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Arbeit

Pendeln mit weniger Stress

1. Dezember 2022

Zwanzig bis sechzig Minuten: So lange braucht jeder zweite Mensch in Deutschland zur Arbeit und wieder zurück. Jede und jeder Vierte ist eine Stunde oder länger unterwegs. Was das Pendeln zur Belastung macht und was man dagegen tun kann, erklärt TÜV NORD-Psychologe Dennis Dal Mas.

 

#explore: Deutschland ist eine Pendlerrepublik, obwohl der lange Weg zur Arbeit nachweislich Stress verursacht. Was macht das Pendeln so belastend?

Dennis Dal Mas: Zeit ist hier zunächst ein wichtiger Faktor. Je länger der Weg zur Arbeit dauert, desto weniger bleibt für andere Dinge übrig, ob für Freizeit oder Familie. Hinzu kommen negative Emotionen oder Empfindungen, die beim Pendeln entstehen können, also etwa Wut, Frustration und Ungeduld, weil man mal wieder im Stau steht. Diese Emotionen und Empfindungen kann man natürlich mit nach Hause nehmen – und sie auf die Partnerin beziehungsweise den Partner oder die Kinder übertragen.

 

Auf welchen Wegen oder mit welchen Fortbewegungsmitteln kommen wir denn weniger gestresst ans Ziel?

Untersuchungen zeigen, dass das Pendeln im Auto besonders belastend ist. Denn Autofahren kann zwar grundsätzlich Spaß machen, aber dieser hält sich im Berufsverkehr und auf der immer gleichen Strecke erfahrungsgemäß in Grenzen. Vorteilhaft sind Fortbewegungsmittel, bei denen wir selbst körperlich aktiv sind, etwa zu Fuß oder auf dem Fahrrad. Bestenfalls führt uns der Fuß- oder Radweg durchs Grüne oder an einem Fluss vorbei. Also lieber die Route durch den Park oder den Grüngürtel wählen statt entlang der Hauptverkehrsstraße. Das baut Stress ab und hebt nachweislich die Stimmung.

Ob sich das einrichten lässt, ist selbstverständlich immer davon abhängig, wo man wohnt und wo die eigene Arbeitsstelle liegt. Auch die Bahn ist grundsätzlich eine gute Lösung, weil man auf der Fahrt diverse Dinge tun kann. Abhängig natürlich immer von den persönlichen Präferenzen: Manche mögen Bahnfahren ja nicht, weil sie morgens auf dem Weg zur Arbeit lieber für sich sind.

Zur Person

Dennis Dal Mas ist promovierter Psychologe und Standortleiter der Region Ostwestfalen beim Medizinisch-Psychologischen Institut (MPI) von TÜV NORD Mobilität.

Inwiefern kann sich das Pendeln negativ auf die Gesundheit auswirken?

Die gesundheitlichen Folgen können tatsächlich vielfältig sein. Eine Studie mit mehr als 4.000 Berufstätigen in Texas hat ergeben: Wer pro Tag mehr als zehn Meilen, also 16 Kilometer, zur Arbeit pendelt, hat häufiger erhöhten Blutdruck. Wer mehr als 15 Meilen, etwa 24 Kilometer, fährt, ist zudem eher übergewichtig. Grund dafür ist zum einen der Bewegungsmangel, der oft mit dem Pendeln einhergeht; zum anderen ist es der Stress, der dabei entsteht, wenn ich im Stau stehe oder meinen Anschlusszug verpasse. Bei Stress steigt der Cortisolspiegel, dem Körper wird durch Eiweißabbau mehr Zucker zur Verfügung gestellt. Das „Stresshormon“ übernimmt insofern eine wichtige Funktion, als es uns im wörtlichen Sinne fit macht für aktive Phasen. Ein chronisch erhöhter Cortisolspiegel aber schwächt das Immunsystem und führt zu erhöhtem Blutdruck. Dadurch steigt das Risiko für Herzkrankheiten und durch die Erhöhung des Blutzuckerspiegels auch die Diabetes-Gefahr. Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Angstzustände und Depressionen können ebenfalls Folgen von einem stressbedingt erhöhten Cortisolspiegel sein. Hinzu kommen äußere Faktoren, die beim Pendeln die Gesundheit beeinträchtigen können: Führt der Pendelweg mit dem Auto vor allem an Fast-Food-Restaurants vorbei und ist meine Zeit ohnehin knapp, kann es sein, dass ich ständig dort esse. Eine US-amerikanische Studie hat gezeigt, dass mit den Fast-Food-Angeboten im Umkreis auch der Body-Mass-Index der Pendlerinnen und Pendler steigt, was auf Übergewicht schließen lässt.

