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Portrait von Sabine Hahn
Steckbrief

Sabine Hahn: Die Fachfrau für Gaming

11. Mai 2018

Die Zeiten, als Computerspiele reine Jungssache waren, gehören mittlerweile der Vergangenheit an. Frauen zocken heute genauso gerne wie Männer. Doch der weibliche Anteil unter Videospielentwicklern ist immer noch gering. Woran das liegt, hat die Medienwissenschaftlerin Sabine Hahn in ihrer Dissertation „Gender und Gaming – Frauen im Fokus der Games-Industrie“ untersucht.

Name:
Sabine Hahn

Alter:
41 (laut meiner ältesten Tochter „steinalt“)

Beruf:
Dozentin, Beraterin und Business-Coach

Website:

www.sabine-hahn.com

Studien zufolge ist heute die Hälfte aller Computerspieler weiblich – aber nur 20 bis 25 Prozent der Beschäftigten in den globalen Spieleunternehmen. Wie erklären Sie sich diese Lücke?
Genau diese Frage war der Ausgangspunkt meiner Dissertation. Ich wollte das Phänomen wissenschaftlich ergründen. Die Wahrheit ist: Ich habe Erklärungsansätze gefunden, aber keine universale Antwort im Sinne einer monokausalen Erklärung.

Sie haben selbst einige Jahre in der Games-Branche gearbeitet. Welche Erfahrungen haben Sie dort als Frau gemacht?
Insgesamt war ich rund zehn Jahre in der Games-Industrie beschäftigt, unter anderem als Marketing Director und Senior Business Manager. Vier Jahre davon war ich in London, habe aber auch in Deutschland stets in internationalen Unternehmen und mit Menschen aus über 30 unterschiedlichen Kulturen gearbeitet. Was mein Geschlecht betrifft – ja, ich bin tatsächlich von Beginn an immer damit in Berührung gekommen, dass eine Frau im Vertrieb einer eher männlich geprägten und dominierten Branche doch ungewöhnlich ist. Es hat mir mal mehr und mal weniger ausgemacht, aber die Zeiten haben sich auch sehr gewandelt. 2003, zu Beginn meiner Games-Karriere, waren Frauen noch wirklich Mangelware. Mittlerweile gibt es ein Viertel bis ein Drittel Frauen in der Branche.

Bei der Entwicklung der „Sims“, einer der meistverkauften Computerspielserien weltweit, wurde auf einen paritätischen Geschlechteranteil unter den Entwicklern geachtet. Sorgt ein höherer Frauenanteil unter Entwicklern dafür, dass Spiele Frauen stärker ansprechen?
Das Spiel „Die Sims“ ist in seiner Entwicklungsgeschichte wirklich spannend, weshalb ich ihm in meinem Buch „Gender und Gaming“ auch ein Kapitel gewidmet habe. Der Anteil der Entwickler war zwar nicht ganz paritätisch, aber durch eine außergewöhnliche Beteiligung von weiblichen Entwicklern konnte ein großer und vor allem überraschender Erfolg in der weiblichen Zielgruppe erreicht werden. Ich bin davon überzeugt, dass Diversität in Teams immer einen positiven Einfluss auf das Produkt hat. Egal, ob es sich um Spiele, Autos, Möbel oder andere Produkte und Dienstleistungen handelt.

„Ich bin davon überzeugt, dass Diversität in Teams immer einen positiven Einfluss auf das Produkt hat.“

Sabine Hahn

Welchen Einfluss hat eine höhere Diversität im Team konkret auf Inhalt und Design der Spiele?
Es ist auch innerhalb der Games-Industrie nachgewiesen, dass diverse Teams besser zusammenarbeiten, effizienter sind und vielfältigere Produkte entwickeln. Dabei geht es nicht nur um das Geschlechterverhältnis, sondern auch um die Vielfalt im Hinblick auf Alter, kulturelle bzw. ethnische Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung. Die Game-Designerin Siobhan Reddy hat in einem Vortrag berichtet, wie sie ein rein männliches Entwicklerteam übernommen hat, das gerade ein großes Blockbuster-Spiel fertigstellte. Die Herren hatten schlicht und ergreifend keine weiblichen Charaktere berücksichtigt, weil sie eben aus männlicher Perspektive entwickelt haben. Grundsätzlich geht es um das Bewusstmachen und die Repräsentanz unterschiedlicher Perspektiven. Was aber keinesfalls bedeutet, dass es „Spiele für Frauen“ und „Spiele für Männer“ geben soll.

