Cradle to Cradle: der Weg in die zirkuläre Abfallwirtschaft

Cradle to Cradle: der Weg in die zirkuläre Abfallwirtschaft

Beitrag vom 02.12.2022

Zur Themenwelt Umweltschutz

Mit Cradle to Cradle nachhaltiger produzieren

2019 produzierten deutsche Haushalte laut dem Umweltbundesamt 416,5 Millionen Tonnen Abfall. Schon 2018 warnte die Weltbank in ihrem Bericht „What a Waste 2.0“, dass die Müllmenge weltweit bis 2050 um 70 Prozent ansteigen könnte. Es ist also höchste Zeit, effektive Maßnahmen einzuleiten, um diesen erschreckenden Entwicklungen entgegenzuwirken. Das Cradle-to-Cradle-Konzept (kurz: C2C) kann nicht nur dazu beitragen, Ressourcen zu sparen, sondern auch dazu, den ökologischen Fußabdruck ins Positive zu verkehren und die Wirtschaft insgesamt nachhaltiger zu gestalten. Gleichzeitig bietet eine C2C-Implementierung die Chance, Ressourcen wie Energie und Wasser und damit Kosten bei der Produktherstellung zu sparen.  

Wir haben uns mit Tom Koch, Co-Bereichsleiter Circular Economy von Rytec Circular, darüber unterhalten,  

  • wie Cradle to Cradle definiert wird, 
  • wo die Unterschiede zwischen einem Cradle-to-Cradle- und Cradle-to-Grave-System liegen, 
  • welche wirtschaftlichen Vorteile für Unternehmen sich durch die Implementierung ergeben,  
  • wie die ersten Schritte von einer linearen zu einer kreislauffähigen Wertschöpfungskette aussehen,  
  • welche Hürden sich Firmen in den Weg stellen können,  
  • wie er zu Kritiker:innen und Cradle-to-Cradle-Teillösungen steht.  

Was bedeutet Cradle to Cradle und warum ist es wichtig?

Cradle to Cradle, was übersetzt so viel bedeutet wie „von der Wiege zur Wiege“, beschreibt ein Designprinzip für die Gestaltung von Produkten und Herstellungsprozessen, die wie gesunde ökologische Systeme funktionieren. Alle Ressourcen sollen möglichst effektiv und zyklisch genutzt werden (Kreislaufwirtschaft). Hierbei wird zwischen zwei Kreisläufen unterschieden.  

  • Biologischer Kreislauf: Die genutzten Materialien sind auf biologische Weise abbaubar und lassen sich ins ökologische System zurückführen. Beispiele hierfür sind Naturfasern, biobasierte Reinigungsmittel und Kunststoffe.  

  • Technischer Kreislauf: Die verwendeten Materialien werden während der Nutzung nicht verbraucht, sondern in gleicher oder verbesserter Qualität wiederaufbereitet und in einem neuen Produkt wiederverwendet. Metalle, Chemikalien und Kunststoffe basierend auf Erdöl lassen sich in diesem Kreislauf beispielsweise häufig wiederfinden.  

Bei diesem Design- und Wirtschaftskonzept geht es nicht nur darum, den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Das allein würde dem Experten Tom Koch zufolge die Welt nicht retten. Stattdessen soll hiermit eine regenerative Kraft in Gang gesetzt werden, die gleichzeitig Produktqualität verbessert und Innovationen fördert.  

C2C-Standards und Zertifizierung

Cradle-to-Cradle-Produkte lassen sich an der entsprechenden Zertifizierung erkennen, die vom Cradle to Cradle Products Innovation Institute in San Francisco vergeben wird. Dazu müssen sie fünf Kriterien erfüllen: 

1. Materialgesundheit

Die verwendeten Materialien müssen für Mensch und Umwelt ungefährlich sein.  

2. Produktzirkularität

Regenerative Produkte und Prozessgestaltung müssen eine Kreislaufwirtschaft ermöglichen.

3. Erneuerbare Energien bzw. Energieverbrauch

Schutz sauberer Luft, Förderung erneuerbarer Energien und Emissionsreduktion. 

4. Wasser- und Bodenmanagement

Schutz von sauberen Gewässern und gesunden Böden.  

5. Soziale Verantwortung

Achtung von Menschenrechten sowie Beitragsleistung zu einer fairen und gerechten Gesellschaft. 

Jedes Produkt erhält innerhalb dieser fünf Kategorien eine Leistungsstufe: Bronze, Silber, Gold und Platin. Die Gesamtzertifizierungsstufe entspricht allerdings immer der niedrigsten Leistungsstufe. Es lohnt sich also immer eine nähere Betrachtung, weil ein Hersteller z. B. den Schwerpunkt auf Recycling und Wiederverwertung legen könnte und ein anderer auf eine nachhaltige Wassernutzung. Das Institut erneuert die Cradle-to-Cradle-Zertifizierung alle zwei Jahre, wodurch es eine kontinuierliche Verbesserung fördert und belohnt.  

Die Geschichte von Cradle to Cradle

Das Konzept einer Kreislaufwirtschaft geht auf den Schweizer Architekten Walter Stahel zurück, der sich bereits 1976 gemeinsam mit seiner Co-Autorin Genevieve Reday in einem Forschungsbericht für die Europäische Kommission damit beschäftigte. Stahel verfolgt mit seiner neuen Form der Produktherstellung vier Ziele:  

  1. eine Verlängerung der Produktlebensdauer, 
  2. langlebige Güter,  
  3. Potenziale für die Wiederaufbereitung schaffen,  
  4. Vermeidung von Abfällen.  

2002 machten Architekt und Designvordenker William McDonough sowie Verfahrenstechniker und Chemiker Michael Braungart das Prinzip mit dem Buch „Cradle to Cradle: Einfach intelligent produziert“ sowohl Designer:innen als auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Der Bestseller demonstrierte das C2C-Konzept anhand von realen Produkten, sodass diverse Unternehmen, gemeinnützige Organisationen sowie Regierungen in Europa, China, USA, Kanada und Australien die Ideen nutzten. 2013 folgte ein Begleitbuch der beiden Autoren mit dem Titel „Intelligente Verschwendung – The Upcycle: Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft“.  

Cradle to Cradle vs. Cradle to Grave

Damit unterscheidet sich Cradle to Cradle deutlich vom üblichen linearen Cradle-to-Grave-System (übersetzt: von der Wiege zur Bahre). Letzteres erreicht die maximale Wertschöpfung eines Produkts im Moment des Verkaufs. Von diesem Zeitpunkt an geht die Kurve stets rapide bergab. Waren werden also entwickelt, hergestellt und anschließend als Abfall entsorgt. Alternativ lassen sie sich auch klassisch recyceln, was aber meist mit Qualitätseinbußen verbunden ist. „Cradle to Cradle kann man sich mehr wie eine Welle vorstellen beziehungsweise bleibt der Wert nach dem Verkauf stabil. Nach dem ersten Gebrauch entsteht eine neue Welle in der Form einer weiteren Nutzungsdauer, weil wir eine bestimmte Komponente wiederverwenden können“, erläutert Tom Koch. Entsprechende Überlegungen über die genutzten Inhaltsstoffe und deren zukünftige Nutzungsmöglichkeiten beginnen deswegen schon in der Designphase.  

„Es ist wichtig, dass alle Inhaltsstoffe chemisch unbedenklich und kreislauffähig sind. Das große Ziel ist, dass es die Wörter ‚Abfall‘ und ‚Müll‘ zukünftig nicht mehr gibt. Stattdessen sollen nur noch nutzbare Inhaltsstoffe Verwendung finden, also Komponenten, die man auf der gleichen Qualitätsstufe wiederverwenden kann.“ Dabei reicht es aber nicht aus, den ökologischen Fußabdruck nur zu reduzieren. Die C2C-Ambitionen gehen viel weiter, wie der Experte erklärt: „Wenn alle nur in Richtung null gehen, können wir die Welt nicht retten. Wir müssen uns auch ein wenig auf Regeneration zubewegen. Und das meint Cradle to Cradle mit dem positiven Fußabdruck.“ 

C2C-Beispiele

Cradle to Cradle in der Praxis

Wie kann Cradle to Cradle in der Praxis aussehen? Im Folgenden finden Sie zwei spannende Beispiele!

