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Halbleiter

Lang leben die Halbleiterchips

14. Dezember 2023

Halbleiterchips sind das Herzstück unserer elektronischen Geräte. Stellen Hersteller ihre Produktion ein, kann das bei teuren und langlebigen Maschinen zum Totalausfall in Millionenhöhe führen. Sich ein paar Halbleiter auf Vorrat ins Regal zu legen funktioniert allerdings auch nicht. Denn Computerchips haben eine Ähnlichkeit mit uns: Sie altern. Wir haben mit Holger Krumme von der HTV Group darüber gesprochen, wie man diese Alterungsprozesse aufhalten kann und für welche Branchen eine Langzeitlagerung von Halbleiterchips überlebenswichtig ist.

 

#explore: Herr Krumme, Halbleiterchips müssen bisweilen lange gelagert werden, damit sie weiter einsatzfähig bleiben. Für welche Branchen ist das besonders relevant?

Holger Krumme: Letztlich für alle Bereiche, in denen hochpreisige Maschinen zum Einsatz kommen, die auf eine lange Laufzeit angelegt sind: etwa Luftfahrt, Medizintechnik, Bahntechnik oder Maschinenbau. Auch Druckereimaschinen kosten mehrere Millionen Euro und sind gut 20 Jahre im Einsatz. Eine neue Maschine kaufen zu müssen, nur weil ein elektronisches Ersatzteil nicht mehr verfügbar ist, kann für Unternehmen das Aus bedeuten. Aber auch in der Raumfahrt wird die Langzeitlagerung immer wichtiger. Mit dem sogenannten New Space bringen neue private Unternehmen Hunderte von Satelliten ins All – für ganz unterschiedliche Anwendungsbereiche wie Smart Farming, Industrie 4.0 oder autonomes Fahren. Um die Kosten für diese Satelliten gering zu halten, werden sie oft mit Standardbauteilen bestückt, die anders als bei üblichen Satelliten nicht individuell für sie gefertigt wurden. Das Problem: Ist die Entwicklung eines solchen Satelliten nach rund sechs Jahren abgeschlossen, wird der eingeplante Chip oft gar nicht mehr produziert. Man muss sie daher vorab einlagern und „frisch halten“, bis sie in den Satelliten eingebaut und mit ihm ins All starten können.

 

Welchen konkreten Alterungsprozessen sind Chips und elektronische Bauteile ausgesetzt?

Über lange Zeit hat man elektronische Bauteile in Stickstoff gelagert, um Oxidation und Korrosion – also Rost – zu verhindern. Bei heutigen Halbleiterchips reicht das aber nicht mehr. Denn die bestehen aus anderen Materialien, und die Strukturen auf den Chips werden immer kleiner. Transistoren auf aktuellen Halbleitern messen wenige Nanometer – das ist ein Millionstel Millimeter, also mikroskopisch klein. Und bei diesen feinen Strukturen vermischen sich über die Zeit die Materialien: Die Substanzen im Inneren eines Anschlussbeins diffundieren nach außen, was die Verarbeitbarkeit des Chips beeinträchtigt. Zusätzlich können diese sogenannten Diffusionsprozesse, die auch direkt auf dem Halbleiterchip stattfinden, die Funktionsfähigkeit beeinflussen. Hinzu kommen die sogenannten Ausgasungen. Halbleiterchips bestehen aus einer Vielzahl von chemischen Substanzen, etwa Lösungsmittel und Weichmacher im Kunststoffgehäuse. Steckt man den Halbleiter über zehn Jahre in eine dichte Verpackung, gasen diese Substanzen aus und setzen sich an anderen Stellen auf dem Bauteil ab, was wiederum zu Korrosion führt und den Chip schädigt.

 

Holger Krumme ist Geschäftsführer bei HTV und HTV Conservation. Der gelernte Elektroniker und studierte Elektrotechniker hat bei der TÜV-NORD-Tochter aus dem hessischen Bensheim das Konservierungsverfahren für Halbleiterchips mitentwickelt.

Wie lässt sich die Chip-Alterung denn abbremsen oder sogar aufhalten?

Wir haben dazu ein eigenes – und meines Wissens einzigartiges – Verfahren entwickelt. Um die Diffusionsprozesse zu reduzieren, senken wir die Temperatur. Dabei gilt es, die Lagertemperatur sehr umsichtig zu wählen. Denn bei tiefen Temperaturen droht die sogenannte Zinnpest, die Bauteile ihrerseits zerstören kann. Die ausgasenden Schadstoffe der Halbleiterchips werden mit einem speziellen Absorptionsverfahren aufgefangen. Außerdem setzen wir die Bauteile einer konservierenden Atmosphäre und Begasung aus. Wir nennen dieses Verfahren entsprechend Thermisch-Absorptive Begasung, kurz TAB. Aber dahinter stecken eine Vielzahl unterschiedlicher Rezepte. Bei einer herkömmlichen Lagerung ist ein elektronisches Bauteil rund zwei bis drei Jahre haltbar. Mit unserem Verfahren kommen wir auf bis zu 50 Jahre. Der Aufwand, den wir dazu betreiben, wäre natürlich umsonst, wenn in dieser Zeit ein Brand im Gebäude ausbricht. Deshalb versorgen wir die Lagerräume mit sauerstoffarmer Luft, wie sie in 4.000 Metern Höhe herrscht. Das macht das Gebäude unbrennbar: Wenn man dort mit einem brennenden Feuerzeug reingeht, erlischt die Flamme sofort. Unsere Mitarbeitenden können sich dort aber problemlos aufhalten.

 

Was ist bei dem Konservierungsprozess die größte Herausforderung?

Halbleiterchip ist nicht gleich Halbleiterchip. Man muss sie zunächst genau analysieren und das Lagerungsverfahren so individuell auf sie abstimmen, um sie über wirklich lange Zeit funktionstüchtig zu halten. Dafür müssen wir verstehen, welche Alterungsprozesse bei den konkreten Bauteilen zu erwarten sind. Mit unseren Analysen werfen wir immer einen Blick in die Zukunft. Zudem lagern wir nicht nur Halbleiterchips ein, sondern auch komplette Komponenten und Geräte, etwa für Automobilhersteller. Denn diese müssen Ersatzteile für ein Automodell mindestens sieben Jahre nach dem Ende der Serienproduktion anbieten. Diese Komponenten bestehen aus unterschiedlichen Chips und Bauteilen, die jeweils anders altern. Wir müssen also eine Vielzahl von Faktoren bedenken, um das optimale Lagerungsverfahren für die jeweiligen Komponenten zu finden. Und die Entwicklung der Halbleiterchips bleibt nicht stehen. Daher betreiben wir einen hohen Forschungsaufwand, um unser Verfahren immer weiter zu verfeinern und unsere Methoden an neue Anforderungen anzupassen.

 

Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore