Definition: Marktüberwachung von Medizinprodukten
Die Marktüberwachung von Medizinprodukten führen die zuständigen Behörden durch. Sie prüfen, ob die Medizinprodukte auf dem Markt den Anforderungen der Medical Device Regulation (MDR) entsprechen und keine Gefahr darstellen.
In Deutschland sind daran unter anderem beteiligt:
- Landesbehörden (z.B. Regierungspräsidien und Gewerbeaufsichtsämter)
- Benannte Stellen (z.B. neutrale Auditier-, Zertifizier- und Prüfstellen)
- Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten
- Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte
Doch auch die Hersteller müssen ihre Produkte nach dem Inverkehrbringen überwachen. Diese so genannte Post-Market Surveillance (PMS) definiert die MDR als einen aktiven und systematischen Prozess, in dem die Hersteller Informationen über die Verwendung ihrer Produkte auf dem Markt sammeln und auswerten. Damit sollen sie etwaigen Verbesserungsbedarf feststellen und notwendige Korrektur- oder Vorbeugemaßnahmen ergreifen.
Ziele und Definition der Post-Market Surveillance
Hersteller sind dazu verpflichtet, die Sicherheit und Leistungsfähigkeit ihrer Produkte zu gewährleisten und etwaige Gefährdungspotenziale zu minimieren. Manche möglichen Gefahren offenbaren sich allerdings erst im Laufe der Zeit, wenn die Produkte tagtäglich im Gebrauch sind – und womöglich ganz unterschiedlich genutzt werden. Insbesondere bei Medizinprodukten drohen so schwerwiegende Folgen – bis hin zum Tod des Patienten.
Die Hersteller müssen deshalb schauen, ob die Produkte, die sie auf den Markt gebracht haben, auch tatsächlich wie vorgesehen verwendet werden. Sie sollen deren Leistungen überprüfen sowie unentdeckte Risiken identifizieren und bewerten. Das Ziel: mehr Transparenz über oft lange, internationale Liefer- und Distributionsketten hinweg – und mehr Sicherheit für die Patienten.
Schärfere gesetzliche Anforderungen für die Marktüberwachung von Medizinprodukten
Mit der Einführung der MDR gelten ab dem 26. Mai 2021 verschärfte Regeln für die Hersteller von Medizinprodukten. Einige wichtige Änderungen betreffen die Überwachung nach dem Inverkehrbringen eines Produkts:
- Die PMS ist Teil der MDR und wird damit gesetzliche Verpflichtung. Zuvor war ihre Ausführung lediglich in den Medical Device Leitfaden-Dokumenten (kurz: MEDDEV) geregelt und hatte damit keine Rechtsverbindlichkeit.
- Außerdem sind die Hersteller künftig gesetzlich dazu verpflichtet, die Produkte ihrer Mitbewerber zu beobachten. Dazu müssen sie zum Beispiel wissen, wo ihre Produkte verwendet werden und welche anderen Produkte aus denselben Materialien oder für denselben Zweck dort eingesetzt werden.
- Hersteller müssen regelmäßig eine Literaturrecherche betreiben: In einem systematischen Verfahren sind Datenbanken zu durchsuchen nach neuen Studien oder Erfahrungsberichten zu eigenen oder ähnlichen Produkten. Bei letzteren müssen die Hersteller zudem die Vergleichbarkeit nachweisen.
Mehr Berichte und Dokumentationen
„Der Aufwand für die Unternehmen steigt beträchtlich“. sagt Jörg Stockhardt, der Firmen zu den Marktanforderungen an Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika berät. Eine klinische Bewertung beispielsweise brauchten Hersteller zwar bisher auch schon, wenn sie ein neues Produkt auf den Markt bringen wollen. „Künftig müssen die Hersteller aber für jedes Produkt einen individuellen Beobachtungsplan haben“, so Stockhardt. Oder zumindest für jede generische Produktgruppe – deren Zusammengehörigkeit allerdings nachzuweisen ist.