Das Cradle-to-Cradle-Prinzip in einer Kaffeekapsel

Das Cradle-to-Cradle-Prinzip lässt sich an zahlreichen augenscheinlichen Beispielen veranschaulichen. Die Kaffeekapseln mit dem Namen CoffeeB stellen für Herrn Koch allerdings einen aktuell besonders attraktiven Fall dar. Umweltverbände haben insbesondere handelsübliche Kaffeekapseln in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, weil sie Unmengen von Müllbergen verursachen. Selbst wenn sie der EN-Norm für biologische Abbaubarkeit entsprechen, sind die Kapseln in der Regel nur industriell kompostierbar. Die Zersetzung im Heimkompost dauert aufgrund des hohen Materialeinsatzes wesentlich länger.  

Migros entwickelte eine Lösung, die von vornherein auf eine natürlich-biologische, aber auch auf eine industrielle Kompostierung ausgelegt war. Rein äußerlich ähnelt sie währenddessen einer Frucht oder einem Gemüse. Der Kaffeesatz befindet sich innerhalb einer Membran, die sich viel schneller als die klassische Kapsel abbaut. Diese rein äußerlich schlichte Kugel erweist sich auf der chemischen Ebene jedoch als äußerst komplex. Die Forschung an CoffeeB dauerte deswegen etwa fünf Jahre. Der Aufwand hat sich laut Tom Koch aber gelohnt: „Es ist ein tolles Beispiel dafür, wie man ein qualitativ hochwertiges Produkt für den biologischen Kreislauf herstellen kann. Die Entwicklung hat zwar mehrere Jahre gedauert, aber ich habe es richtig gern und es gibt noch zu wenige davon.“  

C2C-Teilansätze und CO2-neutrales Arbeiten beim TÜV-Essen

Ein gutes Beispiel, wie man sich von absoluten Ansätzen befreien kann und wie gut auch Teillösungen funktionieren können, liefert das TÜV NORD-Zentralgebäude in Essen, das im September 2021 fertiggestellt wurde. Fast 80 Prozent der Baumaterialien stammen aus abgerissenen Bauten. Die energieeffiziente und nachhaltige Struktur wird zudem durch CO2-neutrale Fernwärme geheizt. Eine Baukernaktivierung mit warmem und kaltem Wasser, das durch Schläuche in den Betondecken fließt, reguliert die Innentemperatur.  

Tom Koch steht auch solchen teilweisen C2C-Umsetzungen wie der Wiederverwendung von Beton äußerst positiv und optimistisch gegenüber. „Solche Elemente sind wichtig, um zu zeigen, dass man heute schon in der Lage ist, etwas zu tun. Heute kann ich schon Cradle to Cradle in meinem Gebäude integrieren. Ich bin nicht perfekt, aber ich bin auf dem Weg und ich kann aufzeigen, welche ökologischen Vorteile sich daraus ergeben.“  

Herr Koch ist generell zurückhaltend, wenn es darum geht, Projekte als 100 Prozent kreislauffähig zu bezeichnen, weil sich die Faktenlage bereits nach relativ kurzer Zeit wieder ändern kann. „Ich kann heute Materialien in meinem Gebäude integrieren, die nach dem Stand der heutigen Wissenschaft für einen technischen oder biologischen Kreislauf optimiert worden sind. In 20 Jahren kann es aber schon wieder heißen, dass 20 Prozent der Inhaltsstoffe eines Produkts giftig sind.“  

Der Berater für Kreislaufwirtschaft sieht aber gerade deswegen einen wichtigen Mehrwert in einer offenen und ehrlichen Kommunikation über diese Elemente und Maßnahmen, die trotzdem zum Handeln motiviert. „Was habe ich getan? Was ist vielleicht noch nicht optimal? Mit ausbalancierten Aussagen kann ich auch mit Kritik besser umgehen beziehungsweise erspart man sich eine gewisse Kritik. Am Ende geht es darum, eine positive ökologische Wirkung zu erzielen, und nicht darum, dass etwas hundertprozentig Cradle to Cradle ist. Wenn diese Lösungen dann noch wirtschaftlich sind, umso besser.“ 

Mehrwehrt und Gewinne von Cradle-to-Cradle-Implementierungen

Für jedes Unternehmen stellt sich die Frage, ob sich die Anwendung des Cradle-to-Cradle-Prinzips nicht nur ökologisch, sondern auch wirtschaftlich lohnt. Die Europäische Kommission ging 2014 davon aus, dass „Abfallvermeidung, Ökodesign, Wiederverwendung und ähnliche Maßnahmen Unternehmen in der EU Nettoeinsparungen von 600 Mrd. EUR oder 8 Prozent ihres Jahresumsatzes bescheren und zugleich die gesamten jährlichen Treibhausgasemissionen um 2-4 Prozent verringern“.  

