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Batteriespeicher

Schweizer Taschenmesser der Energiewende

24. April 2025

Um wetterbedingte Schwankungen der Erneuerbaren auszugleichen, muss Strom gespeichert und bei Bedarf wieder ins Netz eingespeist werden. Batterien sind dafür grundsätzlich gut geeignet, galten aber lange als zu teuer. Netzbetreiber melden nun einen Boom bei Anträgen für neue Batteriegroßspeicher. Welche Rolle diese für die Energiewende spielen und ob sie sich bereits wirtschaftlich betreiben lassen – das weiß Ilona Dickschas, Expertin für Batteriespeicher bei TÜV NORD.

 

Frau Dickschas, in den letzten Monaten häuften sich die Ankündigungen für neue Batteriegroßspeicher. Wo stehen wir aktuell – und wie entwickelt sich der Ausbau?

Ilona Dickschas: Momentan sind in Deutschland Batteriegroßspeicher mit einer Gesamtleistung von 1,8 Gigawatt und einer Kapazität von 2,4 Gigawattstunden am Netz. Das ist nahezu eine Verdopplung zum Januar 2023 und entspricht der Leistung eines großen Kernkraftwerks. Für die kommenden Jahre liegen nach Angaben der Übertragungsnetzbetreiber Anträge für neue Batteriegroßspeicher mit einer Gesamtleistung von 160 Gigawatt vor – also fast das Hundertfache der aktuell installierten Leistung. Selbst wenn sicher nicht alle diese Projekte realisiert werden, bedeutet das einen gewaltigen Sprung nach vorne.

 

Was sind die Gründe für diesen plötzlichen Boom?

Die gestiegenen Kapazitäten und die gesunkenen Kosten für Batteriezellen: Während sich die Energiedichte, also letztlich die Kapazität von Lithium-Ionen-Batterien, in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt hat, sind die Preise seit 2013 von rund 800 Dollar auf aktuell 115 Dollar pro Batteriepack geschrumpft. Gründe dafür sind unter anderem gesunkene Rohstoffpreise, der vermehrte Einsatz kostengünstiger Lithium-Eisenphosphat-Zellen und massive Überkapazitäten in der Zellproduktion in China. Letztere hat den Preisverfall im vergangenen Jahr noch einmal drastisch beschleunigt. Eine Entwicklung, wie wir sie zuvor auch in der Solarbranche beobachten konnten. Batteriegroßspeicher lassen sich daher bereits heute ohne Subventionen wirtschaftlich betreiben. Und Deutschland gilt derzeit als attraktiver Markt für diese Speicher, weil die Erzeugungskapazitäten an Erneuerbaren vorhanden sind und in den kommenden Jahren weiterwachsen werden.

 

Wie verändern sich die Anforderungen an unser Energiesystem und unser Stromnetz durch den Aufschwung der Erneuerbaren? Und welche Rolle übernehmen die Batteriegroßspeicher an dieser Stelle?

Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien ist das Stromnetz zunehmend stärkeren Schwankungen ausgesetzt, denn Wind- und Sonnenenergie stehen nicht kontinuierlich zur Verfügung. Um diese Schwankungen zwischen Verbrauch und Erzeugung auszugleichen und die Netzfrequenz stabil zu halten, müssen die Netzbetreiber eingreifen. Das heißt, innerhalb von Sekunden Strom aus dem Netz entnehmen oder einspeisen. Für diese sogenannte Regelleistung wurden bislang vor allem Pumpspeicherkraftwerke oder Gaskraftwerke eingesetzt. Mittlerweile übernehmen auch Batteriegroßspeicher diese Aufgabe und werden für die Bereitstellung dieser Leistung bezahlt. Eine weitere Möglichkeit, mit dem Batteriespeicher Geld zu verdienen, ist der Handel an der Strombörse. Dies kann vor allem im Sommer lukrativ sein, da am Tag viel günstiger Solarstrom verfügbar ist, der dann nachts zu höheren Preisen wieder eingespeist werden kann.

 

Das klingt danach, als könnten in Deutschland so auch die Strompreise fallen.

Der Speicherausbau kann tatsächlich die Großhandelspreise für Strom in Deutschland senken. Ob das unmittelbaren Einfluss auf die Preise für Endverbrauchende hat, hängt von weiteren Faktoren ab – etwa den zahlreichen Abgaben und Umlagen, die auf den Strompreis aufgeschlagen werden. Momentan fällt hier insbesondere der Netzausbau stark ins Gewicht.

 

Solar- und Windkraftanlagen müssen an sonnen- und windreichen Tagen immer wieder abgeregelt werden, um die Netze nicht zu überlasten. Können Batteriespeicher diesen überschüssigen Strom speichern, damit er nicht länger verloren geht?