Für Medizinprodukte höherer Sicherheitsklassen (ab Klasse IIa, dazu gehören beispielsweise Zahnkronen, Hörgeräte und Kontaktlinsen) ist mindestens alle zwei Jahre ein aktualisierter Sicherheitsbericht fällig, der auch eine statistische Auswertung, Reklamations- und Marktbeobachtungsdaten sowie Verkaufszahlen beinhaltet. Bei Produkten der Klasse III (z.B. Herzkatheter, künstliche Gelenke und Brustimplantate) muss dieser regelmäßige Sicherheitsbericht (engl. Periodic Safety Update Report, kurz: PSUR) mindestens jährlich aktualisiert, einer benannten Stelle vorgelegt und von dieser bewertet werden, um dann in die europäische Datenbank eingestellt zu werden.
Höhere Anforderungen an das Personal
Auch beim Aufspüren veränderter Nutzungsgewohnheiten nimmt die MDR die Hersteller in die Gesetzespflicht: „Künftig müssen Hersteller einen Trend-Report erstellen“, erzählt Jörg Stockhardt. „Wenn der Hersteller bei der Nutzung seines Produkts bekannte Gefährdungen feststellt, die in seinem Risikomanagement bereits als akzeptabel bewertet wurden, aber die aktuell beobachteten Daten von denen der Vergangenheit wesentlich abweichen, muss er das bei einem verschlechterten Nutzen-Risiko-Verhältnis den Behörden melden.“
„Die Unternehmen brauchen mehr Personal im Bereich Regulatory Affairs, um die erhöhten Anforderungen zu erfüllen“, sagt Jörg Stockhardt. Das ist teuer – und die Unternehmen in Deutschland sind eher klein und mittelständisch. Aber Fachleute sind ohnehin kaum zu bekommen, der Markt ist leergefegt. „Die Unternehmen müssen ihr eigenes Personal fortbilden“, empfiehlt Stockhardt. Zu dessen Aufgaben gehören nicht nur umfangreiche Internetrecherchen, um die neusten Regelungsdokumente und Meldungen der Behörden zu verfolgen. „Auch für die Bewertung der aggregierten Daten braucht es Expertise“, weiß Stockhardt.
Andere Länder, andere Anwendungen
Bei der Marktbeobachtung zu berücksichtigen ist nicht nur das Produkt selber, sondern auch seine Anwendung in Kombination mit anderen Produkten. Zum Beispiel mit Arzneimitteln – oder Kosmetika: „Wenn jemand ein Pflaster auf verletzte Haut klebt, auf die vorher eine Hautcreme aufgetragen wurde, kann das zu Interaktionen führen“, sagt Jörg Stockhardt.
Nach der neuen Rechtslage geht es nicht mehr um die reine Absicherung der Zweckbestimmung des Produktes, sondern um dessen normale Anwendung. Die kann auch von Land zu Land ganz unterschiedlich sein: „Eine Ernährungssonde lässt sich für die in Deutschland übliche Nährlösung optimal einstellen“, so Stockhardt. „Aber in Ländern, wo dafür Haferschleim angerührt wird, funktioniert sie womöglich nicht genau und zuverlässig genug.“
Kompetente Mitarbeitende, aber auch Normen wie die ISO 13485 für das Qualitätsmanagement oder ISO 14971 für das Risikomanagement helfen den Herstellern dabei, die Risiken beim Verwenden von Medizinprodukten systematisch zu erkennen und deren Leistung kontinuierlich zu verbessern.
Vielfalt wird zum Bumerang – Herausforderungen und Lösungen in der Marktbeobachtung von Medizinprodukten
Wie sehen die bisherigen Erfahrungen von Unternehmen mit der Marktbeobachtung im Rahmen der MDR aus? Worin bestehen die größten Herausforderungen und wie lassen sie sich lösen? Wir haben Jörg Stockhardt, Berater Regulatory Affairs, um einen Zwischenstand gebeten.
Wie gut gelingt es Unternehmen bisher, die hohen Anforderungen an die Marktbeobachtung zu erfüllen?
"Das hängt vom Produktportfolio ab. Wenn ein Unternehmen Produktkompetenz besitzt und selbst entwickelte, selbst gepflegte Produkte hat, die eng miteinander verwandt sind, kann es Synergien stricken und den Aufwand reduzieren.