An diversen Einzelbeispielen lassen sich erste Ergebnisse für die Profitabilität und Einsparungen kreislaufwirtschaftlicher Verfahrens- und Produktionsweisen feststellen. Das Cradle to Cradle Products Innovation Institute wollte herausfinden, wie sich der Zertifizierungsstandard auf Unternehmen, ihre Produkte und Produktionsprozesse auswirkt. Dazu wurden zehn unterschiedliche Unternehmen untersucht, die von Teppichfliesen über Toilettenartikel bis hin zu Turnschuhen beziehungsweise Sneakern verschiedene Marktsegmente abdeckten, und die Ergebnisse 2014 in einer Studie veröffentlicht.  

Steelcase

Der Möbelhersteller Steelcase erlangte mit seinem NodeTM, einem Stuhl für den Bildungsbereich, beispielsweise 2011 eine Cradle-to-Cradle-SILVER-Zertifizierung. Das Unternehmen konnte eine erhöhte Nachfrage von Verbraucher:innen nach zertifizierten Produkten feststellen. Steelcase sah die C2C-Zertifizierung auch als einen Innovationsmotor an, um die Produkte chemisch zu testen, zu optimieren und besser auf die Bedürfnisse der Kund:innen zuzuschneiden.  

Aveda

Das Unternehmen für Schönheits-, Hautpflege-, Kosmetik-, Parfüm- und Haarpflegeprodukte Aveda optimierte die Verpackung seiner Haarprodukte, indem es den Anteil an recyceltem HDPE erhöhte, und konnte dadurch die Abhängigkeit von natürlichen Rohstoffen sowie den damit verbundenen Preisschwankungen verringern. Untersuchungen der direkten betrieblichen Prozesse zeigten, das Aveda die Energiebelastungen um 24 Prozent und die Wasserbelastung um 9 Prozent reduzieren konnte. „Ausgehend von den durchschnittlichen Strompreisen und Wasserpreisen in den USA wird eine Kosteneinsparung von insgesamt 1,35 US-Dollar pro 1.000 Flaschen mit jeweils 200 ml Shampoo geschätzt“, wie die Studie aussagt.  

PUMA

Der berühmte Schuh- und Sportbekleidungshersteller PUMA konzipierte den Sneaker Incycle Basket für den biologischen Nährstoffkreislauf, sodass die Materialien mithilfe einer industriellen Kompostieranlage zu natürlichem Humus kompostiert werden konnten. PUMA trug somit dazu bei, seinen Ruf als führendes Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit zu stärken. Es förderte außerdem einen ganzheitlichen Ansatz bei der Produktentwicklung und die Entstehung eines effizienteren interdisziplinären Teams bestehend aus Designer:innen, Einkäufer:innen, Nachhaltigkeitsexpert:innen und Geschäftsleitung. Auch hier ließen sich ausgehend von den durchschnittlichen Strom- und Wasserpreisen in Vietnam, wo der Schuh produziert wird, 277 US-Dollar pro 1.000 Paar Sneaker einsparen. Der Energieverbrauch konnte um 48,4 Prozent und der Wasserverbrauch um 51 Prozent reduziert werden. 