 

Sie erwähnten vorhin mögliche Auswirkungen auf das private Umfeld. Kann das Pendeln tatsächlich Partnerschaften belasten?

Wenn die Partnerin oder der Partner längere Strecken pendelt, führt das häufig dazu, dass auch der oder die andere das Leben danach ausrichtet, also beruflich kürzertritt und mehr im Haushalt und bei der Kindererziehung übernimmt. Und heute sind es immer noch öfter Frauen, die dann beruflich zurückstecken. Solche Paare haben gegenüber jenen mit kurzem Arbeitsweg ein um 40 Prozent erhöhtes Trennungsrisiko, wie Studien belegen.

 

Und der Einfluss auf die Kinder?

Das Pendeln kann sich bereits vor der Geburt auf Kinder auswirken. Untersuchungen haben ergeben, dass das Geburtsgewicht von Kindern mit zunehmender Pendelstrecke geringer ausfällt. Es gibt also eine Wachstumsverzögerung, ausgelöst durch den Stress der Mutter. Aber auch nach der Geburt leiden Kinder unter langen Arbeitswegen ihrer Eltern. So wurde etwa festgestellt, dass sich Kinder weniger sozial verhalten und häufiger Konflikte mit Gleichaltrigen haben. Außerdem entwickeln sie mehr emotionale Probleme, wenn ein Elternteil – zumeist der Vater – nur am Wochenende nach Hause kommt.

 

Sind wir dem Pendelstress ausgeliefert, oder können wir ihn in der Freizeit ausgleichen?

Sport ist natürlich ein guter Ausgleich – nicht nur in der Freizeit. Man kann ihn auch in den Arbeitsalltag integrieren, indem man etwa in den Pausen ein paar Kniebeugen oder Ähnliches macht. Es gibt ja eine ganze Reihe von Körpereigengewichtsübungen für die unterschiedlichsten Trainingsgrade. Besonders wichtig und empfehlenswert ist es aber auch, den inneren Stressfaktoren entgegenzuwirken, etwa mit Meditation oder Achtsamkeitsübungen. Letztere werden mittlerweile in der Psychotherapie viel verwendet und können auch dabei helfen, in einer konkreten Stresssituation Abstand zu Ärger und Ungeduld zu gewinnen. Ebenso kann kaltes Duschen ein probates Mittel sein. Das kann den Stresspegel senken und die Entspannung fördern. Selbst auf der Arbeit kann man dem eigenen Stress entgegenwirken, indem man sich etwa in der Mittagspause in den Park setzt oder andere Dinge macht, die einem Freude bereiten.

 

Wenn man aber nun mal pendeln muss: Wie können wir die tägliche Pendelzeit sinnvoll nutzen?

Das kommt natürlich darauf an, wie ich pendle. Und auch auf die jeweiligen individuellen Vorlieben. Im Zug kann ich meine Zeit effektiv nutzen: lesen, Hörbücher hören, Filme gucken oder mich einfach ausruhen. Je nach Beruf kann ich auch arbeiten. Das muss ja nicht negativ besetzt sein: Auf diese Weise kann ich auf dem Arbeitsweg Dinge erledigen, um die ich mich später nicht mehr kümmern muss. Im Auto sind meine Möglichkeiten deutlich eingeschränkter. Ich kann zwar auch Musik oder Hörbücher hören, aber ich sollte natürlich nichts tun, was mich vom Fahren ablenkt. Wenn man es einrichten kann, ist es empfehlenswert, einen Teil der Strecke mit dem Fahrrad zurückzulegen. Oder auch zu Fuß. Wer beispielsweise in der Stadt wohnt und keinen eigenen Parkplatz hat, kann den Wagen bewusst etwas weiter weg von der eigenen Haustür abstellen. So erspart man sich die teils aufreibende Parkplatzsuche in unmittelbarer Wohnungsnähe, und zugleich hat man am Morgen und am Abend einen Spaziergang mehr. Wenn es die Tätigkeit und der Arbeitgeber zulassen, kann man einen Teil der Arbeit ins Homeoffice verlagern. Stellt man fest, dass das Pendeln nach wie vor zu viel Zeit und Nerven kostet, sollte man langfristig einen Umzug oder Stellenwechsel in Erwägung ziehen, so sich das eine oder andere einrichten lässt.

 

Entdeckt, erklärt, erzählt: Der Podcast von #explore