Anders verhält es sich, wenn ein Unternehmen einen Bauchladen mit vielen zugekauften Produkten betreibt. Häufig haben sich Unternehmen ein Produktdesign eingekauft und lassen dieses fremdfertigen. Dann handelt es sich um eine Art verlängerte Werkbank. In diesem Fall besitzt das Unternehmen keine echte Produktkompetenz, kann aber Kunden ein umfassendes Portfolio anbieten. Diese Vielfalt war früher gewünscht und wird jetzt zum Bumerang, weil sie je nach Produktkategorie einen hohen Marktbeobachtungsaufwand und entsprechend hohe Anforderungen an die Ressourcen des Unternehmens mit sich bringt."
Haben Sie Tipps, wie betroffene Unternehmen das Problem lösen können?
"Verantwortliche sollten überlegen, ob es wirklich notwendig ist, jedes Produkt als Eigenprodukt auf den Markt zu bringen. Alternativ lässt es sich oft als gebrandetes Produkt vertreiben. Das eigene Unternehmen ist dann immer noch beteiligt an der Marktbeobachtung, aber der Aufwand der Planung, der Auswertung der Daten usw. obliegt dem Hersteller, der irgendwo in der zweiten Reihe steht.
Das setzt natürlich voraus, dass das Unternehmen, welches das Produkt herstellt und bisher als verlängerte Werkbank fungiert hat, die Kompetenz hat, um als Hersteller im Markt tätig zu werden."
Worauf sollten Verantwortliche bei der Marktüberwachung von Medizinprodukten besonders achten?
"Sie müssen besonders darauf achten, ähnliche Produkte und solche, die in Kombination mit dem eigenen Produkt eingesetzt werden, im Auge zu behalten. Wenn ein solches Produkt wesentlich verändert wird, wirkt sich das eventuell auf die Performance und Sicherheit des eigenen Produkts aus. Außerdem ist es sinnvoll und gefordert, Produkte im Markt zu beobachten, die ähnliche Techniken und ähnliche Materialien verwenden.
Eine große Herausforderung stellt die regulatorische Marktbeobachtung dar. Es gibt ja nicht nur die europäische Rechtslage, sondern auch eine nationale. In Deutschland ist das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz maßgeblich. Daran hängen wiederum Verordnungen. Eine der wichtigsten davon ist die Medizinprodukte-Betreiberverordnung, die auch die Arbeitssicherheit in Kliniken und niedergelassenen Arztpraxen mit anspricht. Unternehmen sind also mit flankierenden Rechtslagen konfrontiert, die sich je nach Vertriebsmarkt unterscheiden und je nach Land anders entwickeln.
Ein Beispiel: Während der Pandemie in Deutschland gibt es dank des Föderalismus Landeshygieneverordnungen. Davon ist auch die Desinfektion von Medizinprodukten betroffen. Die regulatorische Marktbeobachtung steht also allein in Deutschland vor der Aufgabe, auf dem Laufenden darüber zu bleiben, welche Verordnungen für die Desinfektion von Medizinprodukten in den einzelnen Bundesländern gelten. Dazu kommen natürlich auch die anderen europäischen Nationalstaaten. Für Unternehmen, die außerhalb der EU tätig sind, wird es noch sportlicher. Die regulatorische Marktbeobachtung ist nicht zu unterschätzen."
"Oft sogar massiv. Unternehmen müssen ja teilweise noch andere begleitende Rechtslagen außer dem Arbeitsschutz beachten, zum Beispiel zu Softwaresicherheit oder Funk. Wenn ein Produkt mit Funksignalen (zum Beispiel Bluetooth) arbeitet, muss beispielsweise eine Funkanmeldung vorgenommen werden.
In dem Zusammenhang mache ich die Erfahrung immer wieder, dass das Bewusstsein für eine Rechtslage oft erst entsteht, wenn eine Behörde nachfragt.
Dazu möchte ich anmerken: Stellt ein Unternehmen zum Beispiel fest, dass es unter Umständen ein Hygieneproblem hat, und kommt es proaktiv auf die zuständige Behörde zu, wird es ganz anders behandelt, als wenn das Problem erst durch ein realisiertes Schadensereignis auffällt.
Deshalb empfehle ich Verantwortlichen in Unternehmen: Wenn ein Problem auftritt, rufen Sie bei der zuständigen Behörde an und fragen Sie ruhig: „Wie gehen wir am besten damit um?“
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