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Checkliste

Reicht der Strom fürs E-Auto?

8. September 2022

E-Autos erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Aber auch die Bedenken gegenüber den abgasfreien Antrieben sind nach wie vor groß: Haben wir heute und in Zukunft genug Strom, um diese neuen Verbraucher zu versorgen? Halten die Netze, oder droht der flächendeckende Blackout, wenn alle gleichzeitig ihre E-Autos aufladen? Unsere Checkliste gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.

 

Wie stark steigt der Strombedarf durch E-Autos?

Mehr als 1,5 Millionen reine E-Autos und Plug-in-Hybride waren im Juli 2022 hierzulande zugelassen. Im Verhältnis zum gesamten Pkw-Bestand in Deutschland noch eine überschaubare Zahl, die in den letzten zwei Jahren allerdings deutlich gewachsen ist. Würden eines Tages tatsächlich alle rund 45 Millionen Autos in Deutschland elektrisch fahren, stiege die Stromnachfrage um 20 Prozent, so Berechnungen des Fraunhofer-Instituts. „Aber auch wenn es unter Umweltgesichtspunkten vielleicht wünschenswert wäre – die Umstellung der Fahrzeugflotte geschieht nicht über Nacht, sondern sukzessive“, sagt Manuel Hagemann, E-Mobilitätsexperte von TÜV NORD. Nach Prognosen der Fraunhofer-Forschenden dürften 2030 sieben bis zehn Millionen E-Autos über deutsche Straßen surren. Damit würde sich der Elektrizitätsbedarf um gerade einmal drei bis 4,5 Prozent erhöhen. Eine Strommenge, die aus Sicht von Energieversorgern wie Vattenfall keine Herausforderung darstellt.

 

 

Treibt die wachsende Nachfrage die Strompreise in die Höhe?

Die Strompreise befinden sich aktuell auf einem Rekordhoch. Gründe dafür sind unter anderem extrem gestiegene Preise für Gas sowie die andauernde Dürreperiode in Europa und der Preisbildungsmechanismus. Die gute Nachricht: Der Ausbau der Erneuerbaren dürfte sich mittelfristig auch für Verbraucherinnen und Verbraucher rechnen. „Die Gestehungskosten für Elektrizität aus Sonnenenergie und Windkraftanlagen an Land sind heute schon geringer als für Strom aus Atom oder Braunkohle“, konstatiert TÜV NORD-Experte Hagemann. Ein Trend, der sich aus Sicht des Fraunhofer-Instituts bis 2035 noch deutlich verstärken wird. Gerade der Hochlauf der Elektromobilität könnte schließlich allen zugutekommen, kalkulieren die Forschenden: Mit dem erhöhten Stromabsatz wüchsen auch die Einnahmen durch Netznutzungsentgelte, über die der Ausbau der Verteilnetze finanziert wird. Demgegenüber würden die Investitionen in Leitungen und Trafos für diesen Ausbau nicht in demselben Maße steigen. Unterm Strich könnten somit die Strompreise für Haushalte dank der E-Mobilität voraussichtlich 2030 sogar sinken.

 

Zur Person

Manuel Hagemann ist Experte für E-Mobilität bei TÜV NORD. Im TÜV-Verband leitet der studierte Maschinenbauingenieur den Arbeitskreis Elektromobilität.

Sind die Stromnetze der höheren Belastung gewachsen?

Bei der Auslegung der Ortsnetze war an Heavy User wie Elektroautos zumeist noch nicht zu denken. „Der größte Verbraucher in privaten Haushalten war in der Vergangenheit die Sauna mit 4 bis 8 kW. Private Wallboxen benötigen dagegen zwischen 11 kw oder 22 kW – und das über einen längeren Zeitraum“, sagt E-Mobilitätsexperte Hagemann. Wenn einzelne E-Autos laden, ist das auch für heutige Netze kein Problem. Würden aber tatsächlich alle gleichzeitig an die Steckdose wollen, könnte das zu lokalen Überlastungen führen. Anpassungen bei manchen Verteilnetzen sind daher geboten, müssen jedoch ebenfalls nicht über Nacht erfolgen und bewegen sich laut den Netzbetreibern im machbaren Rahmen. E.ON etwa sieht seine Netze in Deutschland bei einem kontinuierlichen und vorausschauenden Ausbau auch für eine vollständige Umstellung auf E-Pkw gerüstet.

 

 

 

Was passiert, wenn wir wirklich alle gleichzeitig laden?

Das ist deutlich unwahrscheinlicher als gemeinhin angenommen. So zumindest das Ergebnis von Feldversuchen, die der Verteilnetzbetreiber Netze BW durchgeführt hat. In einem Modellprojekt wurden zehn Haushalte einer Straße mit einem Elektrofahrzeug ausgestattet und die Daten zum Stromverbrauch über anderthalb Jahre ausgewertet. Resultat: Die Anwohnenden vertrauten der Akkukapazität im Laufe der Zeit immer mehr und luden immer seltener, sodass nie mehr als fünf Fahrzeuge gleichzeitig am Netz hingen. In 70 Prozent der Zeit wurde hingegen überhaupt nicht geladen. Im Falle einer Netzbelastung könnten der Einsatz von Batteriespeichern und ein intelligentes Lademanagement effizient für Abhilfe sorgen, so ein zentraler Befund der Forschungsprojekte.

 

 

Und wie laden wir intelligent?

E-Autos laden meist während der Nacht zu Hause oder tagsüber am Arbeitsplatz. Dort stehen sie oft deutlich länger, als es für eine volle Akkufüllung erforderlich ist. „Über ein entsprechendes Lademanagement kann man die Ladeleistung pro E-Auto drosseln“, erklärt E-Mobilitätsexperte Hagemann. Die Stromfahrzeuge laden dann langsamer, was die Netze entlastet. Die rund 900.000 smarten Wallboxen, die vom Bund gefördert wurden, könnten grundsätzlich ebenfalls aus der Ferne gesteuert und im Fall der Fälle gedrosselt werden. „Wie diese Steuerung aussehen könnte, ist aber bislang weder regulativ verankert noch technisch geklärt“, so Hagemann.

Über ein entsprechendes Lademanagement kann man die Ladeleistung pro E-Auto drosseln.

Manuel Hagemann, TÜV NORD

Manche Netzbetreiber fordern, dass die Möglichkeit zur sogenannten Spitzenglättung gesetzlich vorgeschrieben wird. „Ergänzend oder alternativ könnte man auch über günstigere Nachtstromtarife Anreize schaffen, das E-Auto in Zeiten zu laden, wenn die Netzbelastung gering ist“, so E-Experte Hagemann. Nicht zuletzt sollen die Stromfahrzeuge selbst in Zukunft eine „netzdienliche“ Rolle spielen: indem sie bei Bedarf Strom aus ihren Batterien zurück in Netz speisen, um mögliche Schwankungen auszugleichen. „Das sogenannte Vehicle-to-Grid könnte damit einen wichtigen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten“, sagt Manuel Hagemann.

 

 

 

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