Erste Schritte auf dem Weg zum C2C

Unternehmen, die gerne mehr für die Umwelt tun und einen Cradle-to-Cradle-Ansatz verfolgen möchten, steht eine anspruchsvolle Herausforderung bevor. Umso wichtiger ist es, zu wissen, wie sie diese Mammutaufgabe beginnen können. Tom Koch hat hierfür drei wesentliche erste Schritte identifiziert:      

Denkweise ändern

Neben entsprechenden Weiterbildungen für Mitarbeiter:innen müssen Unternehmen auch bereit sein, etablierte und fest verankerte Denkstrukturen zu ändern, wie Tom Koch schildert: „Als Hersteller würde ich zunächst meinen Wissensstand und den Wissensstand meines Teams prüfen lassen. Wie linear denken wir? Sind wir es gewohnt, systemisch zu denken? Haben wir überhaupt das Mindset, um Innovationen und etwas Neues zuzulassen? Wenn ich zunächst daran arbeite, habe ich eine gute Basis, um neu zu denken.“ 

Potenzialanalyse

Hersteller können es sich nicht leisten, überall gleichzeitig anzufangen, sondern müssen die Bereiche identifizieren, wo aktuell das meiste Potenzial vorhanden ist. Sie sollten zunächst erforschen, welche Produkte sich aus Cradle-to-Cradle-Perspektive besonders gut für die Umstellung eignen. Oftmals müssen dafür die gesamte Materialpalette sowie alle Inhaltsstoffe recherchiert und analysiert werden, um deren gesamten Produktlebenszyklus zu bewerten. Darüber hinaus ist eine Ermittlung der Abfälle erforderlich, die während der Produktion entstehen. Eine Erstellung einer Positivliste, die Alternativen zu den aktuell genutzten schädlichen Inhaltsstoffen beinhaltet, ist ebenfalls vorteilhaft.  

Pilotprojekt

Jedes Unternehmen kann mit einem Pilotprojekt beginnen. Auf diese Weise lässt sich feststellen, welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf die Prozesse haben. Laut Tom Koch beantwortet ein solcher Testlauf auch folgende Fragen: „Muss ich neue Partnerschaften eingehen? Brauche ich noch neue Kapazitäten im Unternehmen? Muss ich Prozesse ändern oder benötige ich sogar neue Lieferanten?“ Währenddessen ergeben sich zahlreiche Erkenntnisse, die sich auf andere Produkte ummünzen lassen, beispielsweise wenn es später an die Skalierung geht.    

Externe Hilfe beim C2C-Evolutionsschritt

Tom Kochs Beratungsunternehmen Rytec Circular kann bei dieser Entwicklung helfen, aber auch einige andere Expert:innen haben sich in diesem Bereich spezialisiert. Interessent:innen sollten aber immer auf die jeweiligen bisherigen Projekterfahrungen achten. Laut Herrn Koch wird oft „oberflächlich über Kreislaufwirtschaft bzw. Circular Economy geredet, aber es gibt noch wenige, die einen Track Record in unterschiedlichen Branchen haben“. Erste Orientierung kann auch das „Referenzmodell Cradle to Cradle Design Innovation“ schaffen, das die EPEA Schweiz entwickelt hat und das für jedes Produkt in jeder Branche adaptierbar sein soll.  

Diese Hürden müssen Unternehmen auf dem C2C-Weg nehmen

Oftmals unterschätzen Unternehmer:innen, dass ein großes Zeitinvestment mit der Umsetzung verbunden ist und genügend Kapazitäten für eine Umstellung dieser Größenordnung vorhanden sein müssen. Hinzu kommt, dass lineare und zirkuläre Geschäftsmodelle sehr unterschiedlich sind. Die meisten Hersteller und deren Wertschöpfungsketten sind linear aufgestellt und müssen zirkulär umgestellt werden. „Man kann ein System, das in den letzten hundert Jahren optimiert worden ist, nicht von heute auf morgen einfach so ändern. Es kommt häufig auch zu Reibungen, weil es intern unterschiedliche Stimmen gibt. Manchmal existieren konservative und progressive Meinungen innerhalb einer Firma. Das muss sich neu polarisieren.“  

Das Datenmanagement stellt eine weitere große Herausforderung dar. Sobald ein Unternehmen seine Waren nach Cradle to Cradle optimiert, erfährt es sehr viel mehr über diese Produkte und deren Zusammensetzung. Diese wertvollen Daten müssen gesammelt und an einem sicheren Ort platziert beziehungsweise gespeichert werden. Dafür ist ein Datensystem erforderlich, auf das unterschiedliche Akteur:innen bzw. Projektbeteiligte über einen sicheren Zugang zugreifen. Zugangsberechtigte Akteur:innen müssen sich die Informationen problemlos anschauen und ändern können, „weil sonst schickt man nur PDFs von A nach B, was bei einem PDF noch in Ordnung ist, aber bei 17 PDFs oder Excel-Tabellen einfach zu viel wird, sodass es Innovation ausbremst“, gibt Tom Koch zu bedenken.  

Ausblick: Gemeinsam mit Kritiker:innen und Wettbewerbern nach Lösungen suchen

Unternehmen, die sich Cradle to Cradle zum Ziel gesetzt haben, sollten sich dennoch nicht entmutigen lassen, auch wenn es sogar firmenintern zu Widerständen kommt und häufig zahlreiche der folgenden Kritikpunkte zum Konzept betont werden: 

  • Eine komplette Umstellung der Wirtschaft wäre notwendig, um einen flächendeckenden Cradle-to-Cradle-Ansatz umzusetzen.  
  • Abbaubare Rohstoffe lassen sich nur in Maßen und mit Einschränkungen einsetzen.  
  • Der Einsatz der C2C-freundlichen Rohstoffe kann ebenfalls zu unerwünschten Umwelteinflüssen und Ressourcenkonflikten führen.  
  • Kompostieranlagen sind aktuell mit biologisch abbaubarer Kleidung oder Kunststoffen überfordert.  
  • Die Gewinnung der spezifischen abbaubaren Komponenten verursacht hohe Kosten.  
  • Cradle to Cradle fördert eine höhere Abhängigkeit von Lieferketten, und die Wahrscheinlichkeit einer Versorgungsunterbrechung ist ebenfalls wesentlich höher.  
  • Anbietern fällt es schwerer, die Produktpalette zu erweitern und zu modifizieren.  

Tom Koch ist mit diesen Kritikpunkten bestens vertraut. Er sieht sie aber als Zeichen einer zunehmenden Komplexität, die automatisch auftritt, wenn eine Transformation beziehungsweise Systemänderung herbeigeführt wird. „Wir befinden uns innerhalb eines Systems, das ein Ende hat. Wir verfügen nicht über unendliche Ressourcen auf dem Planeten. Das heißt, wir haben jedes Jahr, in dem wir einfach linear Ressourcen abbauen, mehr Druck und Volatilität bei den Rohstoffen. Unser Korsett wird immer enger. Wir müssen parallel ein System ändern und wir müssen dann mit dieser Komplexität umgehen.“ In seiner Tätigkeit als Berater begegnen ihm daher oft diese Zweifel: „Wir nennen das den Aber-Tanz. ‚Aber das muss noch gemacht werden. Aber das kann ich nicht und das ist zu komplex, aber, aber, aber …‘ Hinter jedem ‚aber‘ steckt eine relevante Frage. Manchmal existiert die richtige Lösung nicht, was frustrierend ist, aber diese Lösung lässt sich entwickeln, und gerade das finde ich als Berater spannend.“  

Für diese Lösungssuche sind Kreativität und manchmal ein Blick über den Tellerrand beziehungsweise über die eigenen Firmengrenzen hinaus erforderlich. Das geschieht zum Beispiel im Zuge einer Kollaboration mit einem oder mehreren Partnern. Unternehmen können sogar mit Wettbewerbern ein sogenanntes Coopetition-Verhältnis eingehen, um gemeinsam nach einer Lösung zu forschen.  

Herr Koch sieht gerade in Spannungsfeldern viel Potenzial. „Die aktuelle geopolitische Krise, die Volatilität der Rohstoffpreise auf den internationalen Märkten und die Klimakrise sind Teil unserer neuen Realität, die uns aber Druck gibt, etwas zu ändern. Ich kooperiere auch gern mit Kritiker:innen bei einer Lösungssuche. Ich habe dann den Eindruck, dass ich daran arbeite, dass wir zukünftig immer noch Arbeitsplätze haben und dass sich die Wirtschaftssektoren durchsetzen, die zukunftsfähig sind. Wir müssen aber neue Formen kreativ entwickeln, um mit solchen Herausforderungen umzugehen. Und ja, einige dieser Punkte können wir nicht einfach von heute auf morgen lösen. Das ist klar.“