Einzelne kleine Stadtwerke oder Netzbetreiber praktizieren das bereits, um die Anlagen in ihrem Netzgebiet nicht oder nur prozentual abregeln zu müssen. Aus diesem Grund werden Batteriespeicher auch als Schweizer Taschenmesser der Energiewende bezeichnet. Damit das aber in der Breite funktioniert, müssen die Netze im gesamten Bundesgebiet intelligenter werden, also digital steuerbar. Doch genau diese Digitalisierung kommt vielerorts nur sehr langsam voran, insbesondere im Roll-out der sogenannten Smart Meter. Über diese intelligenten Stromzähler können alle Akteure im Stromnetz miteinander kommunizieren und Nachfrage und Angebot so in Echtzeit aufeinander abgestimmt werden. Während in manchen Städten bereits quasi jeder Zähler smart ist, besteht in vielen Regionen noch massiver Nachholbedarf, den es aufzuholen gilt.

 

Inwieweit können die Fachleute von TÜV NORD Batteriespeicherprojekte unterstützen?

Die Unterstützung beginnt bereits in der frühen Projektentwicklungsphase – etwa bei der Standortwahl, der Dimensionierung und technischen Auslegung des Speichers. Wir führen beispielsweise Netzsimulationen durch, mit denen sich analysieren lässt, wie der Speicher am angedachten Standort im Netz agieren wird. Darüber hinaus beschäftigen wird uns im Rahmen sogenannter Technical-Due-Diligence-Prüfungen unter anderem mit folgenden Fragen: Ist das Brandschutzkonzept stimmig? Werden die Auflagen zum Lärmschutz angemessen berücksichtigt? Gehen von der Anlage weitere Gefahren für Mensch und Umwelt aus? Ziel dieser Prüfungen ist es, Investorinnen und Investoren eine fundierte Einschätzung der technischen Machbarkeit des Projektes zu ermöglichen und potenzielle Risiken besser bewerten zu können. Zusammengefasst prüfen wir, ob das geplante Projekt alle relevanten Normen und technischen Richtlinien erfüllt und die zeitliche Planung im Hinblick auf Kosten und Qualität eine erfolgreiche Realisierung erwarten lässt. Wenn der Netzbetreiber dann seine Zustimmung zum Bauvorhaben gibt, können die Kolleginnen und Kollegen von TÜV NORD das sogenannte Anlagenzertifikat erstellen. Ohne dieses Anlagenzertifikat darf das Batteriespeicherprojekt nicht in Betrieb gehen.

 

Und wenn es an den Aufbau des konkreten Speichers geht?

Unsere Kolleginnen und Kollegen in China kennen die Batteriehersteller und Systemlieferanten sehr gut. Sie führen Prüfungen und Inspektionen von Batteriespeichersystemen sowie Rückverfolgbarkeitsaudits und Bewertungen des CO2-Fußabdrucks durch und schaffen so die Voraussetzungen dafür, dass diese Speichersysteme in der EU und weltweit in Verkehr gebracht werden können. Entsprechend unterstützen wir sowohl bei der Auswahl geeigneter Lieferanten als auch bei der Abnahme des Speichers an der Produktionsstätte oder am finalen Speicherstandort in Deutschland. Auch im laufenden Betrieb beraten unsere Fachleute, etwa wenn sich Optimierungsbedarf im Netz ergibt. Darüber hinaus begleiten wir bereits frühzeitig die Planung des späteren Rückbaus – über den man sich idealerweise schon in der Projektentwicklung Gedanken machen sollte. Denn die Betreiber sind verpflichtet, ihre Batterien umweltverträglich zu entsorgen. Auf diesem Gebiet verfügen wir über umfangreiche Erfahrung, insbesondere aus dem nuklearen Bereich, wo wir uns seit vielen Jahren intensiv mit Rückbauprozessen beschäftigen.

 

Was ist beim Rückbau eines solchen Batteriespeichers zu berücksichtigen?

Die Komponenten einer solchen Anlage haben eine unterschiedlich lange Lebensdauer. Ein Umspannwerk ist in der Regel 30 bis 50 Jahre im Betrieb, bei den Batterien liegt die Lebensdauer aktuell zwischen zehn und 15 Jahren. Mit einer intelligenten Planung lassen sich nach Ablauf dieser Zeit lediglich die Batterien austauschen, während die übrigen Komponenten weiterverwendet werden können: Solche Großbatteriespeicher werden als komplettes System in einem gängigen Schiffscontainer geliefert. Entsprechend stellt sich die Frage: Was geschieht mit dem alten Container? Werden die Batterien direkt recycelt, oder lassen sie sich im Sinne der Kreislaufwirtschaft anderweitig weiterverwenden? Denn die Batterien sind nach ihrer Einsatzzeit ja nicht defekt, sie haben nur eine verringerte Kapazität. Ausgemusterte Container könnten so etwa als Speicher in der Industrie verwendet werden oder im lokalen Netz eines Wohngebiets von Nutzen sein.

 

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