Woran liegt es, dass bislang noch wenige Frauen in ‚spielentscheidenden Funktionen‘, also etwa als Entwicklerinnen, tätig sind? Wie kann und sollte sich das ändern?
Auch hier gibt es keine monokausale Erklärung, sondern differenzierte Gründe. Untersuchungen zufolge arbeiten 75 Prozent der Frauen in der Games-Industrie in nicht-technischen Bereichen, etwa im Personalbereich, im Marketing, im Vertrieb oder in der Rechtsabteilung. Das ändert sich aber meines Erachtens, da die Zahl von jungen Frauen in Game-Programming und ähnlichen Studien- oder Ausbildungsgängen kontinuierlich steigt.

Als natürliche Konsequenz dieser Entwicklung sollte der Anteil von Frauen in den technischen Bereichen also weiter wachsen. Spezifisch für die Games-Industrie ist auch noch „Crunchen“ bzw. „Crunch Time“ zu nennen – von einigen auch liebevoll als „schlechtes Projektmanagement“ bezeichnet. Es meint nichts anderes, als dass bei der Fertigstellung eines Spieles mitunter „open end“ gearbeitet wird, gern auch wochenlang am Stück. Das verträgt sich nicht mit Teilzeitarbeitsmodellen, die zwar meiner Erfahrung nach in der Games-Branche wenig gelebt werden, aber immer noch primär Frauen betreffen.

Frauenfiguren in Computerspielen entsprechen allzu oft Geschlechterklischees, kritisierte die Kulturwissenschaftlerin Anita Sarkeesian 2012. Wie sieht das heute aus?
In aller Kürze: Es ändert sich, qualitativ und quantitativ. Einerseits gibt es in jüngster Zeit – und meiner Überzeugung nach als Konsequenz der vehementen Debatte – immer mehr Spiele mit weiblichen „lead characters“, also Protagonistinnen. Andererseits werden die Charaktere aber auch vielfältiger per se: homosexuelle pubertierende Mädchen, kräftig gebaute und vollständig bekleidete Frauen, männliche Protagonisten, die nicht wie Adonis wirken. Und auch die Wahl- und Gestaltungsfreiheit in den Spielen hat sich diversifiziert. Insgesamt eine tolle und hoffnungsvolle Entwicklung, die nicht zuletzt von Frauen wie Anita Sarkeesian, aber auch durch den sogenannten #GamerGate-Skandal 2014 angestoßen wurde.

„Die Zahl von jungen Frauen in Game-Programming und ähnlichen Studien- oder Ausbildungsgängen steigt kontinuierlich.“

Sabine Hahn

Welche Computerspiele haben Sie persönlich besonders geprägt?
1. „Tetris“. Einerseits weil ich es geliebt habe, andererseits habe ich für eine Firma gearbeitet, die „Tetris“ für mobile Plattformen vertrieben hat.
2. „SSX Snowboard“.
3. „Die Sims“. Weil sie relevant für mein Forschungsthema sind und ein superspannendes Games-Franchise.

Welches digitale Produkt muss erst noch erfunden werden?
Da ich beruflich einiges an Kilometern zurücklege, wünsche ich mir tatsächlich des Öfteren, mich durch Raum und Zeit „beamen“ zu können. Es ist doch nichts lästiger, als für einen halben Tag Workshop-Moderation insgesamt knapp zehn Stunden auf der Straße zu sein, oder?!

Auf welches können Sie verzichten?
Auf meinen (Funk-)Wecker. ☺

Wie smart ist Ihr Zuhause?
Mittelprächtig bis eher konservativ. Einerseits haben wir eine anständige Ausstattung an iDevices, also Apple-Produkte für jede Altersgruppe, andererseits noch nicht einmal TV, Mikrowelle, „Alexa“ und so weiter. Das aber bewusst.

Welche technische Anwendung wird auch Ihnen immer ein Rätsel bleiben?
Der Thermomix. Das Gerät an sich, aber auch der Hype darum.

Wann waren Sie das letzte Mal 24 Stunden offline?
Öhm, ich weiß nicht … Die Antwort muss ich nachliefern …

Urlaub ohne WLAN: Traum oder Albtraum?
Ich kann durchaus Urlaub ohne WLAN machen. Wenn ich mich erst mal „runtergefahren“ habe, finde ich das auch erholsam. Andererseits bin ich in meinem Alltag doch ziemlich abhängig von digitalen Tools, Gadgets und Kommunikations- und Informationsquellen, sodass es wohl unterm Strich eher ein Albtraum für mich wäre.

Im #explore-Format „Steckbrief“ kommen regelmäßig spannende und inspirierende Menschen aus der digitalen Szene zu Wort: Forscher*innen, Blogger*innen, Start-up-Gründer*innen, Unternehmer*innen, Hacker*innen, Visionäre*innen.