- und Hip-Hop-Kultur. Und 1979 bringt Sony den ersten Walkman auf den Markt. Der macht die Musik endgültig mobil und wird zum (Status-)Symbol eines neuen Lebensgefühls. Mit dem eigenen Soundtrack auf den Ohren schweben von nun an Abertausende Jugendliche durch die Straßen der Städte und Dörfer – manche auf Rollschuhen, andere zu Fuß.

 

Digitalisierung im Wohnzimmer

Noch während der Walkman die Welt aus den Angeln hebt, wird 1981 bereits der nächste revolutionäre Tonträger vorgestellt. Philips, Sony und Polygram präsentieren eine silberne Scheibe: die Compact Disc.

Die kleine Kunststoffscheibe speichert Toninformationen digital in mikroskopisch kleinen Vertiefungen, die dann von einem Laser gelesen und elektronisch in ein analoges Tonsignal umgewandelt werden.

Anders als die Schallplatte wird die sogenannte CD beim Abspielen daher nicht beansprucht, braucht weniger Platz und kommt in bislang unerreichter Tonqualität. Die verdankt sie auch der digitalen Aufnahme und der Bearbeitung analoger Töne, die ab Ende der 1970er-Jahre allmählich in Tonstudios Einzug halten: Wandelt man Tonsignale in Nullen und Einsen um, entfallen Bandrauschen oder andere Störfaktoren, die bei einer analogen Aufnahme entstehen. Am Computer lassen sich diese Aufnahmen schnell und unkompliziert bearbeiten, ohne das Ausgangsmaterial dabei im konkreten Sinne des Wortes zerschneiden zu müssen. Das macht die Musikproduktion einfacher und günstiger bei besserer Qualität.

1983 kommt die Compact Disc auf den europäischen Markt. Im selben Jahr präsentiert Philips den CD-Player fürs Auto, Sony dann 1985 den ersten tragbaren CD-Spieler. Bereits 1988 zieht die CD bei den Verkäufen erstmals an der Schallplatte vorbei. Für die Musikindustrie anfangs eine feine Sache: Dasselbe Album kann so auch ein zweites Mal an Musikliebhabende verkauft werden, die ihre Plattensammlung digitalisieren wollen.

Während das Digital Audio Tape (kurz: DAT), das Sony 1987 als Nachfolger der Kompaktkassette auf den Markt bringt, sowie die MiniDisc, die die Japaner 1992 erstmals anbieten, vor allem als mobile Aufnahmemöglichkeiten für Profis ihre Nische finden, wachsen die CD-Sammlungen in den weltweiten Wohnzimmern weiter und weiter und damit auch die Gewinne der Musikindustrie.

Das geht gut – bis Ende der 1990er-Jahre CD-Brenner erschwinglich werden. Ab sofort wird Brennen zum Volkssport. Denn das ist die zweite Seite der digitalen Musikspeicherung: Anders als etwa bei der Kassette entstehen beim Kopieren keine Qualitätsverluste. Jede Kopie klingt also genauso gut wie das Original.

 

Geschrumpfte Songs mit großen Folgen

In dieser Zeit werden außerdem größere Internetbandbreiten erschwinglicher und die Speicherformate kleiner. Denn das ist ein weiterer Unterschied der digitalen zur analogen Musikspeicherung: Die Daten lassen sich komprimieren, also schrumpfen. Bereits seit 1982 tüftelt ein Team um Karlheinz Brandenburg am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen an einem Verfahren zur Speicherung von Musik mit einer sehr niedrigen Datenrate. 1991 wird das sogenannte MPEG-1 Audio Layer III erstmals vorgestellt und vier Jahre später nach einer institutsinternen Umfrage auf die Dateiendung MP3 getauft.

Das Komprimierungsverfahren bedient sich psychoakustischer Effekte – also der Art, wie unser Gehör Geräusche wahrnimmt. So können wir etwa zwei Töne erst ab einer gewissen Mindesttonhöhe voneinander unterscheiden und leise Geräusche nach sehr lauten schlecht bis gar nicht hören. Solche nicht wahrnehmbaren Tonsignale „filtert“ MP3 einfach raus, um auf diese Weise Musikdateien zu erstellen, die sehr wenig Speicherplatz benötigen und dabei von der Originalaufnahme kaum oder sogar überhaupt nicht zu unterscheiden sind.

 

 

Vom Sharen zum Streamen

Dank MP3 lassen sich Songs und ganze Alben jetzt ganz einfach über das Internet verschicken. Sharingbörsen wie Napster oder eDonkey schießen wie Pilze aus dem Boden und erschüttern die Musikindustrie in ihren Grundfesten. Am 23. Oktober 2001 stellt Apple den iPod vor, auf dem sich mithilfe der MP3-Komprimierung sagenhafte 1.000 Songs speichern lassen. Statt einzelne Alben wie mit dem Walkman kann man mit dem iPod nun ganze Plattensammlungen mit sich herumtragen.

Mittlerweile sind viele Menschen wieder legal unterwegs und greifen über ihre Telefone auf mehr Musik zu, als sie jemals besitzen könnten. Allein der Streaming-Marktführer Spotify wird monatlich von rund 570 Millionen Menschen weltweit genutzt, wovon mehr als 220 Millionen für ein Abo zahlen. Fast 85 Prozent der Musikumsätze entfallen in den USA auf Streamingdienste.

 

Comeback der Schallplatte

Tonträger zum Anfassen sind heute kaum mehr gefragt. Mit einer Ausnahme: Der Schallplattenabsatz hat sich in den USA über die letzten zehn Jahre verzehnfacht und zog 2022 erstmals seit 1987 wieder an den CDs vorbei. Bei der Wahl des Tonträgers entscheiden eben auch Auge, Bauch und Herz: Während das Albumcover auf der CD unterging, kommt es auf der Schallplatte einfach groß heraus. Ohnehin sind die meisten mit der CD in ihrer Plastikhülle wohl eher eine Vernunftehe eingegangen, die sich ohne Sentimentalitäten durch Streamingdateien ersetzen lässt. Die Schallplatte dagegen ist oder wird für manche die erste große Liebe. Etwas, das man behutsam behandeln muss und das mit sämtlichen kleinen Macken und Fehlern daherkommt, wie sie bei einer Liebesbeziehung nun mal dazugehören.

 

Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore